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Die Aufnahmen des schwedischen, seit Jahrzehnten in Deutschland beheimateten Fotografen Bernard Larsson fangen Aspekte des Lebensgefühls in der geteilten Stadt in einem Zeitraum ein, als sich in Berlin die Situation der auseinandergebrochenen Republik wie in einem Brennspiegel reflektierte. Nicht anders als heute kulminierte an diesem Ort der Ost-West-Konflikt, wobei die geistige, politische und ökonomische Verfassung der geteilten Nation auf der Insel Berlin ihren sichtbarsten Ausdruck fand. Der Fotograf hat diese Qualität der Stadt als Schauplatz und Drehscheibe der Geschichte erkannt und ihre angespannte Physiognomie festgehalten. Wir stellen diese Fotografien im Haus der Kunst aus, weil sie weder dem sensationslüsternen Blick von Reportage-Fotografien noch der Ästhetisierung der Wirklichkeit in die Zeitlosigkeit klassischer Kunstfotografie folgen. Zwischen der Skylla und der Charybdis professioneller Fotografie findet Larsson einen dritten Weg, auf dem die kurzen Wellen politischer Aktionen und Repräsentationen und die langen Wellen des immer gleichen Alltagslebens der Stadt ineinanderfließen.

Die persönliche Sicht des Fotografen verdankt sich zum einen der besonderen Situation Berlins, wo sich ungeachtet der Schnittlinie zwischen Ost- und Westsektoren mit ihren eigenständigen Entwicklungen auch ein untergründiges Zusammengehörigkeitsgefühl erhalten hat, das mit den Begriffen der krittelnden "Berliner Schnauze" und der Hinterhofsolidarität nur andeutungsweise umrissen wird. Zum anderen beruht die persönliche Handschrift der Stadtansichten auf der außergewöhnlichen Stellung Larssons, der als gebürtiger Schwede mit 22 Jahren aus dem Pariser Intellektuellenmilieu nach Berlin kam, um den in der westlichen Sichtweise ausgeblendeten Osten unter die Lupe zu nehmen.

Der junge, in der Aufbruchsstimmung der Zeit durch die Pariser Passagen flanierende Fotograf sah sich bei seinem Ortswechsel nach Berlin in die Rolle des Mauerspringers versetzt, der eher mit anarchischer Entdeckerfreude und einem schwedischen Paß in der Tasche als mit linientreuen Scheuklappen das Prisma der Stadt aus wechselnden Perspektiven diesseits und jenseits der Mauer eingefangen hat. Entstanden ist dabei ein Kaleidoskop von Ansichten in einem dramatischen Dezennium der Stadtgeschichte, das ebensowenig ein vollständiges dokumentarisches Bild ihres Verlaufs geben will und geben kann, wie es den von links oder rechts verordneten Wahrnehmungsmustern folgt.

Der fotografierende Mauerspringer ist eher ein Querseher als ein Querdenker. Die Aufnahmen des jugendlichen Abenteurers brechen den Konformismus der Adenauer-Gesellschaft und der Ulbricht-Ära gleichermaßen auf. Der unangepaßte Blick entdeckt Facetten der hinkenden Metropole unterhalb der offiziellen Wahrnehmungsschwelle, aber auch Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge, wo die politisch verordnete Wahrnehmung nur Unterschiede in der Lebensqualität und ideologische Gegensätze gelten läßt.

Die eingefangenen Bilder gewinnen ihre Stärke entweder aus der distanzierten Betrachtung des Melancholikers, dessen Fotoauge über die Bruchstücke der deutschen Katastrophengeschichte streift, oder aus der distanzlosen Involviertheit des Zeitgenossen, der inmitten des Geschehens die entscheidenden Augenblicke festhält. Hier mischt sich einer ein, der von seiner Faszination für die Kultur der französischen Intellektuellen bewegt wird, die im Unterschied zu den deutschen politisch keineswegs enthaltsam sind, und die auch anders als hierzulande von den Politikern gehört werden. Willy Brandt, der regierende Bürgermeister von Berlin bis 1966, war vielleicht der einzige, der ein Ohr für die kritischen Zweifel der Intellektuellen hatte. Von ihm stammt auch das immer noch nicht eingelöste Politikerwort von 1989, daß jetzt zusammenwächst, was zusammengehört.

