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Die amerikanische Künstlerin Cindy Sherman (*1954 in Glen Ridge, New Jersey) zählt zu den wichtigsten Vertreterinnen inszenierter Fotografie. Schon in ihren frühesten, Mitte der 1970er Jahre entstandenen Arbeiten bediente sich Sherman ausschließlich ihrer eigenen Person als Modell ihrer Inszenierungen. In ihren Serien stellt sie mit Hilfe unterschiedlicher Accessoires (Kleidung, Schminke, Perücken, Prothesen) erfundene Personen dar und fotografiert sie im Studio. Auf diese Weise hat sie eines der be-deutendsten Werke unserer Zeit geschaffen, das ausschließlich die Fotografie als Träger benutzt.

In den frühen Schwarzweißfotos Untitled Film Stills, 1977 – 1980, schlüpft Sherman in unterschiedliche Frauenrollen und verbirgt ihre Identität hinter frappierenden Masken. Keines ihrer Werke ist als Selbstporträt zu verstehen, vielmehr paraphrasiert sie vor der Kamera frauenspezifische Konventionen. In den ab 1980 folgenden farbigen Fotoserien werden sexuelle Themen dominanter, ihre Kulissen und Kostüme theatralischer, fantastischer. Sherman reflektiert in überwiegend aggressiven Arrangements das Frauenbild einer männlich dominierten Gesellschaft, von Ausklappfotos in Magazinen bis zu fragmentarischen Fetischobjekten mit aufblasbaren Geschlechtsteilen.

Parodistisch, bissig, manchmal brutal inszenieren diese Arbeiten in Anlehnung an kulturelle und soziale Stereotype ein Spektrum von Figuren, um sie und die unterschiedlichen Möglichkeiten ihrer Darstellung wie Werbung, Kino oder klassische Malerei zu hinterfragen. Im Hintergrund wird eine subtile Analyse der – vor allem weiblichen – individuellen Identität sowie der Fantasien spürbar, die diese auslöst. Dieses Eintauchen in ungewisse und konflikt-beladene Bereiche, in denen die Identität des Individuums mit dem kollektiven Unbewussten, mit Stereotypen und symbolischer Macht ringt, erfolgt zuweilen spielerisch, dann wieder düster, wenn Sherman Schrecken oder Ekel, verstümmelte oder entstellte Körper darstellt.

In einer Retrospektive mit über 250 Werken, organisiert und zusammengestellt vom Jeu de Paume, Paris, zeigt das Kunsthaus Bregenz die erste große Einzelausstellung der Künstlerin in Österreich. Die Schau umfasst alle Schaffensperioden von den frühen Fotografien der 1970er Jahre bis hin zur aktuellen Clown-Serie der Jahre 2003 und 2004. Bis auf wenige Ausnahmen werden die Arbeiten von Cindy Sherman in dieser Ausstellung in großen Serien, ihrer Zusammengehörigkeit entsprechend und meist in chronologischer Reihenfolge, gezeigt. Obwohl übergreifende Stränge und Überschneidungen möglich und die Grenzen zwischen den Serien manchmal fließend sind, können Serie und Chronologie als das Grundmuster im Werk der Künstlerin angesehen werden.

Die Retrospektive im Kunsthaus Bregenz präsentiert eine umfassende Auswahl der wichtigsten Werkblöcke der Künstlerin. Das Frühwerk wird mit den Serien A Cindy Book, c. 1964 – 1975, Untitled A – E, 1975, Bus Riders, 1976 – 2005, und Murder Mystery, 1976 – 2000, vorgestellt. Die Serie Untitled Film Stills, 1977 – 1980, die Cindy Sherman den internationalen Durchbruch brachte, wird komplett gezeigt. Auf 69 Schwarzweißfotografien posiert die Künstlerin in unterschiedlichen Rollenbildern und Settings, die an typische Standbilder des italienischen Neorealismus oder des amerikanischen Film noir erinnern. Mit der Serie Rear Screen Projections, 1980, wechselt Cindy Sherman von Schwarzweiß zu Farbe und zu deutlich größeren Formaten. Die horizontal angelegten großformatigen Centerfolds/Horizontals, 1981, greifen das Prinzip der Mittelseiten von Mode- oder Unterhaltungsmagazinen auf. Bei den Fairy Tales, 1985, und den Disasters, 1986 – 1989, arbeitet Sherman zum ersten Mal mit sichtbaren Prothesen und Puppen. Gleichzeitig inszeniert sie groteske und rätselhafte Visionen. Es ist die Welt der Märchen im Allgemeinen, in der das Fantastische regiert, hier in der verstörendsten Version.

Civil War, 1991, Horror and Surrealist Pictures, 1994 – 1996, Sex Pictures, 1992, und Broken Dolls, 1999, verweisen auf die dunkle Seite des Lebens und die Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Einen gewichtigen Werkblock bilden die History Portraits/Old Masters, 1988 – 1990. Hier reinszeniert die Künstlerin bekannte kunsthis-torische Gemälde und schlüpft in die Rolle von historischen Frauen- und Männerfiguren. Die Hängung erfolgt in der Art einer barocken Gemäldegalerie, eng gedrängt und in Reihen übereinander, sodass sich vielfältige Assoziationen und Verfremdungen ergeben. Die Porträts der Hollywood/Hampton Types, 2000 – 2002, bilden eine ebenso komische wie aufwühlende Serie. Laut Cindy Sherman stellen die Figuren gescheiterte oder vergessene Schauspieler dar, die für Porträts sitzen, weil sie sich für einen Job bewerben wollen. Zur jüngsten Serie zählen die Clowns, 2003 – 2004. Auf exemplarische Weise verdichtet sich darin der vielschichtige Charakter des Werks von Cindy Sherman, alles, was darin an Widersprüchlichem und Exzessivem vorkommt, an Humor, Groteske und Unheimlichem.

Mit der Retrospektive von Cindy Sherman setzt das Kunsthaus Bregenz die Reihe der Präsentation großer Werkschauen von Künstlern fort, die das Medium der Fotografie für das künstlerische Werk auf neue Art einsetzen; erinnert sei an die Ausstellungen von Hiroshi Sugimoto und Thomas Demand.

Die Ausstellung »Cindy Sherman« wurde vom Jeu de Paume, Paris, organisiert und vom Kunsthaus Bregenz, dem Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk/Dänemark, und dem Martin-Gropius-Bau, Berlin, koproduziert.

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Cindy Sherman - Retrospective
Organisation: Jeu de Paume, Paris
Kuratoren: Regis Durand, Veronique Dabin

Stationen:
25.11.06 - 14.01.07 Kunsthaus Bregenz
09.02.06 - 13.05.06 Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek
13.06.07 - 10.09.07 Martin Gropius Bau, Berlin