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Fragt man Annette von der Bey nach ihrem Weg zur Malerei, kommt die Antwort rasch daher: „Eigentlich wollte ich schon immer Malerin werden.“ Ein wenig war der Weg in die Kunstwelt vorgegeben: Schon die Großmutter war Malerin gewesen. In ihren frühen Arbeiten bildet von der Bey hauptsächlich Objekte auf einem dunklen Hintergrund ab Spielzeug, Tiere (Ratten, Frösche etc.). Aus den einzelnen Bilder entstehen mit der Zeit ganze Serien. Die Gegenstände und Tiere scheinen sich dabei auf wundersame Weise zu vermehren. Das Multiplizieren oder das „Klonen“ eines Objekts wird damit zu einem wiederkehrenden Thema. Mit der aktuellen Ausstellung „Vermessene Zeit“ Malerei/Installation präsentiert die Künstlerin in der Kunsthalle Vierseithof in Luckenwalde u.a. zwei große Arbeiten, die einen Bezug auf die räumliche Situation der ehemaligen Kesselhalle nehmen. Auf der zentralen Wand zeigt Annette von der Bey eine mehrteilige Arbeit: „64“ (unterschiedliche Formate, Öl auf Leinwand). Der aus zehn Einzelbildern zusammengesetzter Zyklus (begonnen 2006/2007) ist sowohl von links nach rechts als auch von rechts nach links lesbar. Durch seinen offenen Charakter lässt er die mögliche Fortsetzung der Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt zu. Die Motive wie Engelsflügel, Glöckchen, das rote Band tauchen bereits in den früheren Arbeiten auf. Nicht das einzelne Bild, sondern ein Bild als Teil eines „Ganzen“ hat für Annette von der Bey eine fundamentale, sinngebende Bedeutung. Inspiriert durch den Raum der Kunsthalle sowie die Geschichte der Textilproduktion vor Ort (Volltuchfabrik) nimmt von der Bey im Zyklus „64“ u.a. das Motiv der floralen Fußbodenfliese in ihre Arbeit auf. Die Beschäftigung mit Stoff und den Strukturen von Wolle und Leinen bildet für sie einen wichtigen Aspekt ihres Wirkens. „Ich liebe Stoffe, zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört auf jeden Fall das Stricken“, erzählt sie ausgelassen. Und tatsächlich … die Stofflichkeit sowie das fragmentarische Element ihrer Arbeit führen den Betrachter immer tiefer in ihre Welt hinein. Doch wird der Betrachter durch die gezielten Auslassungen und die mangelnde Zuordnung der Bilder zu keiner endgültigen Interpretation genötigt. Er selbst kann sich in der Vielfalt des dargestellten Kosmos positionieren. Der Zugang zur ihren Werken führt über einen Gegenstand, ein Motiv oder ein Muster. Im Mittelpunkt ihres Schaffens steht eine Idee, ein Konzept. Die Detailtreue, die handwerkliche Perfektion (Lasuren, Anschnittstellen, Spiegelflächen) sowie die Mühsal der Wiederholungen in der Gesamtkomposition zeigen von der Bey als Künstlerin, die ihr Handwerk beherrscht .

Gekonnt verwendet von der Bey Bildzitate aus anderen Kunstwerken. Details aus den Arbeiten von Hieronymus Bosch finden sich in vielen Bildern der Künstlerin wieder: so die Erdbeere oder die Weltkugel, die auf das Bild „Garten der Lüste“ verweisen und auch in dem Zyklus „64“ zu finden sind. Die mehrteilige Arbeit „Turmbau“ (Öl auf Leinwand, jeweils 20 x 30 cm) wurde für den Raum der Kunsthalle nach einem speziellen Plan (direkter Bezug zur dortigen Holztreppe und Dachkonstruktion) installiert. Zusammengesetzt aus 504 Einzelteilen, erstreckt sich der „Luckenwalder-Turmbau“ über eine Breite von 11,5 m und eine Höhe von 6,6 m bis ins Dachgebälk. „Wie in einem Puzzle nimmt jedes Teil einen festen Platz im einem Bildzusammenhang ein“, erzählt von der Bey. Was zuerst als eine studentische „Fingerübung“ gedacht war (der Beginn dieser Mega-Arbeit wird auf das Jahr 1989 datiert), wurde zu einem langjährigen Projekt. Momentan besteht der Turmbau aus über 600 Teilen. Das Motiv ist an die biblische Geschichte des Turmbaus zu Babel angelehnt und zitiert hauptsächlich Pieter Bruegel den Älteren. Die Farben reichen von gelb-goldig bis silbrig-grau, das Motiv des Turmbaus wiederholt sich zwar unendlich, doch es setzt sich fort und bildet einen inhaltlich-formalen Zusammenhang mit den anderen, bereits vorhandenen Teilen. Diese geniale Arbeit, die immer wieder auf unterschiedliche Weise aufgebaut werden kann, erinnert an die Bilder des französisch-polnischen Künstlers Romans Opalka. Ähnlich wie von der Bey arbeitet Opalka konzeptuell und malt seit 1965 Zahlen, um sich in dieser Form sich mit der Fragen der Zeitlichkeit auseinanderzusetzen. Die bereits erwähnten Arbeiten „64“ und „Turmbau“ konzentrieren sich ebenfalls auf die Themen Zeit und Vergänglichkeit. Erwähnt sei hier das Motiv der Dahlie, die in der Arbeit „64“ in den einzelnen Bilder dargestellt wurde und als Metapher für die Vergänglichkeit (Blühen, Verfall) dient. Über ihr Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie spricht die in Mönchengladbach lebende Künstlerin gerne. Sie studierte bei Tony Cragg und Jan Dibbets, bis sie schließlich Meisterschülerin bei Prof. Fritz Schwegler wurde. Typisch für ihre Arbeit ist, was Prof. Schwegler so gerne propagierte: „Wenn schon Malerei, dann solche, die die Grenzen zur traditionellen Malerei verwischt.“ Die Fähigkeit, die Farben und Formen einer Idee systematisch unterzuordnen, wird besonders gut bei der Arbeit „45“, 20022005 (Öl auf Leinen, jeweils 30 x 30 cm), sichtbar. Ausgehend von einer Kugelform bietet die Künstlerin ein Farbenpanorama in rot, blau, grün, lila, gelb und grau. Tomaten, Weihnachtskugeln und Kohlköpfe, und was sonst noch der Betrachter zu sehen bekommt, scheinen in diesem Fall eher einer Fotoserie als einem malerischen Bildzyklus zu entstammen. Eine besondere Bedeutung kommt in der Ausstellung „Vermessene Zeit“ dem roten Band zu. Die kleinste Arbeit, „67 II“ (Öl auf Leinen , 18 x 18 cm), bildet den Ausgangspunkt für diese komplexe und ästhetisch anspruchsvolle Bilderschau. Eine besondere Information für die Besucher: Sie können ein oder mehrere Teile der Turmarbeit erwerben. Damit wären Sie als Käufer an dem Projekt „Turmbau“ beteiligt. Anlässlich der Ausstellung in Luckenwalde erschien eine Druckedition der Radierungen „Menschen“ (15 x 15 cm) und „vermessen“ (20 x 20 cm) in begrenzter Auflage.

Kasia Kaminska, September 2010

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Annette von der Bey
Vermessene Zeit
Malerei / Installation
Kurator: Kasia Kaminska