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Auf die Filmprojekte von Herbert Achternbusch, Agnès Varda, Christoph Schlingensief, Alexander Kluge, Garin Nugroho und Amar Kanwar, die das Haus der Kunst seit 2003 gezeigt hat, folgt nun Apichatpong Weerasethakul mit der Weltpremiere von "Primitive". Die Reihe wird fortgesetzt mit Edgar Reitz (Variavision, 2010).

"Primitive" ist eine neue Arbeit des thailändischen Künstlers und Filmemachers Apichatpong Weerasethakul. Das Kernstück des facettenreichen Projekts, das in verschiedenen Zusammenhängen präsentiert wird, bildet die Installation auf mehreren Leinwänden, die im Haus der Kunst Premiere hat. Das Haus der Kunst hat "Primitive" gemeinsam mit FACT (Foundation for Art and Creative Technology) in Liverpool und Animate Projects in London in Auftrag gegeben.

Als er im vorigen Jahr für einen Spielfilm über Onkel Boonmee recherchierte, einen Mann, der sich an seine früheren Leben erinnern kann, bereiste Apichatpong Weerasethakul den Nordosten Thailands nahe der laotischen Grenze. Unter anderem besuchte er das verschlafene Dorf Nabua, einen der Orte, den die thailändische Armee von den 1960er- bis in die frühen 1980er-Jahre besetzt hatte, um vermeintliche Kommunisten in Schach zu halten. 1965 wurde Nabua landesweit bekannt, weil sich dort kommunistische Bauern und totalitäre Regierung das erste Feuergefecht lieferten. Zwanzig Jahre lang unter strikter Besatzung und militärischer Kontrolle, war Nabua Schauplatz von grausamer Unterdrückung, Kampf und Gewalt. Viele Menschen flohen in die Wälder. Zurück blieben fast nur Frauen und Kinder.

In einer Sage aus dieser Gegend klingen die historischen Tatsachen nach: Sie erzählt von einem "Witwengespenst", das jeden Mann entführt, der sein Reich betritt. Es verschleppt sie zu seinen anderen Ehemännern in ein unsichtbares Land. Deshalb, so die Sage, sei die Gegend männerlos. "Witwenstadt" wurde der Spitzname von Nabua.

Als der kalte Krieg endete, wurden Einigungen erzielt und die kommunistische Partei von Thailand verkümmerte. Die Regierung spielte die Gewalt herunter. Die Öffentlichkeit vergaß. Auch die Toten sind vergessen. Die junge Generation kennt das Nabua von gestern nicht mehr.

Apichatpong Weerasethakuls Projekt will Nabua neu erfinden, einen Ort, wo Erinnerungen und Ideologien ausgestorben sind. Die Installation porträtiert die halbwüchsigen männlichen Nachkommen der kommunistischen Bauern, befreit aus dem Reich des Witwengespensts.

Weerasethakul verbrachte Ende 2008 zwei Monate in Nabua und dokumentierte das Leben der Teenager. Das Projekt verzweigte sich und nahm verschiedene Formen an: Manifestationen eines Künstlers, der verschiedene ausgedachte Szenarien schafft, um einem Ort eine Erinnerung einzupflanzen. Wie bei seinen bisherigen Arbeiten mischen sich Fiktion und Dokumentation. Immer schon wollte Weerasethakul einen Film mit einem Raumschiff drehen; Nabua schien ihm der perfekte Landeplatz für dieses Raumschiff und für die Idee einer Reise. Er bat die Teenager des Dorfes, das Raumschiff mit ihm zu bauen. Es bildet ein Kernmotiv der Installation.

Wie Weerasethakuls Filme ist auch "Primitive" eine Impression von Licht und Erinnerung. Das Licht ist natürlich: Sonnenlicht, Feuerschein. Lichter sickern durch Türen und Fenster, Lichter verbrennen die Reisfelder. Künstliche Blitzschläge zerstören die friedliche Landschaft und locken die Geister aus der Erde. "Primitive" handelt von Wiedergeburt und Transformation. Es feiert die zerstörerische Kraft der Natur und in uns, eine Kraft, die brennen muss, um geboren zu werden und sich zu wandeln.

Die "Primitive"-Installation im Haus der Kunst besteht aus verschiedenen Elementen, die gleichzeitig auf mehreren Leinwänden vorgeführt werden. Die Hauptleinwände zeigen verschiedene Arten von Tageslicht, vom Abend bis zur Nacht. Die Teenager sind in einem Reisfeld, in der Ferne sieht man das Raumschiff, ein Gespenst steht im Sonnenuntergang und in der Nacht träumen die Teenager im Raumschiff. Eine andere Leinwand zeigt Aufnahmen von Nabua und seinen nächtlichen Feldern, Blitze schlagen krachend in die Erde ein. Der Bau des Raumschiffs ist dokumentiert und es gibt zwei Musikvideos, in denen die Halbwüchsigen auftreten.

Apichatpong Weerasethakul ist letztes Jahr bei der 55. Carnegie International für seine Installation "Unknown Forces" als 'herausragender neuer Künstler' mit dem Fine Prize ausgezeichnet worden. Seine Spielfilme, unter anderem "Tropical Malady" (2004) und "Syndromes and a Century" (2006) wurden von der Kritik hoch gelobt und gewannen mehrere Preise. Er ist anerkannt als "eine der Schlüsselfiguren der Filmkunst dieses Jahrzehnts" (Frieze).

Zusätzlich zu der Installation, die im Haus der Kunst gezeigt wird, hat das "Primitive"-Projekt drei Komponenten: Zwei selbstständige Kurzfilme und ein Künstlerbuch, das ebenfalls "Primitive" heißt.

Der Kurzfilm "Primitive: A Letter to Uncle Boonmee" wird am 20. Februar im Filmmuseum München uraufgeführt. Ein Halbwüchsiger, der den Regisseur spielt, trägt einen Brief vor: Er beschreibt das Innere abendlicher Häuser in Nabua.

Der Kurzfilm "Phantoms of Nabua" wurde eigens für die Website "Animate Projects" geschaffen und wird unter www.animateprojects.org online gestellt. "Phantoms of Nabua" porträtiert Lichter: Die Lichter des Zuhauses, aber auch das Licht der Zerstörung - Teenager spielen mit einem brennenden Fußball.

Das Künstlerbuch "Primitive" enthält Interviews und Tagebucheinträge, die während Apichatpong Weerasethakuls Recherche-Reisen entstanden sind, sowie Fotos. Es erscheint im Laufe des Jahres bei Edizioni Zero, Mailand in der "Cujo"-Serie.

Retrospektiven von Weerasethakuls Filmen werden im Österreichischen Filmmuseum in Wien (26. März - 2. April), dem Arsenal-Kino Berlin (1. - 15. April) und im Filmmuseum München (3. - 15. April) gezeigt. Im März veröffentlicht das Österreichische Filmmuseum die erste umfassende englischsprachige Monografie.

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