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Born in the Dolomites! Mit diesem Satz beantwortet Gilbert Prousch, Teil des international bekannten Künstlerpaares Gilbert & George, die Frage nach seiner Herkunft. Tatsächlich stammt Gilbert aus dem norditalienischen Gadertal, im Herzen des bleichen Bergmassivs der Südalpen.

Wie Gilbert, sprechen heute noch an die 40.000 Menschen in den Dolomiten die Minderheitensprache Ladinisch – eine der ältesten Sprachen Europas. Ladinisch ist neben dem Deutschen und dem Italienischen anerkannte Landessprache in Südtirol. Das Zusammenleben deutsch, italienisch und ladinisch sprechender Menschen sorgt einerseits für kulturellen Reichtum in den Tälern des versteinerten Korallenriffs, birgt andererseits für die autochthonen AlpenbewohnerInnen mitunter auch immer wieder – durch historisch bedingte nationale Grenzverschiebungen – Identitätsschwierigkeiten.

Um dem festgefahrenen Diskurs der Zugehörigkeit auszuweichen und sich schon allein durch die Wahl der Bezeichnung als Südtiroler, Sudtirolese, Norditaliener oder Altoatesiner zu einem kategorisierenden Denkmodell zu bekennen, bevorzugen einige BewohnerInnen die Umschreibung durch die geografische Lokalisierung der Heimat. Diese territoriale Reduzierung der Provenienz auf geomorphe Landschaftsformungen und die Negierung eines politischen Zugeständnisses sind besonders für KünstlerInnen bewusste Entscheidungen, um sich nicht in eine Schublade stecken zu lassen, sondern trotzdem zu dem Gebiet zu stehen, in dem sie geboren, aufgewachsen und ihre Kindheit verbracht haben.

In der permanenten Auseinandersetzung zwischen von außen aufoktruierter Identität, klischeehafter Identifizierung und persönlicher Findung bietet der Alpenraum reichlich gesellschaftlichen, historischen, kulturellen sowie sozialen Stoff für KünstlerInnen und lässt sie in ihren visualisierten Denkprozessen in ständiger Wechselwirkung zwischen Fragen und Antworten laufend Zweifel, Jubel, Verachtung, Neugierde und Schönheit erfahren.

Die acht KünstlerInnen, die in dieser Ausstellung vertreten sind, verbindet die Tatsache, dass sie in dem sagenumwobenen Gebiet der Dolomiten bzw. in dessen Umfeld geboren und aufgewachsen sind, wobei diese Tatsache Fixtext ihrer Curricula ist. Direkt oder indirekt haben alle ausgestellten Arbeiten der KünstlerInnen einen Bezug zu hochalpinen Gipfeln und tiefen Tälern. Die Mischung aus schroffen Bergspitzen, sanften Almen, vom Transit geplagten Tälern und idealisierten Tourismusorten sind in den Köpfen, Denkschemata und Charakteren der KünstlerInnen eingeschrieben. Auch wenn der formale Zugang und die künstlerische Umsetzung ihrer Interventionen völlig unterschiedlich sind und oberflächlich betrachtet kaum Verbindungen aufweisen, sind bei allen acht KünstlerInnen Rückschlüsse auf die eigene Herkunft lesbar:

Bei Gabriela Oberkofler und Carlo Speranza sind es offensichtliche Assoziationen zu kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen des Dolomitenareals. In dem aus dem Dialekt entlehnten Vokabular wie „Buggelkraxe“ und „Holzpyjama“ sowie in der Wahl der Materialien – recycelte Obstkisten – knüpfen beide enge regionale Bezüge, um auf eigentümliche Lebensgewohnheiten und Gesellschaftsformen des Alpengebiets aufmerksam zu machen.

Hubert Kostner folgt einem ähnlichen Denkprozess. Er fokussiert allerdings nicht ausschließlich auf den Alpenraum, sondern bindet mit dem Objekt „Kochmaschine“ den gesamten deutschsprachigen Raum mit ein. Nach dem Motto „Solange die Maschinerie Familie um den Herd reibungslos läuft, lösen sich alle sozialen Probleme von selbst“ spielt Kostner auf die tradierte bäuerliche Rollenaufteilungen im sozialen Apparat Familie an.

Um das Rollenbild der Frau geht es auch in den Arbeiten von Sissa Micheli, in denen sie femininen Objekten – bevorzugt Kleidern - eine neue Aufgabe zuspricht, die dem Verlangen nach Veränderung nachgeben und den Ausbruch aus der Regelmäßigkeit anstreben.

