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Anselm Stalder - Vermutete Mitte

Im spiegelnden Glas sehen wir uns vor Alpenlandschaften aus einer schwarzweissen Zeit, wo zerklüftete Gletscher noch die Täler füllen und Risse der Erosion im Gelände Öffnungen ins Bild schlagen. „SEINEBILDER“ meint der Titel. Wessen denn, wenn nicht diejenigen von Anselm Stalder? Oder wäre „er“ sich selber schon ein anderer geworden, dessen Kunst sich in Brechungen und Projektionen definitiv von der direkten persönlichen Geste verabschiedet hat? In „SEINEBILDER“ trifft der Sohn aus virtuellen Bildgenerationen auf das analoge Fotoarchiv seines Vaters. „Er“ ist der Vater des Künstlers, der die Fotos auf Bergwanderungen geschossen hat, und „er“ ist der Künstler selbst, der sie ausgewählt, bearbeitet und in einen neuen Kontext gesetzt hat. „SEINEBILDER“ werden schliesslich unsere, sobald wir uns vor den schräg in die Bildtiefe gekippten Binnenformaten gewahr werden, dass der angedeutete Projektionsraum auch der Raum unserer Wahrnehmung sein könnte.

„Glimmende Peripherie“, die parallele Stalder-Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn, bildet ein Kontinuum von Schnitten und Überblendungen in den verschiedensten Medien. Dabei fokussiert sich der Blick an verschiedenen Stellen, besonders durch die Aufsicht auf liegende Bilder. Auch in Zürich entsteht durch zwei ineinander gesteckte Rechtecke und einer aufgelegten Platte aus matt spiegelndem Alu ein Tisch, auf dem unter Glas eine Zeichnung liegt. So liest sich das bunt zersplitterte Bildgeschehen wie ein antikes Bodenmosaik. In „disegno topografico“ wirbeln Fragmente von Händen, einem Seil, einer geöffneten Kartonschachtel wild durcheinander, als sähen wir ein aufgelöstes Puzzle, das die Erinnerung an sein Urbild verloren hat. Tatsächlich sind fünf frühere Aquarelle zerschnitten und neu zusammengefügt worden.

„Er“ ist auch „Der Spiegelmann“, der in sich verspiegelte Mann, der mit suchenden Strichen nach dem eigenen Bild im Spiegel seine körperliche Symmetrie umkreist. „Vermutete Mitte“ bezeichnet jenes black hole der erahnten Möglichkeiten, in dessen Sog die Kunst sich vorwagt, und dessen Rändern entlang „Der Spiegelmann“ sein Werk schon immer entwickelt hat. Anselm Stalder ist ein Denker in Bildern von Räumen. Während die plastische Gestalt der Bilder reflexive Distanz schafft, bleiben die vielfach vermittelten Motive rätselhaft und lassen uns wohl deshalb nicht mehr los.

Hans Rudolf Reust

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Anselm Stalder
Vermutete Mitte