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Die Poesie des Kaputten oder das reine Passiv Bemerkungen zu Birgit Brenners Glutkern von Peter Herbstreuth

Seit über fünf Jahren entwirft Birgit Brenner Szenen aus dem Leben untröstlicher Frauen und stellt ihr Leben zwischen Alleinsein und NichtAlleinsein als Katastrophe dar. Männer spielen in ihren fiktionalen Dokumentationen die Rolle unentschlossener Lebensabschnittspartner. Ihre Exposees reihen die Fragezeichen der Biographien wie Gräber auf einem Friedhof aneinander und protokollieren den Zustand von Namenlosen zwischen Unruhe, Hysterie und sehnender Trauer: Angst vor Gesichtsröte (1999/2000), Pforzheimer Straße 27a (2000), Erzählen Sie weiter! (2001), All this started with love (2003), Sie lacht oft ohne Grund (2004) und nun Die besten Jahre (2005) entfalten die inneren Zustände und äußeren Anzeichen verpfuschter Leben, in denen alle Erwartungen freudlos auf der Stelle treten. Der Stillstand der Geschichte entspricht der Erschöpfung der Figuren.

Brenner erstellt ein variables Szenario alltäglicher Verzweiflung, aktiviert mit Fotofragmenten, Schrifttafeln, Wollfäden, in die Wand gehauenen Nägeln ein reizbesetztes all over und lässt der Energie der exponierten Teile freien Lauf. Wer den Raum betritt, bewegt sich im Schlaglicht der Psyche einer Protagonistin und folgt den Parataxen ihrer Monologe. Manche erklären sich die Anziehung der Environments mit der Fetischisierung von dynamischen Details. Neben einem Koffer steht “Happy End“ in blutschmieriger Pinselschrift (performativer Widerspruch). Andere glauben, das ausgestellte Unbehagen lasse sich als Allegorie der Kunst lesen. Was für die Frau gelte, sagen sie, das gelte auch für die Kunst, und was für den Mann gelte, das gelte auch für den Betrachter. Sie verstehen sich nicht.

ANAMNESE. Sie wurde 1961 in Süddeutschland geboren und erinnert sich noch an das Schild der Kehrwoche im Treppenhaus, das Fernsehen mit Schwarzweißbildern, einen Ford Capri, Styroporfliesen an der Decke und Flokatiteppiche am Boden. Als Mädchen hatte sie ihre Mutter beim Selbstmord überrascht und dafür gesorgt, dass sie ins Krankenhaus kam. Einige Tage vor ihrer Hochzeit versuchte sie dasselbe und überlebte. Sie heiratete und ließ sich wieder scheiden. Seither blieb sie meistens allein, oft in einer gereizten Atmosphäre wie das junge Paar in Fatih Akins Film Gegen die Wand: verzweifelt aus Lebenslust.

Eine ihrer imaginären Schwestern wurde 1970 geboren, kaute an Fingernägeln, begann mit zehn Jahren ein Tagebuch zu führen, notierte mit zwölf die Trennung ihrer Eltern, mit sechzehn den Suizid ihrer Freundin, mit vierundzwanzig ihren Auszug aus der elterlichen Wohnung und immer wieder ihre Übernervosität. Seit 1999 ist sie verschwunden, sagt ihre Erzählerin - eben seit jener Zeit, als Birgit Brenner nach der Ausstellung Nicht neurotisch (1998) die Szenarien der multiplen Frau begann.

FORMIERUNG. Man hat Brenners Recherchen detektivisch genannt. Detektive wollen Tathergänge klären und Fälle lösen. Brenner sucht aber weder Klärung noch Lösung, sondern Verwicklung in die Zeichen- und Reaktionswelt des Kaputten. Sie will den Betrachter in das Szenario hineinziehen und ihn zum ohnmächtigen Zuschauer einer Katastrophe machen - im Sinne Walter Benjamins, der meinte, die Katastrophe bestünde darin, dass es immer so weitergeht.

Diese Poesie des Kaputten hat durchaus romantische Reize. Sie zeigt sich in den Erzählungen von Charles Bukowski wie auch im Klima der Vergeblichkeit der Klavierspielerin von Elfriede Jelinek oder in Judith Hermanns Sommerhaus, später. Sie strukturiert die Selbstdarstellungen in den Fotografien von Boris Mikhailov und von Richard Billinghams Elternhaus. Und sie entspringt auch bei Birgit Brenner der Ununterscheidbarkeit zwischen Dokumentation und Fiktion. Alle diese Werke stellen das Leben als Tristesse in den Mittelpunkt, zeigen die Ausnahme als monotones Regelmaß und widersprechen mit der Inszenierung des versehrten Körpers als Hülle der verwickelten Psyche ebenso den Idealbildern der kommerziellen Werbung wie den happy endings fast aller Kinogeschichten. Sie zeigen die Negation des Erstrebenswerten als Kontrast zur populären Kultur.

Da es fast immer eine Frau ist, die spricht und schreibt und deren gesichtsloser Körper gezeigt wird, erscheint sie als Idealtypus. Dabei bewirkt die Entindividualisierung bei gleichzeitiger Betonung des Persönlichen eine distanzierte Teilnahme am Szenario einer heillos verstrickten Frau. Doch lässt die kalkulierte Platzierung der Einzelelemente offene Stellen im Installationsraum - Platz genug, um sich der komplizierten Kommunikation gewahr zu werden. Wenn also die Leidensfragmente analog der Kunst stehen, öffnen die Zwischenräume, i. e. die Rätsel der Geschichte, den Weg, durch den der Betrachter ins Spiel kommt: passiv und außerstande, in die Produktion einzugreifen.

Das Szenario erzeugt eine Einheit im Raum und suggeriert eine Einheit der erzählten Zeit. Aber es gibt keine Einheit der handelnden Personen. Die Frau erscheint wie eine zerkratzte Matrize, in der alle Ereignisse Schnittspuren hinterließen. Ihre dumpfe Traurigkeit findet formalen Biss in der Konstellation und erzeugt Verknüpfungen, die auf eine Fluchtlinie hin ausgerichtet sind: Die Allegorie der Kunst erscheint als zerzauste Melancolia. Alles ist aus der Verkettung der Geschichte gesprungen. Phantasmen der Angst spielen in Schrift, Bild, Zahl und Wunde die bekannnten Attribute an, kennen kein Bewusstsein ohne Schmerz und intonieren den deutschen Blues von Ich-weiß-nicht-was-soll-es bedeuten.

VERORTUNG. Schmerz und Sehnen sind hier die Medien, von denen alle Produktion ausgeht. Der Raum ist das Medium, in dem sie gezeigt werden. Brenners Frau gleicht den Replikanten von Ridley Scotts Blade Runner. Sie werden mit einer Fotodokumentation versehen, die ihnen eine Genealogie zuschreibt. Zwar ist die Dokumentation fiktiv, aber sie verleiht ihnen ein virtuell stattgehabtes Leben. Um jedoch als Akt der Setzung wirklich zu werden, müssen reproduktiven Teile in einem öffentlichen Raum verortet werden, der das Hier und Jetzt erzeugt. Danach können sich die Teile in alle Richtungen verselbstständigen und neue Konstellationen finden.

Lit: Giorgio Agamben: Homo Sacer. Frankfurt/M. 2002. Birigit Brenner: Sie lacht oft ohne Grund. Stadthaus Ulm 2003. Hartmut Böhme: Albrecht Dürer. Melencolia I. Frankfurt/M 1989. Boris Groys: Topologie der Kunst. München 2003.

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Birgit Brenner "Die besten Jahre"