press release only in german

Berthold Reiß. Exemplar
25.01.2019–10.03.2019

Über die letzten Jahrzehnte hat Berthold Reiß ein hochgradig eigenständiges bildlich-konzeptuelles Werk geschaffen. Durch klare Konturen bestimmt, entwickeln sich seine Bilder aus piktogrammartigen Bildzeichen und ornamentalen Strukturen. Daneben verfasst Reiß Texte, die das Verhältnis von Begriff und Bild, von Denken und Anschauung sprachlich untersuchen. Bild- und ideengeschichtlichen Phänomenen und Brüchen nachgehend, bewegt sich Reiß von der Gegenwart und Moderne über die Romantik und Aufklärung immer wieder auf die Antike zu. Dabei greift er spezifische Denk- und Bildfiguren exemplarisch heraus und bezieht sie über disparate Kontexte hinweg aufeinander, wobei beispielsweise ein antikes Ornament, ein Gedanke von Immanuel Kant, ein Ereignis der römischen Geschichte oder das Logo auf einer Zigarettenschachtel aus dem arabischen Raum mit ihrem ganzen Gewicht als gleichwertige Elemente in seine Praxis einfließen.

Reiß‘ Ausstellung Exemplar folgt einer Doppeldeutigkeit dieses ursprünglich lateinischen Wortes, das Abbild aber auch Vorbild oder Urbild bedeutet. Ein Exemplar kann als Beispiel auf etwas verweisen oder steht als Einzelding, das erst auf seine Bedeutung hin befragt werden muss, für sich. Es kann Ausführung oder Entwurf, Repräsentant oder Individuum sein. Bezogen auf Kunstwerke verweist der Begriff des Exemplars zugleich auf einen Widerstreit zwischen dem autonomen Zeichen und seiner kommunikativen Funktion bzw. den Gebrauchskontexten, in die es eingebettet ist, auf eine Spannung zwischen der konkreten Einzelerscheinung sowie ihrem Potential, über sich hinaus zu weisen und damit Bedeutungen oder Welten zu erzeugen. Die Ausstellung im Kunstverein führt drei neuere Werkkomplexe von Reiß zusammen, die auf unterschiedliche Weise durch dieses Spannungsverhältnis gekennzeichnet sind.

In der Ausstellungshalle werden zwei Arbeiten gezeigt, die bislang nur als Entwürfe vorlagen. Die Arbeit Ada wurde von Reiß 2014 in Istanbul als Workshop für eine Bank konzipiert, um künstlerisches Arbeiten mit der Arbeit in der Wirtschaft in ein Verhältnis zu setzen. Mit der je eigenen Auswahl und Zusammenstellung von vorgefundenen Formen sollten darin den TeilnehmerInnen Möglichkeiten vor Augen geführt werden, „eine kleine, eigene oder ganze Welt“ zu formulieren. Im Kunstverein nimmt diese ursprünglich als interaktiver Workshop entwickelte Arbeit die Form eines räumlichen Displays an, das die Ausstellung Exemplar als Entwurf enthält. Auf einem modularen Holzgestell wird über schriftlich verfasste Konzepte, Skizzen und Entwürfe die Praxis von Reiß exemplarisch und als offener Prozess dargestellt.

Das Display enthält auch das Konzept zur Wandmalerei Cameo, die Reiß 2016 für die Intensivstation eines Krankenhauses vorgeschlagen hat und von der er für die Ausstellung erstmalig eine Auswahl von Motiven ausführt. Es sind in Form und Größe je individuelle Ovale, in denen einfache, schematische Figurationen und ornamentale Muster vor einem farbigen Grund erscheinen. Für diese Wandarbeit dient Reiß ein Zitat aus Novalis‘ Roman Heinrich von Ofterdingen als Motto. Es beschreibt eine Vision des Protagonisten, dem sich in einer schweren Lebenskrise unvermittelt der Blick in eine fantastische Welt öffnet. Dementsprechend entwirft jedes Cameo „eine kleine, aber erneuerte Welt“.

