Kunstverein Augsburg

KUNSTVEREIN AUGSBURG IM HOLBEINHAUS | Vorderer Lech 20
86150 Augsburg

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Eine Ausstellung anlässlich des 175-jährigen Bestehens des Kunstvereins Augsburg in der Toskanischen Säulenhalle des Zeughauses. Alljährlich ist der Kunstverein Augsburg mit einer Sonderschau in der Toskanischen Säulenhalle des Augsburger Zeughauses zu Gast. In diesem Jahr wird dieser Ortswechsel zu einem besonderen Ereignis: Der Kunstverein feiert sein 175-jähriges Jubiläum und präsentiert damit eine nach vorne weisende Ausstellung, die zugleich die starke Verankerung des Kunstvereins in seinem urbanen Umfeld reflektiert. Gegründet im Jahr 1833 und seitdem mit nur einer Unterbrechung (1944 – 1963) als Impulsgeber für die Betrachtung und Pflege zeitgenössischer Kunst in Augsburg aktiv, führt der Kunstverein mit seiner Jubiläumsausstellung auf die Auseinandersetzung mit architektonischen Botschaften und mit der Stadt als gelebtem, bestimmendem und auch als gemeinsam verantworteten Raum hin.

Hatten die Bildhauerausstellungen des Kunstvereins der letzten Jahrzehnte jeweils einen Querschnitt in Deutschland vorzufindender Skulptur präsentiert, wird diese Ausstellung in Prozess und Konzeption neue Akzente setzen: Die fünf international ausstellenden Künstlerinnen und Künstler wurden vom Kunstverein Augsburg und dem Kurator der Ausstellung, Axel Jablonski, ausgewählt, sich an der Skulpturen- Ausstellung unter dem Titel "Ästhetische Komplexe" zu beteiligen: Die USAmerikanerin Rita McBride, die in Düsseldorf lebt und arbeitet, Silke Schatz aus Köln, Josef Dabernig und Gerold Tagwerker aus Wien sowie Manfred Pernice aus Berlin. Alle fünf Künstler setzen sich in ihrem bisherigen Schaffen intensiv mit architektonischen Formen und Erscheinungen auseinander. Sie unterziehen deren Botschaften und Wirkungen einer durchdringenden Analyse, lösen sie vom Kontext und in einzelne Sinn-Fragmente, und beleben sie – jeder in seiner individuellen künstlerischen Sprache und Ausdrucksform – in einem neuen Wahrnehmungszusammenhang.

Stadt und Ausstellungsort als Ausgangspunkt und räumliche Basis Für die Ausstellung "Ästhetische Komplexe" waren sie eingeladen, sich zunächst ein umfassendes "Bild" der Architektur von Augsburg zu machen. Sie sollten die Stadt als Gäste von außen betrachten, um dann "im Spiel mit festen Architekturen wie Gebäuden, mit den weichen Eindrücken der Sinne, mit der Leichtigkeit des Verstandes und der Schwere mancher entstehender Zusammenhänge ein Gesamtwerk im Zusammenklang ihrer Einzelbeiträge entstehen lassen" (Axel Jablonski).

Gedanklicher Ausgangspunkt für die Ausstellung ist damit die Architektur Augsburgs als Spiegel geschichtlicher und gesellschaftlicher Veränderung und als sichtbare Quelle eines kulturellen Gedächtnisses für einen sozialen Erfahrungsraum. Die toskanische Säulenhalle im Augsburger Zeughaus bildet die räumliche Basis und wurde zum integrativen, "sprechenden" Teil der Ausstellung. Das Zeughaus, ursprünglich das Waffenarsenal der Stadt, wurde von einem Meister der Renaissance, dem Stadtbaumeister Elias Holl, nach antikischem Ideal errichtet und im Jahr 1607 fertig gestellt. Die Architektur adaptiert an eine regional geprägte Formensprache. So stellt diese historische Stätte den Schnittpunkt architektonischer Idealität und sozialer Realität mit ihren Bedürfnissen und Nöten dar: Repräsentations- und Herrschaftsarchitektur zum einen, öffentlicher Raum und pragmatische Nutzung zum anderen – als Waffenkammer, später als Feuerwehrhaus und in ihrer jüngsten Funktion als Ausstellungsraum.

