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In der Sammlung des Museums Junge Kunst befinden sich zwei Arbeiten des Berliner Bildhauers, eine "Sphinx" aus dem Jahr 1985 und das "Volkstümliche Instrument" von 1975. Dieser Künstler ist also für unsere Besucher kein Unbekannter, doch zu behaupten, man kenne dadurch sein Werk, ist natürlich nicht haltbar. Denn er blickt auf einen Schaffenszeitraum von über vierzig Jahren zurück. Da entstanden Objekte, Skulpturen, Zeichnungen und Installationen, häufig als Werkgruppen konzipiert, die sich trotz der unterschiedlichen Motive und stilistischer Wandlungen einem großen Thema verpflichtet fühlen: Die Anwesenheit des Menschen in Gestalt seiner Abwesenheit. Das bedeutet, das Individuum ist in seinen surrealen, von hintergründiger Ironie getragenen Apparaturen, Zeichen und Torsi immer irgendwie anwesend - es hinterlässt Spuren, Erinnerungen, Projektionsmöglichkeiten. So widmet er sich diszipliniert fabulierend und philosophierend dem Verlust der persönlichen Ganzheitlichkeit in der Spätmoderne. Denn es ist ein kafkaesker Zustand: Das persönliche Ausgeliefertsein einer Gesellschaft, deren Mechanismus bekannt ist, doch an dem man selten etwas ändern kann. In fast allen seiner Werke wirkt ein subtiler Humor, der hintergründig Fallen aufschnappen und etwas Unheimliches ahnen lässt oder sogar die Sphäre des rational Irrationalen berührt. Das Unbewusste, welches uns entgegenschlägt, ist bei ihm mehr ein kollektives, als es ein individuelles ist. Und sein künstlerisches Verständnis widersprach der zeitlos-antikisierenden Figurenauffassung und puristischen Materialästhetik, die sich als kennzeichnend für die Bildhauerei in der DDR herausgebildet hat.

Er scheint das Material und die Art und Weise der Formulierung nach einer Idee, nach der zu erreichenden Wirkung auszuwählen. Der Berliner Kunsthistoriker Fritz Jacobi sprach in diesem Zusammenhang von "Ideenplastik". Es werden Fundstücke aus dem Alltag mit plastischen Formen sparsam kombiniert - oder er baute, wie in dieser Ausstellung ersichtlich, scheinbar mechanische Wirkungsprinzipien "einfach" nach. Das Bekannte wird in die Weiten des Unbekannten manövriert: unsere Erwartungshaltung ist geweckt - aber nicht befriedigt. Wir landen nicht selten in den Bereichen des bizarr Vertrackten und des subtil Tragischen. Seine unzähligen Arbeiten machen häufig etwas sichtbar, dass nun vor uns "steht" und Raum beansprucht, doch weiterhin für uns unerklärlich ist: irreal-real. Deshalb ließen sich zu seinen künstlerischen Ahnen vielleicht die Surrealisten Max Ernst, Hans Bellmer oder Victor Brauner zählen - doch das sind nur Anhaltspunkte. Im hochgotischen Festsaal kann aus Platzgründen keine Retrospek-tive gezeigt werden und selbstverständlich kann sein jahrzehntelanges Wirken als Lehrkraft an der Kunsthochschule Berlin Weißensee hier ebenfalls nicht dokumentiert werden. Aus diesem Grund haben wir uns vor allem auf eine Werkgruppe - die Fallen - konzentriert, die sich der Zeit der gesellschaftlichen Wende direkt oder indirekt widmet: der Zeit der Implosion der DDR und des Zusammenwachsens, was zusammen gehört oder muss. Schon der Titel AUS DEUTSCHEN GÄRTEN bezieht sich hintersinnig provokant auf des damaligen Kanzlers Versprechen von den "Blühenden Landschaften".

Aus "Deutschen Gärten" erblühen unter anderem im Atelier von BALDUR SCHÖNFELDER die Fallen und das für unseren Kulturkreis hoch symbolträchtige, auf dem "Rasen" aufgebahrte Kreuz - "Ostkreuz." (Ein nach vorne abgewinkeltes Brett am Kopfende des gediegen und perfektionistisch montierten Kreuzes assoziiert eine menschliche Figur. Marter, Tod, ewiges Leben - Verzweiflung und Hoffnung verbindet sich unter anderem mit diesem Zeichen.) Der diagonal zum hochgotischen Festsaal ausgerollte grüne Kunststoffrasen unterstützt die Vorstellung von einem Garten, der wohl nie so recht zur vollen Blüte gelangen wird. Auf dem Grün oder auf dem Grau des Ausstellungsraumes stehen weitere Auswüchse aus den "wiedervereinigten" Gärten.

Es steht die Frage im Festsaal: Fallen von Wem für Wen? Vielleicht könnten zumindest ihre unterschiedlichen Funktionsweisen eine Antwort auf die Frage nach den Fallenopfern, nach den Opfertypen geben? Sind es die neuen und alten Kriecher oder die aufrecht Gehenden? Sind es die Zugvögel unter uns oder die sich im Kreis Bewegenden? Oder diejenigen, die auf Kreditteufel komm raus ihr Haus besitzen müssen? Werden sie mit ihren Sehn- und Habsüchtigkeiten oder mit ihrem Fluchtreflex in die Fallen gelockt oder gar getrieben? Da gibt es die "Große dreiteilige Klappfalle". (Sie erinnert ein wenig an die Eiserne Jungfrau, ein Folterinstrument, das im 19. Jahrhundert erfunden wurde, um die mittelalterliche Barbarei zu illustrieren.) Die Falle hat beide Gitterflügel geöffnet, als wenn sie das hineintretende Opfer begrüßen und umarmen möchte. Ein anderes Gebilde besteht aus gespannten Drähten innerhalb eines Käfigs; drinnen und draußen befinden sich metallene Vogelwesen. Es sind noch weitere kafkaeske Fallenvorrichten zwischen den gotischen Säulen aufgebaut - sie lassen an Modelle für größere Ausführungen denken. Der Chor der Fallen strahlt eine etwas unheimliche, schicksalhafte Atmosphäre aus, die den Besucher aber nicht davon abhalten wird, diese Vorrichtungen aus allernächster Nähe zu besichtigen - und vielleicht sogar zu testen: "Berühren verboten".

Die Fallen entstanden im Zeitraum von Mitte der Neunzigerjahre bis in unsere Zeit hinein. Hinzu gesellen sich ein "Verhüllter Torso" aus dem Jahr 1979, eine Jugendstilvase samt Trichterblumen (2006) aus deutschen Gärten sowie ein unheimliches Nähgerät (Bekanntes Modell, 1993). All diese Dinge erzählen von einer Bevormundung, von einer Manipulation oder von einer Verhinderung. Diese großen und kleinen Dramen der Entpersönlichung, der Entmündigung und der immer weiter sich auswachsenden Desillusionierung bestehen nicht aus Theaterdonner oder Bühnenzauber. Sie sickern allmählich aus den Kunstdingen heraus - und in unsere Köpfe hinein. Wer die Zeichen und Objekte deuten und empfinden kann, wird spüren, dass auch die lebensnahe, vielleicht politische motivierte Kunst sich nicht immer mit dem Verschwinden des Anlasses zu einem Dokument verwandelt, sonder etwas ewig zeitlos Aktuelles besitzt.

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AUS DEUTSCHEN GÄRTEN
Baldur Schönfelder (1934)
Plastiken, Objekte, Zeichnungen
Ort: RATHAUSHALLE / FESTSAAL