Larssons kritisches Inventar der Hauptstadt im Wartestand macht diese Zusammengehörigkeit sichtbar, wenn auch mehr als Aufgabe eines mündigen und selbstbestimmten Bürgers denn als Faktum.

Bernard Larsson geboren am 21.5.1939 in Hamburg 1948- 54 Schulbesuch in Stockholm 1954-57 Gymnasium, Hamburg 1956 Briefwechsel mit Renger-Patzsch 1957-59 Staatslehranstalt für Fotografie, München 1959-61 Fotoassistent, VOGUE, Paris Begegnung mit dem Fotografen Richard Avedon, Bruse Davidson, Hiro, William Klein und Irving Penn und mit Regisseuren der nouvelle vague 1961-64 Selbstgewähltes Fotoprojekt, Berlin 1964-66 NDR Fernsehen, Regieassistenz u.a. bei Egon Monk, Hamburg 1966-68 Fotoreporter STERN, Berlin 1968-70 Fotoreporter ALLERS förlag, Hälsingborg Reise nach Warschau, Prag und Budapest 1970-71 WDR Fernsehen, Dokumentarfilmregie, Köln Begegnung mit André Kertész in New York 1971-73 Studium der Sozialpädagogik, München 1973-75 Institut für Unterrichtsmitschau und didaktische Forschung der Universität München Beginn des Studiums der Soziologie, München seit 1975 Mode- und Werbefotograf, München, Paris, Mailand

Veröffentlichungen - Die ganze Stadt Berlin. Politische Fotos, Nannen Verlag, Hamburg, 1964, Text Michel Butor - Demonstrationen. Ein Berliner Modell, Voltaire Verlag, Berlin,1967 - Stilgeschichte der Fotografie, 8-teiliger Fernsehdokumentarfilm, WDR, Köln, 1971 (in Zusammenarbeit mit Thomas Neumann, Düsseldorf, und Esta Marshall, New York)

Ausstellungen - Salon International du Portrait, Bibliotheque Nationale, Paris, 1960 - Fotos aus Ostberlin, Bonn, Hamburg und New York, 1963 - Studentendemonstrationen, Galerie Hammer, Berlin, 1967

Mitarbeit - Michel F. Braive, L'age de la photographie, Bruxelles,1965 - Weltausstellung der Fotografie, Karl Pawek, STERN, Hamburg

Stimmen zu einem Buchprojekt von Bernard Larsson, 1964

Hans Magnus Enzensberger, aus einem Brief an Bernard Larsson vom 7. Dezember 1963: Sehr geehrter herr larsson, ihre fotos finde ich gut. ich bin kein großer freund von bildbänden. aber ich kann mir vorstellen, daß ihre aufnahmen ein brauchbares buch ergeben werden.... Aber warum überhaupt text? ihre fotos bedürfen keiner interpretation und keines kommentars....

Uwe Johnson, aus einem Brief an Bernard Larsson vom 28" Mai 1964: ...Nach diesem Verfahren Goethes, "durch einander gegenübergestellte und sich gleichsam ineinander abspiegelnde Gebilde den geheimeren Sinn dem Aufmerkenden zu offenbaren", könnte ich mir leicht ein Buch denken, in dem die Bilder aufeinander folgen, ohne in Kapitel gesperrt zu sein, und die verschiedenen Situationen an den verschiedenen Stellen der Stadt darstellen (wobei die Gegenüberstellung von West und Ost nicht auf Reichtum und Ärmlichkeit hinweisen sollte, sondern auf den Unterschied der beiden Lebensweisen schlechthin), so zu sagen wie ein Führer durch die Städte Berlin. Bei einer solchen Lösung brauchen die Bilder gar keine, womöglich 'literarischen Texte', und es genügt, wenn ein Passant in der Linienstraße einfach 'Passant in der Linienstraße' genannt wird, oder ein Vorgang kurz erklärt wird....

Alain Resnais, aus einem Brief an Bernard Larsson vom 8. Mai 1964 (Übersetzung B. Larsson): Es gibt Fotobücher (durchaus charmante), die man durchblättert, eher zufällig, zerstreut, beim Plaudern. Hier das Gegenteil, die Abfolge der von Bernard Larsson gemachten Bilder fesselt den Betrachter von der ersten Seite und nötigt ihn, das Buch in einem Zug bis zur letzten durchzugehen - stillschweigend!

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Bernard Larsson
Berlin - Hauptstadt der Republik
Fotografien aus einer geteilten Stadt 1961-1968