Interaktion der Ideale Die Renaissance, als geistiger und gesellschaftlicher Lösungsvorschlag und Katalysator für Humanismus und Individualität ist der historisch-räumliche Hintergrund der Ausstellung. Der persönliche Hintergrund der Künstlerinnen und Künstler – wie auch der der Ausstellungsbesucher – ist dagegen geprägt von den Idealen der Moderne in ihrer Wechselbeziehung, die in Gleichheit und Demokratie gefasst wurden und in Raster, Modul und Transparenz ihren Ausdruck finden. In der Jubiläumsschau treten Formen und Gedankenwelt als "Ästhetische Komplexe" in Interaktion: Renaissance und Moderne, zwei idealistische Vorstellungswelten, und die Realität werden durch ihre gleichzeitige Anwesenheit in einem Raum erfahrbar. Zur Vorbereitung der Skulpturen-Ausstellung in der Toskanischen Säulenhalle kamen die Künstlerinnen und Künstler mehrfach nach Augsburg. Bei ihren Besuchen entdeckten sie die Stadt, zunächst touristisch geführt, dann immer spezifischer, gemäß ihren Interessenlagen und von Fachleuten bei der Recherche unterstützt. In ihren Streifzügen beschäftigten sich die Teilnehmer der Ausstellung nicht nur mit den markanten Bauwerken von Elias Holl. Sie bezogen auch die formensprachlich historisierenden Eskapaden des 19. Jahrhunderts, die Zwischenkriegszeit der 1920er Jahre mit Verwaltungs-, Industrie- und Siedlungsbauten und die Architektur der Wiederaufbaujahre nach dem zweiten Weltkrieg, insbesondere repräsentiert durch die prägnanten Entwürfe der Architekten Thomas Wechs und Walther Schmidt, in ihre Erkundungen ein.

Skulptur als Widerhall urbaner Resonanzen Die architektonischen Formen Augsburgs in ihrer modernen Ausprägung wurden von den Künstlerinnen und Künstlern schließlich als "Resonanzkörper" ergründet. Ziel der künstlerischen Auseinandersetzung war, den Widerhall eines einzigartigen urbanen Lebensraums spürbar zu machen und in ihren Skulpturen der konkreten Stadt eine sinnliche Raum-Erfahrung entgegen zu setzen.

"Ästhetische Komplexe" greift Konzepte gebauter Umwelt auf und überbrückt im künstlerischen Schaffen die Distanz zwischen privatem Blick und Öffentlichkeit. Die Ausstellung erfasst innere mentale Räume und zeigt sie in ihrem Verhältnis zum Außenraum. Dabei spüren die Künstler Stereotypen und Gleichförmigkeiten in unserer Umwelt nach und stellen sie lustvoll, spielerisch und auch humorvoll Räumen menschlicher Potentialität, als Energiequelle und als erlebbare Vision gegenüber. Katalog zur Ausstellung

Zur Ausstellung erscheint ein begleitender Katalog, der zum einen die Ausstellung dokumentiert, zum anderen Aspekte der Baugeschichte Augsburgs in Bezug auf die Ausstellung thematisiert. Diese Publikation des Kunstvereins Augsburg dokumentiert, wie zeitgenössische Kunst – in diesem Fall Skulpturen – Zeit und Raum anders sichtbar und erlebbar machen können.

Die Künstler (in alphabetischer Reihenfolge): Bei Josef Dabernig treten unterschiedliche Variationen von rasterartigen Strukturen aus Metall mit der vorgefundenen räumlichen Situation in Dialog. Mathematische Regeln führen zu ästhetischen Lösungen, die Ordnungen des Raums aufnehmen und zugleich unterlaufen. Die vermeintliche Unscheinbarkeit seiner Arbeiten lässt umso deutlicher die Struktur eines vorgefundenen Raumes neu erfahren. Dabernigs Arbeiten erscheinen wie nebensächlich und werden dadurch zu Sensibilisierungseinheiten, zu Regisseuren des Raumerlebnisses.

Rita McBride baut moderne Funktionseinheiten reduziert und in ihrer Größe und Materialität verändert nach. Wie ein Formenarsenal für ein zukünftiges Museum der Menschheit treten Parkhäuser, Atommeiler, Trafokästen, Spielautomaten auf, kommen als Elemente der Gegenwartskultur gewichtig daher wie früher religiöse Gegenstände.

Die Skulpturen von Manfred Pernice sind Annäherungen an Komplexitäten architektonischer Aufgaben und Nutzungen. Seine Skulpturen will er als Skizzen sehen, da Vollendetes für ihn eigentlich unmöglich ist. Seine Modelle sollen Deutungsmöglichkeiten aufweisen, aber dennoch offen bleiben. Dies schlägt sich auch in den verwendeten Materialien nieder wie z.B. Pressspanplatten und andere leichte Baumaterialien. Es kann Gefundenes aufgenommen werden, aber auch eine utopische Planung Gestalt annehmen bis zu einem gewissen Grad der Lesbarkeit, bis die Anhaltspunkte die Vorstellungskraft des Betrachters ins Ungewisse steuern.

