press release only in german

Seit den späten dreißiger Jahren setzen sich Künstler verstärkt mit dem Thema der Geometrie auseinander. Die Liste der Namen ist lang: Man denkt an Josef Albers, Max Bill, Sol LeWitt, Richard Serra, Laurence Weiner, um nur einige zu nennen. Das Thema Geometrie verbindet sich mit der konrekten Kunst, mit Minimalismus, Serieller und Konzeptkunst. Auch für die islamische Kunst spielt die Geometrie bekanntlich eine zentrale Rolle.

In unserer Ausstellung konfrontieren wir vier verschiedene Künstler, ihre unterschiedlichen Ansätze und Techniken, unter dem Motto „Beyond Geometry“. Dieser Titel beschreibt die vorgestellten Werke als Beispiele aus einem Bereich jenseits der Geometrie. Zugleich aber verweist er auf die Geometrie als auf jenes Feld zurück, auf das sich die Künstler mit ihren Werken hauptsächlich beziehen: Auf die meßbaren Verhältnisse von Punkten, Geraden, Ebenen und Schnittpunkten und ihre mathematische Bestimmung, sowie auf die aus diesem Grundelementen konstruierten Körper in der Fläche oder im Raum.

Obwohl zunächst aus einfachen Elementen aufgebaut, entstehen in den Werken von vier verschiedenen Künstlern, die in dieser Ausstellung vorgestellt werden, auf unterschiedlichen Wegen sehr komplexe, künstlerisch gestaltete Objekte. Die objektivierbaren, kontrollierten Entstehungsprozesse lassen Stimmungen entstehen, die sich von den Bildern auf die Betrachter übertragen.

Die in Köln lebende Malerin Birgit Antoni beschäftigt sich bereits seit mehr als zehn Jahren mit der Grundform des Kreises. Aus handgezogenen Kreisen und ihren Überschneidungen entwickelt sie ihre Bilder. Dabei bleiben die Kreise selbst mit ihren Umrissen oft nur als Negativformen erhalten, die Umrisse verschwinden unter Übermalungen. Die nebeneinanderliegenden, in unterschiedlichen Farben angelegten Segmente ordnet das Auge des Betrachters dann der zugrundeliegenden Kreisform zu. Dabei entsteht aber einige Irritation. Dadurch, daß die Kreise nicht mit dem Zirkel gezogen, sondern von Hand umrissen sind, variieren sie – manchmal mehr manchmal weniger – in Größe und Form. Sie geraten gewissermaßen leicht aus dem Gleichgewicht. Dem völlig Regelmäßigen der vollkommenen geometrischen Form Kreis läuft das nicht völlig Kontrollierbare des freihändigen Zeichnens zuwider. Das führt oft zu einer Dynamisierung und zu einer Verräumlichung von Antonis Bildern. Von der Bildmitte ausgehend, entwickeln sich aus den Systemen nebeneinander und übereinander gelegter Abfolgen von Kreisen komplizierte Muster, die sich, kaum in ihrer Gesetzmäßigkeit erkannt, auch schon wieder aufl ösen und verwandeln. Birgit Antoni arbeitet oft mit vier, manchmal auch nur mit drei oder zwei Lokalfarben. Oft benutzt sie die helle und die dunkle Variante eines Farbtons und ergänzt ihn durch einen Komplementärkontrast, so daß ein Spiel von Positiv und Negativ entsteht. Eigenartigerweise ist man versucht, die Formen und Muster in Antonis Bildern mit Begriffen zu beschreiben, die sie vermenschlichen. Sie besitzen oft etwas Tänzerisches, Ausgelassenes. Manche wirken frech, manche leichtsinnig, manche gesprächig, andere zurückgenommen und dezent. Daß eine solche Beschreibung von Stimmungen oder sogar Charaktereigenschaften den Intentionen der Malerin nicht ganz entgegensteht, scheint man den Namen entnehmen zu können, die sie ihren Bildern gibt: „Mädchen“ oder „Dame“ (beide 2003) aber auch Vornamen wie Gerti, Moni, Susi, Melissa oder – bei zweiteiligen Bildern – Doppelungen wie „Blanka und Blanka“ (2007). Ob man mit diesen Namen konkrete Personen assoziieren darf, oder ob sie vielmehr aufgrund ihres Klangs und ihrer Struktur gewählt wurden, um ihrerseits die Farbklänge und Strukturen zu beschreiben, bleibt offen. Die Dynamik und die Bewegung, die während des Betrachtens in Antonis Bildern zuzunehmen scheinen, erinnern, wie die zuweilen wie Zeichentrickfi guren umrissenen Formen (vgl. noch einmal „Blanka und Blanka“), an das Medium des Films, von dem die Malerin tatsächlich herkommt. Elemente des Films als einem diachronen, ein Geschehen abbildenden Medium, scheinen in ihren Bildern auf: die Bewegung, das Erzählerische und die Entwicklung innerhalb einer Zeitspanne, jener Zeitspanne nämlich, in der der Blick des Betrachters sich über das Gemälde bewegt.