Gino Alberti und Martin Pohl thematisieren die Landschaft und ihre Ästhetik und revolutionieren in eigenständiger Manier den traditionellen Darstellungsmodus des Alpenraums, der durch Attribute wie Faszination, Ehrfurcht, wilde Romantik, schauernde Tragödien und Dramatik über Jahrhunderte eine der Hauptkulissen der Landschaftsmalerei bot. Während Pohl durch einen gestischen Pinselstrich abstrahiert, gelingt es Alberti durch in die Landschaftszeichnung eingefügte Sprachbänder, das idealisierte Bild der Bergwelt linguistisch zu entkräften.

Walter Moroder bedient sich einer traditionsreichen Handwerksarbeit, der Bildhauerei aus den Dolomitentälern, um durch die Bearbeitung von Holz moderne Figuren – bevorzugt Frauen – zu schaffen und ihnen Leben einzuhauchen.

Robert Pan lässt sich in seiner Bildsprache formal und inhaltlich am wenigsten anmerken, dass er ein Kind der Alpen ist, doch ist dem Spiel aus schillernden Farben und Mustern eine auf den Bildträger übertragene Beeinflussung aus seinem persönlichen Lebensraum und Assoziationen zu Erinnerungen keineswegs abzusprechen.

Die Foto- und Videokünstlerin Sissa Micheli beteiligt sich an der Ausstellung mit einer Serie von Videoarbeiten. I want to be … four Pieces of Clothing for four Objects erzählt vier Geschichten, jene eines Hutes, eines Rocks, einer Strumpfhose und eines Damenschuhs. Alle vier Kleidungsstücke geben sich als etwas aus, das sie nicht sind. Der Hut wird zum rauchenden Vulkan, die Strümpfe flattern als Vogel durch die Lüfte, der Rock mutiert zum Baumstumpf im Wald und der Schuh gondelt durch die Kanäle Venedigs. Die Tatsache, dass alle Objekte schwarz sind, lässt sie zu anonymen vermenschlichten Stereotypen werden, die den allgemeinen Sehnsuchtsgedanken „Etwas sein zu wollen, das man nicht ist“ ad absurdum verbildlicht.

Ein aus Apfelkistenholz nachgebildetes typisches Südtiroler Dorf, bestehend aus Kirche, Schulhaus, Gemeinde und Gasthaus, eben alle charakteristischen Gebäude, lassen sich ineinander verschachtelt und am Rücken befestigt in die Welt hinaustragen. Die stilisierte Architektur wird zu einem Rucksack, den die Künstlerin Gabriela Oberkofler – dokumentiert anhand von Fotos – durch urbane und ländliche Gebiete trägt. Immer wieder hält sie auf ihrer Reise an und positioniert das Ensemble ihres Gepäcks auf heimatfremdem Boden. Der Ballast der eigenen Herkunft lastet auf den Schultern der Künstlerin, egal wo in der Welt sie sich zu bewegen scheint; ihre Wurzeln sind nicht zu übersehen, auch wenn die Globalisierung die ganze Welt zum Dorf werden lässt.

Carlo Speranza präsentiert sich in der Ausstellung mit einem ungewöhnlichen Kleidungsstück, einem Pyjama. Die tragbare Konstruktion besteht aus 2.500 handbearbeiteten Obstkistenholzlatten. Der Begriff Holzpyjama wird umgangssprachlich im Tiroler Raum als Umschreibung für einen Bestattungssarg verwendet. Der verbildlichte Begriff des Pyjamas aus Holz, diese Hülle, die man sich überzieht, um sich für die Ewigkeit schlafen zu legen, steht einerseits als Synonym für die Gelassenheit und Gemütlichkeit der Bergbevölkerung und andererseits für die makaber-humoristische Verharmlosung des endzeitlichen Daseins. Die Tragik des Todes wird durch den Faktor der Bequemlichkeit in der Bewegungsfreiheit durch einen Schlafanzugs relativiert.