Vollendung ist seine Sache nicht, eher die präzise Präsentation von Ungewissheiten. Silke Schatz setzt sich in verschiedenen Ausdrucksformen mit Räumen auseinander, zum einen in riesenhaften, durchgezeichneten Aufrissen von Gebäuden, die mühevoll gelesen werden, dann aber umso mehr eine Vorstellung von einem architektonischen Raum mit eigenen Erfahrungen ins Verhältnis setzten. Zum anderen baut sie Modelle von Häusern, gestaltet sie farblich neu, versieht sie teilweise mittels Siebdruck mit familiär anmutenden Szenen, die den Betrachter von der rein architektonischen Form zum Erlebten und Gelebten führen können. Auch konfrontiert sie vor grosszügig bunt gemalten Hintergründen historische Szenen in Collagetechnik und setzt darüber noch präzise architektonische Zeichnungen. Spezifische Situationen der Befindlichkeit von Menschen gegenüber architektonischen Räumen werden auf verschiedenste Weise in ihrer Arbeit heraufbeschworen.

Gerold Tagwerker nimmt sich der Moderne in der Architektur an. Heilsbringerisch verkündete sie mehr Demokratie durch die Ordnung der Raster. Sachlichkeit, Funktionalität und Transparenz sind gar politische Ziele anhand gebauter Umwelt. Seine Skulpturen nehmen dieses Programm auf, benutzen es und unterminieren es. So kultiviert er z.B. in minimal anmutenden Kuben aus Leuchtkörpern Fehler der Schaltungen, ein Nicht-Funktionieren, so dass die Skulpturen nie richtig aufleuchten, sondern in einem ewigen Starten verbleiben. Ein anderer Werkzyklus nimmt den spielerischen Ansatz vieler Architektur auf. So wird z.B. ein architektonisch anmutendes Steckspiel zur Raum füllenden Skulptur und spielt das Spiel des Moduls, eines beliebten Themas der Architektur, das sich jedoch nur sehr selten wirklich als gebaute variable Struktur einlöst. Eine andere Serie von Arbeiten stellt allein die Struktur modernistischer Architektur fotografisch dar, wobei die Bilder auf Holz aufgezogen an der Wand lehnen, als seien sie selbst architektonische Elemente.

Hintergrund: Der Kunstverein Augsburg von 1833 bis 2008 Der Kunstverein Augsburg feiert 2008 sein 175-jähriges Bestehen. Der Verein wurde 1833 gegründet, um den Künstlern der Stadt ein Ausstellungsforum zu bieten und den Bürgern den Zugang zu zeitgenössischer Kunst zu ermöglichen – Aufgaben, die heute auch weitgehend von Museen und dem Kunsthandel abgedeckt werden.

Der Kunstverein des 19. Jahrhunderts, untergebracht in den "Badstuben" des Fuggerhauses, hatte um 1880 einen Höchststand von über 900 Mitgliedern. Nahezu alle Personen, die in Augsburg Rang und Namen hatten, sind in den Vereinslisten zu finden – ein Zeichen für das hohe Ansehen und die herausragende Bedeutung, die eine Mitgliedschaft im Kunstverein hatte. Die Ausstellungen der frühen Jahre zeigten in raschem Wechsel überwiegend Landschaften und Genregemälde, häufig Werke der Münchner Schule, die künstlerisch ein breites, nicht allzu anspruchsvolles Spektrum abdeckten.

Mit dem neuen Jahrhundert löste sich der Verein von der schon durch die Räume starken Gebundenheit an das Haus Fugger und zeigte mehr städtische Präsenz und Selbstbewusstsein, nun unter der Leitung des Stadtoberhaupts. Der Verein zog 1907 in ein eigenes, sehr stattliches Gebäude in der Hallstraße und veranstaltete in den grosszügigen Räumen Ausstellungen, die zum Teil thematisch ausgerichtet waren, aber auch einzelne Künstler oder Gruppen vorstellte. In den 1920er und 1930er Jahren, als sich die allgemeine Finanzkrise in der Stadt bemerkbar machte und folglich auch die Mitgliederzahlen zurückgingen, gelang es dem Kunstverein dennoch, in einer spektakulären Ausstellung erstmals abstrakte Kunst in Augsburg zu zeigen sowie Werke von später als "entartet" verfemten Künstlern. Mit der Jubiläumsfeier 1933, zu der eine politisch absolut unverfängliche, historische Ausstellung veranstaltet wurde, endete die selbstständige Phase. Die Stadt übernahm nicht nur das Gebäude, die Politik der Gleichschaltung und der nationalsozialistischen Kontrolle erschwerten zunehmend eine unabhängige Arbeit. Mit der Zerstörung des Hauses in der Hallstraße verlor der Kunstverein 1944 seine lokale Identität vollkommen und auch die Kraft für einen schnellen Neuanfang nach Ende des Krieges.