Als dritte Werkgruppe werden auf der Galerie des Kunstvereins eine Auswahl neuer Aquarelle von Reiß präsentiert, die in erster Linie nicht für etwas anderes, sondern für sich stehen, aber auch als noch zu verwirklichende Entwürfe gelesen werden können. In vielen seiner neueren Bilder arbeitet Reiß mit Rankenmotiven und „arabesk“ anmutenden Ornamenten, deren Komplexität und Dynamik die Möglichkeit einer Bildsprache jenseits von Gegenständlichkeit und Abstraktion öffnet.

Vor dem Hintergrund zunehmend digital bestimmter und reproduzierbarer Wirklichkeiten fragt Reiß‘ Ausstellung Exemplar nach dem Potential des nicht-reproduzierbar Einzelnen und irreduziblen Partikularen. Dieses wird nicht im Sinne eines Originals postuliert, vielmehr eine Perspektive vorgeschlagen, ein Bild, eine vorgefundene Form oder auch „die Welt“ exemplarisch zu betrachten, als einmalige, kontingente Einzelerscheinung, die zugleich über sich selbst hinausreicht.

Neben Führungen und einem Kinderworkshop finden am Samstag, den 23. Februar, ab 15 Uhr mehrere Veranstaltungen aus dem Begleitprogramm der Ausstellung statt. Die Kunsthistorikerin Dr. Daniela Stöppel, die schon lange mit der Arbeit von Reiß vertraut ist, spricht über visuelle Zeichensysteme. Das sind z.B. Farbleitsysteme, Verkehrszeichen oder Piktogramme, die der Kommunikation dienen und Handlungsanweisungen geben können. Danach findet ein Gespräch mit Berthold Reiß statt und das Buch Antinomia, in dem seine Texte erstmalig gesammelt veröffentlicht werden, wird vorgestellt.

Berthold Reiß (* 1962, Salzburg) lebt und arbeitet in München.

Einzelausstellungen (E) und Gruppenausstellungen (G) (Auswahl): 2017: nur zwei, Loggia, München (E); The happy fainting of painting #2, Galerie Krobath, Wien (G); Site Visit, Kunstverein Freiburg, Freiburg (G); 2016: und du wirst nichts vergessen, Galerie Rupert Pfab, Düsseldorf (E); Die Kunst der Türken, Kunstverein Düsseldorf, Düsseldorf (G); 2015: PROTOKOL, Kunstraum München, München (E); Sinopale, 5., International Sinop Biennial, Sinop, Türkei (G); 2014: Instrument Erinnerung. Der Mnemosyne-Bilderatlas von Aby Warburg, Kunstraum München, München (G); 2013: SVPERFLAX, Galerie Christine Mayer, München (E); 2012: Antinomia, Galerie Matthias Jahn, München (E); 2011: The Klingsohr Märchen, Galerie Ben Kaufmann, Berlin (E); Das Traumbuch, Galerie Rupert Pfab, Düsseldorf (E); MIND THE GAP, Kai 10, Düsseldorf (G); 2010: The Beauty of Distance. Songs of Survival in a Precarious Age, 17th Biennale of Sydney, Sydney (G); 2009: Access All Areas, Galerie Max Hetzler, Berlin (G); 2008: Favoriten 2008, Lenbachhaus, München (G).

Programm

Do, 31.01.2018, 19 Uhr
Kuratorenführung mit Heinrich Dietz

So, 10.02.2018, 14 – 16 Uhr
Kinderworkshop (um Anmeldung wird gebeten)

Do, 14.02.2018, 19 Uhr Öffentliche Führung

Sa, 23.02.2018, 15 Uhr
Visuelle Zeichensysteme Vortrag von Daniela Stöppel, anschließend Gespräch mit Berthold Reiß und Buchvorstellung Berthold Reiß, Antinomia

Eröffnung

Fr, 25.01.2018, 19 Uhr
Einführung: Heinrich Dietz, Direktor
Öffnungszeiten

Di – So 12 – 18 Uhr, Mi 12 – 20 Uhr, Mo geschlossen,
Eintritt: 2 € / 1,50 €
Donnerstag gratis, Mitglieder frei