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Camille Henrot | Mother Tongue

18. Apr. - 8. Aug. 2021

Die Ausstellung wird am Sa, 17. April 2021 digital eröffnet.

Wie finden wir einen Weg, um Ordnung in das Chaos unseres Lebens zu bringen? Wie gehen wir mit unserem gleichzeitigen Bedürfnis nach Bindung und Selbstbehauptung um? Und wie positionieren wir uns gegenüber gesellschaftlichen und privaten Erwartungshaltungen? In der Ausstellung „Mother Tongue“ der französischen Künstlerin Camille Henrot (*1978 in Paris) geht es um existenzielle Emotionen. In ihren Werken reflektiert sie das ambivalente Gefühl, hin und hergerissen zu sein zwischen dem Verlangen, sich zurückziehen und gleichzeitig Anteil nehmen zu wollen – sowohl auf persönlicher als auch auf politischer Ebene. Dabei navigieren Henrots Werke durch unsere Gegenwart im Spannungsfeld von rationalen Systemen und intuitivem Wissen.

Die Kestner Gesellschaft freut sich, die erste umfassende, institutionelle Einzelausstellung der Künstlerin mit neuen Werkserien in Deutschland zu präsentieren. Zu sehen sind Zeichnungen, Malerei und Skulpturen, darunter die großformatigen Kalkputz-Fresken „Monday“ (2016) und die 3D-Filminstallation „Saturday“ (2017). Camille Henrot wurde auf der Biennale Venedig 2013 für ihr bahnbrechendes Werk „Grosse Fatigue“ mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet und erhielt 2017 die Carte Blanche im Palais de Tokyo in Paris, wo sie die monumentalen Ausstellung „Days are Dogs“ präsentierte.

Mother Tongue

Der Titel „Mother Tongue“ (dt: Muttersprache) lässt sich auf verschiedene Arten lesen: Er nimmt Bezug auf Sprache als Mittel der Weltaneignung, nimmt man das Wort „Tongue“ wörtlich, referiert es auf die Zunge als Organ des Ausdrucks und des Konsums. Die fortlaufende Serie von Zeichnungen, Gemälden und Bronzeskulpturen „Systems of Attachment“ befasst sich beispielsweise mit dem Spannungsverhältnis zwischen den Bedürfnissen nach Bindung und Trennung in der menschlichen Entwicklung, die im Säuglingsalter beginnen und sich das ganze Leben lang fortsetzen.

Ist heute morgen?

Die Werke der Ausstellung stellen sich nicht nur unserer unmittelbaren Gegenwart, sondern implizieren auch ein metaphysisches Potential. Die neue Serie „Is Today Tomorrow?“ entstand während des ersten coronabedingten Lockdowns, als sich Henrot, wie viele andere, in Selbstisolation übte. So entstanden täglich Werke mit Tagebuch-Charakter, die die spezifischen Momente widerspiegeln, in denen sie entstanden sind. Das Leben in einer Blase im fetalen Zustand wird ebenso reflektiert wie das Konzept von Zeit, das sich unter anderem durch die Titel der Werke ausdrückt, die alle das Wort „day“ enthalten, wie „Blue Monday“, „Wait Another Day“ und „Ruin my Day“.

Von intimen Auseinandersetzungen zu globalen Fragestellungen

Dass emotionale Arbeit immer auch mit Transformations- und Übergangsprozessen einhergeht, zeigt die eigens für die Ausstellung realisierte, überlebensgroße Bronzeskulptur „3,2,1“. Darin verliert ein hybrides Mensch-Vogelwesen eine Träne über die Menge an Abfall zu seinen Füßen, die während der Produktion entstanden ist. Individuelle, intime Auseinandersetzungen führen dabei immer auch zu umfassenden Fragestellungen nach ihren übergeordneten Systemen, wie zum Beispiel nach den gesellschaftlichen Anforderungen, die an ein Individuum gestellt werden, oder nach den Auswirkungen unseres Handelns auf nachfolgende Generationen.

Henrots Werk wurde international mit umfassenden Einzelausstellungen unter anderen im Palais de Tokyo, Paris (2017), in der Kunsthalle Wien (2017), im New Museum, New York (2014) und in der Tokyo Opera City Art Gallery (2019) gewürdigt. 2021 ist die Künstlerin zudem mit einer Einzelausstellung in der National Gallery of Victoria in Melbourne, Australien vertreten und nimmt an der Liverpool Biennial in England teil.

Kuratorin: Julika Bosch

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog im Verlag Walter König (dt/engl), mit Textbeiträgen von Emily LaBarge, Legacy Russell, Marcus Steinweg und einem Interview mit der Künstlerin.