press release only in german

Ja, der 11. September 2001 hat die Welt verändert“, meinen 74 Prozent der Deutschen. Hat er das? „Nichts wird so sein, wie es war.“ Ist das so? Wie hat sich seit jenem tragischen „Startschuss“ ins dritte Jahrtausend die Welt verändert?

Ein knappes Jahrzehnt nach 9/11 führen US- und internationale Truppen nach wie vor „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan und im Irak, wo der Einfluss radikaler Islamisten nicht schrumpft, die Demokratisierung in weite Ferne rückt. Begriffe wie Weltfrieden oder Völkerverständigung führen sich bereits durch ihre Zusammensetzung selbst ad absurdum. Man arrangiert sich – trotz eines gewissen Unbehagens – mit einem Leben in Terrorgefahr, richtet sich ein. Die neuen „Unruhestifter“ scheinen eher Weblogbetreiber, Wikipediaten und Karikaturisten, der ganze Guantanamo-Komplex nur Theater, ein Potemkinsches Dorf zu sein. In welcher Welt leben wir eigentlich? Wer wagt einen Blick hinter die Kulissen? Wo liegen die Probleme? Wie hat die Welt sich in unserem Jahrzehnt verändert und was muss sich bzw. wie müssen wir uns ändern?

Wenn die blindwütige Schlacht um Gewinnmaximierung mit allen Mitteln – ob in Automobilproduktion, Bankwesen, Ölraffinerie oder Rüstungskonzern – wenn der Kampf um Einschaltquoten, Auflagenhöhen und Besucherzahlen, also das Leben ganz normal weiter geht, wenn die Politik sich bedeckt hält und der Generation Hans Blix die Optionen ausgehen, wer kann dann noch Visionen von einer anderen Weltgesellschaft, einem besseren Zusammenleben, einer neuen Verständigung entwerfen?

Wenn wir wissen, dass nur über Veränderungen in den Köpfen, neue Perspektiven, neue Dialoge die Konflikte jenes letzten Jahrzehnts zu beheben sind, das eher für die Ohnmacht der Politik und deren irrwitzige Feldzüge als für deren schlüssige Antworten steht:

Könnten es dann Künstler sein, die aus ihrer Untersuchung des Geschehenen und als Option gegen politischen Stillstand und Unschlüssigkeit neue Denk- und Handlungsalternativen für das Kommende bereithalten, Verhandlungsräume erschließen, in denen Umgestaltung möglich ist, Menschen eine lebenswerte Zukunft geboten wird, Konflikte friedlich gelöst werden?

Gefördert durch das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, die Kulturstiftung des Freistaates Thüringen, die Stadt Weimar, die Stiftung Federkiel für zeitgenössische Kunst und Kultur, das Königreich der Niederlande, das US- Generalkonsulat Leipzig und den Förderkreis der ACC Galerie Weimar.

Künstler und Werke:

Künstler und Referenten, die damals, im Laufe der letzten Dekade oder jüngst diese Ereignisse kritisch spiegelten, sind eingeladen, in Gesten, Situationen, Kunstwerken, Vorträgen, Gesprächen und Visionen ihre Perspektiven zum Geschehenen und ihre Schlüsse für Bevorstehendes aufzuzeigen.

Nina Berman, Harun Farocki, Christoph Faulhaber, Shahab Fotouhi, Thomas Hoepker, Robert Longo, Elke Marhöfer, Helmut Smits, Wolfgang Staehle

Nina Bermans Fotoserien zeigen ihre Eindrücke vom „GroundZero“ nach dem Terroranschlag, die darauffolgende Militarisierung der US-amerikanischen Gesellschaft und die Schicksale verkrüppelter Veteranen des Irakkrieges.

Harun Farocki untersucht den technokratischen Blick, mit dem die Militärs aktuelle Schlachtfelder ins Visier nehmen und virtuellen Welten, in denen Soldaten Manöver üben oder ihre Kriegstraumata zu verarbeiten suchen.

Christoph Faulhaber widmet sich ehemaligen Insassen des Militärgefängnisses Guantanamo Bay, die trotz Freilassung ihre Heimat verloren haben.

Shahab Fotouhi offenbart in seiner Installation „Zero Anaphora“ die unterschiedlichen Symbolebenen des Anschlags auf das New Yorker World Trade Center.

Thomas Hoepker präsentiert Dokumentarfotografien von Manhattan am 11. September 2001, Beobachtungen von den Tagen und Monaten danach bis zu einem Bild von der Baustelle der Freedom-Towers.

Das Triptychon von Robert Longo steigert die Zerstörung des World Trade Centers ins Apokalyptische.