Die Fotografi en von Johannes Franzen basieren auf Hexadezimaldateien: Mittels ihrer organisiert der Künstler die (bild-) räumliche Zuordnung von Farbwerten. Im Unterschied zu seinen früheren Arbeiten, in denen dem Zufall eine dominante Rolle zugebilligt wurde, ist der Entstehungsprozess der vorliegenden Werkreihe gekennzeichnet durch den kontinuierlichen Abgleich zwischen dem auf digitaler Ebene (sozusagen „an sich“) Vorhandenem und dem optisch Wahrnehmbaren. Bereits durch den Modus ihrer Produktion ist den jüngsten Arbeiten somit die wahrnehmungsanalytische Dimension eingeschrieben. Es ist der haarfeine Riss, der die Gesamtheit des Sichtbaren untergründig durchläuft, den Franzen zum tanzen bringt: Anvisiert wird, und darin besteht die klar identifi zierbare Kontinuität von Franzens fotografi schem Werk, nicht weniger als die Totalität; durch den vollzogenen Wechsel von der Diachronie zur Synchronität jedoch gelangt erstmals die Frage nach den strukturellen Bedingungen menschlicher Wahrnehmung in das Zentrum der Betrachtung. „40962 Farben“, der Titel der Reihe, verweist auf auf die 16777216 unterschiedlichen Werte, die den digital abbildbaren Farbraum konstituieren. Da jedes einzelne Bild jeden dieser Farbwerte genau einmal beinhaltet, konfrontiert sie ihren Betrachter mit dem umfassenden Inventar der Bedingung der Möglichkeit optischer Wahrnehmung. Ein zutiefst paradoxer Prozess wird initiiert: Man weiß sich allen Farben gegenüber, was aber sieht man? Alles? Oder doch mehr? In der Gesamtschau der Fläche erkennt man einen Farbverlauf, der erzeugt ist durch die Kombination verschiedenfarbiger kleiner Quadrate. Fast automatisch tritt man näher, um das genaue Zusammenspiel zu erkunden. Man erkennt, dass sich die Rasterstruktur der Farbfl äche in den einzelnen Punkten wiederholt. Zunächst scheint es, als ob sich die einzelnen Mikroeinheiten nicht voneinander unterschieden; sobald sich das Auge allerdings „eingesehen” hat, entsteht durchaus eine gewisse Trennschärfe – selbst die Farbverläufe innerhalb der Mikroeinheiten lassen so einzelne Farbwerte erkennen. Offensichtlich geht es dem Künstler weniger um die phänomenologische Analyse der Farbe, als vielmehr um eine genaue Differenzierung zwischen visuellem Erkennen, optischem Wahrnehmen und seiner Verarbeitung in unserem Wahrnehmungsapparat. Der Betrachter wird vor das Paradoxon gestellt, die Totalität visuell zu erfassen, sie auch im Einzelnen nachvollziehen zu können, jedoch außer Stande zu sein, sich eine konkrete Vorstellung davon zu erarbeiten. Gespiegelt wird das Unvermögen, ein defi nitives Vorstellungsbild zu gewinnen, nicht zuletzt darin, dass die Totalität der Farben tatsächlich ganz unterschiedlich aussehen kann.

John Hilliard, der in London lebt und arbeitet und zur englischen Schule der konzeptuellen Fotografi e gehört, hat schon in den frühen siebzigen geometrische Muster oder Ausschnitte über einfache Fotos gelegt und so erreicht, daß aus einer einfachen Vorlage eine lebendige Geschichte – ausschließlich in der Fantasie des Betrachters – wurde. Die geometrische Form und der Inhalt waren dabei sorgfältig abgestimmt. In den farbigen Arbeiten, die um 2002 herum entstanden, ist er erneut zum Spiel mit der Geometrie zurückgekehrt. Unterschiedliche Belichtungssituationen, d.h. die Verwendung von verschiedenen Leuchtkörperarten, schaffen ganz unterschiedliche Farben auf dem selben Fotopapier, ein Effekt, den Hilliard zur Schaffung einer zweiten oder dritten Ebene im realen Raum einsetzt.

Obwohl bei Imi Knoebel der Bezug zur Geometrie am einfachsten erscheint – verwendet er doch häufi g einfache Figuren wie Rechtecke und Quadrate – wäre es doch zu einfach, ihn darauf zu reduzieren, geht es ihm doch genauso um den Einfl uß der Farbe auf den Betrachter und um die Refl exion der Bedingungen der Wahrnehmung. Die auf den ersten Blick einfachen Farb-Formen fangen bei intensiver Betrachtung an, sich zu bewegen, zu pulsieren. Und die Oberfl ächen sind bei genauen hinschauen alles anders als monochrom.

In der Zusammenschau der vier Künstler zeigt sich ein heterogenes Bild, das die Spannweite der Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Geometrie heute sichtbar macht, wobei das Medium der Fotografi e die Frage nach den naturwissenschaftlichen Aspekten der Bilderzeugung besonders hervorhebt. John Hilliard und Johannes Franzen thematisieren beide die Gesetze der Optik in ihren Bildern, und führen damit eine weitere „objektivierende“ Instanz in ihre Bilder ein. Dieser Kontext wirft auch ein neues Licht auf Imi Knoebels Farb-Formen und ihre faszinierende Wirkung. Am anderen Ende der Skala befi ndet sich Birgit Antoni, die immer aufs neue die Idee der perfekten geometrischen Form und des Zusammenspiels der Farben erforscht, ebenfalls ihre Möglichkeiten streng beschränkend: auf Leinwand, Farbe, ein begrenztes Repertoire an Formen und auf die sich in jahrelanger Arbeit übende Hand der Künstlerin.