Martin Pohl ist bekannt für seine großzügig geschwungenen Farbspuren, die er mit einer Rezeptur aus Wachs, gemischt mit reinem Pigment, auf dem Bildträger hinterlässt. Die abstrakten Oberflächenformationen erzeugen durch variierende Materialdichte, Konsistenz und voneinander abweichende Leuchtkraft der Farbpartikel unterschiedliche Tiefenwirkungen. Seine jüngeren Werke deuten Interieurs von bekannten Museen - die Pohl in seinem Schaffen bespielt - an. In seinen neuen Arbeiten bricht er aus dem geschlossen Raum aus und wird - ohne seinen Stil untreu zu werden - zum Landschaftsmaler, indem er von der vorwiegend senkrecht kurvigen Linienführung in eine horizontale gerade Schichtung wechselt, sodass durch wenige sicher platzierte Spachtelzüge Panoramaansichten von hochalpinen Gebirgszügen entstehen.

Gino Alberti widmet sich der Zeichnung auf großformatigen Papierbögen. Die Landschaft im Stil der traditionellen Manier des 19. Jahrhunderts ist sein bevorzugtes Thema. Klischees wie klare Bergseen von hohen Nadelbäumen umstellt, strahlende schneebedeckte Gipfel oder die weite des Ozeans lassen an idealisierte Landschaftsdarstellungen denken. Der romantische einsame Blick auf die menschenleeren Naturräume wird bei genauerer Betrachtung gebrochen: Immer wieder durchkreuzen plakative Schriftzüge wie Ortsangaben, poetische Zitate oder ernüchternde Statements wie „Morgen ist alles anders“ oder „Manchmal hab ich Glück“ die idyllischen Ausblicke und holen die Rezipientin bzw. den Rezipienten in die Gegenwart zurück.

Schillernde und tanzende Farbtupfer, die glänzende monochrome Oberflächen überziehen, charakterisieren die Bildtafeln von Robert Pan. Völlig abstrahiert und keinen Regeln folgend schweben die Farbkreise – wie in einem psychedelischen Traum – im gehärteten Harz. Immer wieder bündeln die geometrischen Formen die Punkte zu Quadraten, die im Hintergrund die unkontrollierte Summe an Punkten dezent neu formieren. Durch einen aufwändigen und beinahe alchimistischen Prozess, der viele Jahre Erfahrung und Experimentierfreude erfordert, steht das technisch komplizierte Produktionsverfahren im Widerspruch zum spielerischen Erscheinungsbild der Objekte.

Mit seinen jüngeren Arbeiten entfernt sich Hubert Kostner von der erzählerischen Darstellung von Miniaturwelten des Alpenraums. Er gibt Objekten und Gegenständen, die meistens aus dem Gebrauch seines Umfeldes kommen, eine andere Wertigkeit, indem er sie transformiert und neu kontextualisiert. Die Arbeit „Kochmaschine“ zeigt eine Metallplatte eines alten Reifenherds, der mit einer Kette an der Wand befestigt ist. Durch den 90º Knick in der Platte, verformen sich die kreisrunden Metalleinlagen zu Herzformen. Der Herd in seiner sozialen Funktion als Familientreffpunkt und - dem patriarchalischen Prinzip folgend - als Arbeitsplatz der Frau, gilt im Zeitalter von Singlehaushalten und Emanzipation als Provokation.

Anmutig bescheiden, mit schlanken Linien und aufrechter Haltung präsentiert sich die Figur „Scura“ des Bildhauers Walter Moroder. Isoliert, mit gläsernem Blick steht die lebensgroße Frauendarstellung aus Zirbelkiefer im Raum. Der Grödner Bildhauer fertigt nach der handwerklichen Überlieferung des Tales figurative Skulpturen aus Holz, doch distanzieren sich seine Produktionen in ihrer Erscheinung vollkommen vom herkömmlichen Stil. In ihrer oberflächlichen Betrachtung scheinen die einzelnen Objekte derselben Familie zu entstammen, erst auf den zweiten Blick wird ihre Individualität im mimischen Ausdruck erkennbar. Moroders Figuren sind vorwiegend weiblich. Der grazile Körper verleiht ihnen Eleganz, ihre Körpersprache ist verhalten aber nicht schüchtern, eher sanft und erhaben.

Künstlerliste: Gino Alberti, Hubert Kostner, Sissa Micheli, Walter Moroder, Gabriela Oberkofler, Robert Pan, Martin Pohl, Carlo Speranza

Kurator: Martin Pohl

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Born in the Dolomites
Kurator: Martin Pohl

Künstler: Gino Alberti, Hubert Kostner, Sissa Micheli, Walter Moroder, Gabriela Oberkofler, Robert Pan, Martin Pohl, Carlo Speranza