Elke Marhöfers Installationen zweifeln an der emanzipativen Wirkung revolutionärer Bewegungen und fragen assoziativ nach einem neuen Anfang der Freiheit.

Helmut Smits lenkt den Blick auf das Öl als Rohstoff des westlichen Lebensstils und listet in seinem Film „The End“ die toten Soldaten der Operation „Enduring Freedom“ auf.

Wolfgang Staehle fragt in seiner Videoinstallation nach dem Werden und Vergehen von Zivilisationen.

Begleitveranstaltung:

Do 15.12.2011 | 20:00 Unschuldig in Guantanamo: Die Uiguren | Ulrich Delius, Göttingen

Vortrag und Gespräch von und mit Ulrich Delius über die Uiguren, die unschuldig in Guantanamo festgesessen haben Ulrich Delius engagiert sich seit 1986 bei der Gesellschaft für bedrohte Völker. Als Asienreferent ist er dort für Publikationen und Kampagnenführung verantwortlich:

Die Uiguren waren definitiv zur falschen Zeit am falschen Ort: Mehr als ein Dutzend muslimische Uiguren aus China wurden bei der Suche nach Osama bin Laden vor fast zehn Jahren im Grenzgebiet Pakistans und Afghanistans festgesetzt. Zwar beteuerten sie ihre Unschuld, doch wurden sie als Terrorverdächtige in das US-Gefangenenlager Guantanamo überstellt.

Schon bald waren US-Ermittler von ihrer Unschuld überzeugt. Doch die Uiguren hatten keine Chance und wurden zum Spielball internationaler Weltpolitik. Zwischen China, Europa und den USA begann ein unwürdiges Schachern um das Leben der Häftlinge. China zögerte nicht, sie im Antiterrorkampf zu instrumentalisieren. Gerechtigkeit haben die Guantanamo-Uiguren bis heute nicht bekommen, obwohl sich amerikanische Rechtsanwälte ehrenamtlich für sie einsetzten und erreichten, dass US-Gerichte ihre Unschuld feststellten.

Do 5.1.2012 | 19:00 9/11 – The Aftermath | Filmabend

Der New Yorker Pionier des experimentellen Filmtagebuchs und des Avantgardekinos Jonas Mekas filmte wie gelähmt vom Dach seines Hauses in SoHo die brennenden Twin Towers. Mekas hat bereits viele Schrecken des 20. Jahrhunderts gesehen und ahnte wohl auch in diesem Moment, dass er Zeuge eines Ereignisses wurde, das sich in Geschichte, Poesie und Mythos verwandeln wird. Mit Heinrich Heine erhebt Mekas das Unfassbare der fast sechsminütigen, sich taumelnd auf und ab bewegenden Kameraeinstellung samt Klagerufen, Schreien und ungläubigen Kommentaren in „Ein Märchen aus alten Zeiten“ (2001) ins Überzeitliche.

Für den obdachlosen New Yorker Straßenpropheten Jimmy stellte das Geschehen vom 11. September 2001 dagegen keine Überraschung dar. Leon Grodskis „Great Balls of Fire“ (2002) dokumentiert den Singsang des zahnlosen, spuckenden Mannes, der die aktuelle Katastrophe in eine ganze Reihe bizarrer Ereignisse einordnet.

„Black September“ (2002) von Christoph Draeger richtet den Blick zurück in die Geschichte unvergessener Terroranschläge. Am Originalschauplatz reinszeniert Draeger das Attentat auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München, das ebenfalls im Monat September stattfand und elf Opfer forderte, wobei Fakten und Fiktionen, Vergangenheit und Gegenwart so miteinander verwoben werden, dass die Grenzen verschwimmen. Die ebenfalls 2002 in einer Kooperation zwischen Draeger und Reynold Reynolds entstandene Videoarbeit „The Last News“ präsentiert die Live-Katastrophennachrichten des fiktiven „24 Hours Disaster and Survival Newschannel“. Alle hier berichteten, unfassbaren terroristischen Zerstörungen sind Hollywood-Blockbustern entnommen und weisen daraufhin, dass derartige Horrorszenarien bereits allesamt von der Filmindustrie vorweggenommen wurden.

In „The Video of a Man Calling Himself Bin Laden Staying in Japan“ (2005) verkleidet sich Makoto Aida als der in der vergangenen Dekade meist gesuchte Terrorist weltweit. In einer hypothetischen Situation sieht man den Al-Quaida-Chef als ein sich im Land der aufgehenden Sonne versteckenden, faulen, Sake schlürfenden, alten Mann, der trunken seinen Ausstieg aus der Terrorismus erklärt.