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Unter dem Ausstellungstitel „Briefe" zeigt das Kunstprojekt frida martha tannhäuser vom 05.11.-16.12.2011 Videoarbeiten des Hamburger Künstlers Benjamin Yavuzsoy. Die Eröffnung findet am 03.11.2011 von 19-21 Uhr statt.

In Benjamin Yavuzsoys neuem Video „Disneyland" sieht der Betrachter drei Männer auf einer Parkbank sitzen. Einer wendet der Kamera den Rücken zu, in der Hand ein Bündel Luftballons. Wer Yavuzsoys frühere Arbeiten kennt, mag in diesem Mann direkt den Autor des Filmes erkennen, doch verharrt der vermeintliche Autor im Gegensatz zu Yavuzsoys vorhergehenden Videoarbeiten an seinem Platz. Zwei andere Männer sitzen auf der Parkbank und verweilen. Es gibt keine weitere Handlung, lediglich einige Passanten und Tauben werden später die Kamera passieren. Das Video zeigt den Blick auf eine alltägliche Parkszenerie wie wir sie alle kennen. Es erscheinen Untertitel in englischer Sprache im Bild. Die Sätze beschreiben einen Ort, der sich nach kurzer Zeit als Gefängnis herausstellt. Es sind kurze Beschreibungen des dortigen Lebens – über Träume, Erwartungen und über die Frage, wer man ist. Die Sätze sind sehr zurückhaltend formuliert, als würde man einen ersten Brief von jemandem erhalten, den man gar nicht kennt.

Später mischen sich deutsche Sätze zwischen die englischen. Vermutlich beschreibt Yavuzsoy selbst hier die Parkszenerie aus seinem Blickwinkel. Die Kamera erlaubt sich dabei einzig eine Nahaufnahme auf die Ballons. Eine Weile sind diese im Detail zu sehen – Weiß, Grün, Gelb. Kinder werden die Ballons bekommen, schreibt der Autor Yavuzsoy im letzten Satz. „Disneyland” nennt einer der unbekannten Briefeschreiber seine Welt. In seiner lapidaren Präzision thematisiert das Video die Diskrepanz zwischen dem eingeschränkten Leben im Gefängnis und der Welt außerhalb.

Das Video „Brief (Schnipsel)" entstand 2009 im selben Park. Der Betrachter sieht einen hölzernen Liegestuhl, in dem Yavuzsoy Platz nimmt, um schließlich in einer Zeitung zu lesen. Im Hintergrund ist eine Parklandschaft zu erkennen. Untertitel tauchen im Bild auf, die zunächst tagebuchartig anmuten, dann aber zu einer Beschreibung des Ortes werden.

Ein Gefängnis ist an dem Park gelegen, drei Sitzbänke stehen an der Mauer, die Gefängnis und Park voneinander trennt. Familie und Freunde der Insassen halten sich hier scheinbar regelmäßig auf und nutzen den öffentlichen Platz als Möglichkeit, mit ihren Angehörigen im Gefängnis zu kommunizieren. Die Kamera ruht lange auf dieser Schnittstelle zwischen „Außen“ und „Innen“. Als Yavuzsoy seinen Platz verlässt, hinterlässt er auf einer der Bänke ein Blatt Papier mit einer Nachricht. Im Park ist es mittlerweile dunkel geworden und der leere Liegestuhl dreht der Kamera den Rücken zu.

Im Verhältnis zu Yavuzsoys früheren Video-Briefen, in denen er seine Handlung in den Raum trug, ist die Handlung in „Brief (Schnipsel)” mehr mit den Gegebenheiten des Ortes verbunden. Der Eingriff in einen Ort steht nicht mehr im Mittelpunkt der Arbeit. Auch gibt es keinen erkennbaren solitären Satz oder Kommentar, während dies in Yavuzsoys früheren Arbeiten eine tragende Rolle gespielt hat. „Brief (Schnipsel)” bildet dadurch einen Übergang von Yavuzsoys früheren Werken zu seinem aktuellsten Video „Disneyland”, in dem die Handlung als solche hinter den Text zurücktritt.

„Seit 2002 arbeitet Benjamin Yavuzsoy konsequent und sehr präzise mit dem Format des sogenannten ‚Video- Briefs’. (…) Er beinhaltet die Beziehung eines (künstlerischen) Absenders und eines (anonymen) Adressaten, also eine (gewünschte) persönliche Beziehung. Statt der statischen Form, wählt Yavuzsoy das Format des zeitbasierten Mediums des Videos und zeichnet performative Verläufe auf.“ *

Seine Handlungen bearbeiten den Kodex von intimen und öffentlichen Räumen und verwickeln ihn in ‚kleine’ Narrationen, die in unsere – zum Teil unbewusste Konstruktion – vom Eigenen und Fremden eingreifen. Bei seinen subversiven Interventionen bezieht er sich auf ein immer wiederkehrendes Motiv in seiner Arbeit: die Grosszügigkeit. Er versteht es als vermittelndes Thema seiner Arbeiten. Im Umfeld einer Autowerkstatt hinterlässt er ein einzelnes rot lackiertes Werkzeug, auf einem Dienstplan des Reinigungspersonals notiert er einen Satz statt Zahlen, oder er repariert Risse auf Gehwegen, die wahrscheinlich niemanden gestört haben. Die Handlungen in seinen Geschichten, beziehungsweise Videofilmen, greifen somit in die Macht der durch einen Verhaltenskodex affirmierten öffentlichen Ordnung ein und ziehen sie für einen Moment in Zweifel. „Er thematisiert nicht nur ‚Andere’ in sozialen Kontexten, sondern auch sich selbst, die Rolle des Künstlers. Der Künstler ist als Mediator aktiv, der die Zonen von Ein- und Ausschluss aufspürt und Unverhofftes möglich erscheinen lässt.“ *

Benjamin Yavuzsoy, 1980 in Bremen geboren, studierte von 2001 bis 2007 Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg bei Eran Schaerf. Die in Berlin ansässige Galerie Aanant & Zoo repräsentiert seit 2008 seine Arbeiten. 2009 wurde er mit dem renommierten ältesten deutschen Kunstpreis der Villa Romana ausgezeichnet. Yavuzsoy lebt und arbeitet in Hamburg. „Briefe" ist seine erste Einzelausstellung bei frida martha tannhäuser.

Die Ausstellung zeigt die Arbeiten „Brief (Schnipsel)“, 2009, 8:30 Min. und „Disneyland", 2011, HD Video, 10:40 Min.

* Angelika Stepken, Direktorin Villa Romana

© frida martha tannhäuser

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