Es sollte bis 1964 dauern, bis der im Jahr zuvor neu gegründete Kunstverein seine Ausstellungstätigkeit wieder aufnahm. Nach ersten größeren Ausstellungen, z.B. Bildhauer der Moderne, Walter Gropius, Zeitgenössische Malerei, Theo Bechteler oder auch Moderne Klassiker wie Picasso, Nolde, Otto Dix oder Kokoschka, die meist im Rathaus stattfanden, begannen in den frühen 1970er Jahren die regelmäßigen Ausstellungen im ehemaligen Haus der Künstlerfamilie Holbein, das damals noch teilweise vermietet und in den kleinstbürgerlichen Maßen des ursprünglichen Hauses wieder aufgebaut worden war. Der Kunstverein wurde schnell wieder die entscheidende Adresse zur Vertretung moderner Kunst in Augsburg: Mit 4 bis 6 Ausstellungen pro Jahr legte er ein künstlerisch hochqualifiziertes Programm vor, das verlässlich das steigende Interesse an zeitgenössischer Kunst in der Stadt bediente. 1992 wurde mit der Enthüllung der Großplastik OSTERN von dem Künstlerpaar Brigitte Matschinsky-Denninghoff und Martin Matschinsky auf dem Rathausplatz eine neue Qualität der Kunstvereinsarbeit erreicht: Als Dauerleihgabe dieser vom Kunstverein Augsburg in Auftrag erworbenen Skulptur an die Stadt fand – wie geplant – OSTERN seinen Platz im lebendigen Herzen Augsburgs vor dem Stadttheater und wurde zu einem der Wahrzeichen für die Kulturstadt Augsburg.

1999 schließlich verwandelte der Kunstverein Augsburg das Holbeinhaus zu einem funktionsgerechten und in seiner Art besonders reizvollen Ausstellungsgebäude und schaffte mit dem über zwei Stockwerke reichenden Glaskubus. Es wurde entworfen vom Hochbauamtsleiter und Stadtplaner Günter Billenstein als ein neues kleines Kulturzentrum in der Altstadt. Das Andenken an die großen Söhne Augsburgs aus der Familie Holbein wird durch Bau und Ausstellungsbetrieb belebt, wobei der Kunstverein für die Stadt Augsburg die Initiative ergriffen hatte und die künstlerische Belebung dieses historischen Platzes bis heute gewährleistet. Er vertritt damit lebendiges Kunstengagement Augsburger Bürger, die sich trotz oder gerade wegen der wechselvollen Geschichte dieses Vereins unbeirrt der Pflege und Präsentation zeitgenössischer Kunst verpflichtet fühlen – der Stadt und dem Umland zu Gewinn und Nutzen.

Hier eine Auswahl der wichtigsten Ausstellungen des Kunstvereins Augsburg in den vergangenen Jahrzehnten:

1970: Emil Nolde: Ungemalte Bilder 1973: Otto Dix: Das grafische Werk 1964, 1974, 1983: Deutsche Bildhauer der Gegenwart 1988: Otto Hermann Hajek 1990: HAP Grieshaber 1992: Bernd Zimmer 1994:Walter Stöhrer: Neue Arbeiten 2000: Guten Morgen Malerei 2002: Gunter Damisch: Welten - Arbeiten aus 20 Jahren 2002: Jef Diederen: Gemälde und Arbeiten auf Papier 2003: Joe Steffanelli: Arbeiten auf Papier 2003: Dieter Krieg: Bilder - gemalt, gezeichnet, fotografiert 2004: Hans Sieverding: Himmel, Hölle 1, 2, 3 2004: Asger Jorn: Druckgrafik aus der Sammlung van de Loo 2005: Amber Room Society: Wir werden nicht gleich übereinander herfallen 2005: Hansjörg Dobliar: Cthulhu 2006: FORSIGHT: Positionen zeitgenössischer fotografischer Kunst 2006: Leif Trenkler: Drolling Days 2006: Antonio Saura: Damas-party 2007: Clemens Krauss: Kontinuitäten 2007: Antoni Tàpies: Obra Grafica 2008: Andreas Gefeller: Supervisions

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ÄSTHETISCHE KOMPLEXE
Ausstellung zum 175. Jubiläum des Kunstverein Augsburg e.V.

Künstler: Rita McBride, Silke Schatz, Josef Dabernig, Gerold Tagwerker, Manfred Pernice