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Besser scheitern / Fail better
in Ingelheim
Videos von internationalen Künstler*innen 18.06.2016 bis 14.07.2016

Orte: Museum bei der Kaiserpfalz und weitere Orte im Zentrum der Stadt

Die Bauarbeiten zur Sanierung und Erweiterung des Alten Rathauses, in dem seit 1983 die Ausstellungen der Internationalen Tage Ingelheim stattfinden, lassen in diesem und auch im kommenden Jahr dort keine Ausstellung zu. Aus diesem Grund kommen die Internationalen Tage 2016 ungewohnt daher. Dezentral, an verschiedenen Orten im Zentrum der Stadt verteilt, werden Videos von international renommierten Künstler*innen gezeigt. Wir konnten Dr. Brigitte Kölle gewinnen, dieses Projekt, das sie bereits 2013 für die Hamburger Kunsthalle entwickelt hat, für Ingelheim zu modifizieren und erneut zu kuratieren.

Mit diesem für Ingelheim neuartigen Projekt möchten wir anregen, aufregen, erheitern und unterhalten.
Dabei wünsche ich Ihnen viel Spaß.

Dr. Ulrich Luckhardt

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„Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern“, so formulierte es der bekannte irische Schriftsteller Samuel Beckett. Gemäß des Beckettschen Credos präsentieren die Internationalen Tage Boehringer Ingelheim Video- und Filmarbeiten von den 1960er Jahren bis heute. International bekannte Künstler*innen gehen hier dem komplexen Phänomen des Scheiterns nach: Spielerisch, lustvoll, tragisch, komisch, trauernd, überraschend. Für Versagen, Fehlschläge und Niederlagen bleibt in unserer heutigen Erfolgsgesellschaft, im Zeitalter der Machbarkeit und Fortschrittsgläubigkeit, wenig Raum. Leistung, Effizienz und Erfolg sind gefragt. Kein Wunder, dass der amerikanische Soziologe Richard Sennett das Scheitern einmal als das große Tabu der Moderne bezeichnet hat. Über das Scheitern, insbesondere das persönliche Scheitern, wird ungern gesprochen, impliziert es doch das Eingeständnis einer Grenzerfahrung, bei der nichts mehr so ist, wie es vorher war. Doch bedeutet Scheitern zwangsläufig Misslingen? Es liegt gerade in der Paradoxie des Scheiterns, dass Zusammenbruch und Neubeginn, Resignation und Hoffnung zusammenfallen: So kann sich aus der scheinbaren Niederlage auch etwas ungeahnt Neues, Anderes entwickeln.

In der Kunst ist das Scheitern als nötiges Wagnis, als Form des Experiments, schon immer eng mit dem künstlerischen Schaffensprozess verbunden gewesen. Das Scheitern in der Kunst impliziert, dass das gesicherte und vertraute Terrain verlassen und Außergewöhnliches gewagt wurde. Der Schriftsteller Wilhelm Genazino hat einmal zu Recht Künstlerinnen als „Vorturner des Scheiterns“ bezeichnet. Kunst wird damit verstanden als ein offener, suchender Prozess, jenseits eines notwendig abgeschlossenen Produkts oder der Schaffung eines Meisterwerks. Die Beschäftigung mit dem Unvermögen und das sich in der permanenten Wiederholung artikulierende, sisyphosartige Abarbeiten an den Absurditäten des Lebens hat für Künstlerinnen bis heute nicht an Attraktivität verloren – im Gegenteil: Die Erfahrung des Scheiterns erweist sich als eine grundsätzliche Fragestellung der Kunstpraxis heute.

Kuratorin: Dr. Brigitte Kölle

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Museum bei der Kaiserpfalz, Ingelheim am Rhein:

Thorsten Brinkmann (*1971) demonstriert in seiner Videoarbeit »Se King« (2009) beharrlich und hochkonzentriert Posen von Machtausübung und Herrschertum. Attribute wie ein roter Umhang, eine weiße Kopfbedeckung und ein länglicher zepterähnlicher Gegenstand in der Hand verbinden wir automatisch mit Würdenträgern wie beispielsweise Karl dem Großen, obwohl es sich bei der Verkleidung nur um einen alten Vorhang, einen verbeulten Tretmülleimer und eine Gardinenstange handelt. Die oftmals unbeholfen wirkenden Bewegungsabläufe und Posen bewirken eine Situationskomik. Ein Scheitern an kulturell vermittelten Machtdemonstrationen ist offensichtlich, zugleich sympathisch und tief menschlich.

Dr. Brigitte Kölle