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Balconies. Prem Sahib
1. Juli - 3. September 2017

Der Kunstverein in Hamburg zeigt die erste deutsche Einzelausstellung des britischen Künstlers Prem Sahib (*1982, London, England, lebt und arbeitet in London). Sahibs vorwiegend skulpturales Werk geht von der Ästhetik öffentlicher und privater Orte aus. Einfache geometrische Formen und industrielle Materialien erinnern zunächst an die Minimal Art. Anders als dem Minimalismus geht es Sahib aber nicht nur um Objektivität und Logik, sondern seine Skulpturen sind ebenso subjektiv aufgeladen mit persönlichen Erfahrungen, Symbolismus und Emotionen. Ihre klar umrissenen, schematischen äußeren Formen stehen im spannungsvollen Widerspruch zu ihrem intimen Inhalt. Sie referieren häufig auf den menschlichen Körper und Berührungen respektive deren Abwesenheit. Für seine Ausstellung Balconies entwickelt Sahib eine Reihe von neuen Arbeiten, die sich im fragilen Zwischenbereich von Öffentlichkeit und Privatsphäre bewegen.

Balconies aktiviert unterschiedliche räumliche Register, um deren Bedeutung für die Entstehung von Gemeinschaft und Identität zu untersuchen. Antikisierte Deko-Objekte werden mit haushaltsüblichen Möbeln und als Readymades inszenierten Schließfächern kombiniert. Der so entstehende kakophonische Stilmix wird von einer großformatigen Deckenarbeit überspannt, die an eine zerfallene Großraumbüroarchitektur erinnert.

Ein Teil der Objekte ist der Einrichtung des Chariots Roman Spa im Londoner Stadtteil Shoreditch nachempfunden, das 2016 nach fast 20 Jahren schließen musste und an dessen Stelle jetzt ein Luxushotel errichtet werden soll. Das Chariots war Erholungsort und Treffpunkt der örtlichen Schwulenszene, Ort für Austausch und Kommunikation sowie Rückzug, aber auch Ort für Cruising und sexuelles Begehren – eine kompliziert-chaotische Zwischenwelt, in der das Private und Öffentliche jenseits moralischer und normativer Kategorien miteinander kollidierten. Sahib konnte unter anderem die originalen Schließfächer dieser Institution aus dem Müll retten, welche als skulpturale Objekte präsentiert werden. Der Akt des Umkleidens markiert durch das Ablegen der eigenen persönlichen Hülle den Punkt des Übergangs vom Ich in die Gemeinschaft. Im Ausstellungsraum wandeln die Schließfächer sich zu Artefakten, die über ihre eigene Geschichte hinaus Aspekte des Erinnerns und der Fragilität sozialer Räume aufgreifen und dabei zu Individuen in einem Kollektiv werden. Das Ensemble wird mit weiteren Skulpturen und Plastiken ergänzt, die durch konfrontative Materialverbindungen Nähe, Intimität und Berührungen, aber auch Gewalt und Aggression erwecken.

In ihrer Gesamtheit stellt die Ausstellung einen liminalen Ort dar, der zugleich Schauplatz und Handlungsträger einer Geschichte von Übergang und Veränderung ist. Sehr persönlich und zugleich abstrahiert erzählt sie von Abschluss, Abschied und der Unsicherheit, die auftaucht, wenn etablierte Strukturen von Identität, Zeit oder Gemeinschaft sich auflösen und im Prozess einer Neuordnung befinden.

Prem Sahib hat an der Slade School of Art und am University College, London, bildende Kunst sowie Material & Visual Culture studiert und im Anschluss ein Postgraduiertenstudium an der Royal Academy of Arts in London absolviert. Sahibs Arbeiten wurden in Einzelausstellungen unter anderem im ICA, London, bei Grand Union in Birmingham und Jhaveri Contemporary in Mumbai gezeigt. Er war an Gruppenausstellungen bei The Breeder in Athen, im SALTS in Basel, auf der Gwangju Biennale sowie im KW Institute for Contemporary Art in Berlin beteiligt.

Kuratiert von Tobias Peper