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Mit dem Weltverhältnis des Hundes hat es etwas Besonderes auf sich. Der Hund ist das einzige Tier, das evolutionär auf den Menschen gesetzt hat. Er hat sozusagen auf ihn gewettet. (Daniel Kehlmann)

Was ist es eigentlich, was der Mensch mit seinem Hund an der Leine führt, wenn er das Haus verlässt? Die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit und wildem Leben? Die Lust an der Macht und das Loslassen der Verantwortung? Oder die aus der Neugier erwachsende Freiheit der Träume, Utopien und Wunschbilder? Eines scheint gewiss: Der Mensch fühlt sich sicherer in der Nacht mit dem Hund an seiner Seite. Aber fühlt auch der Hund sich wohl neben dem Leittier „Mensch“? Wenn es richtig ist, dass der Mensch kulturgeschichtlich nicht nur den Hund als Weggefährten erwählt hat, sondern der Hund auch die Nähe des Menschen gesucht hat, ihm soziokulturell nachgeschlichen ist, dann enthält die Ausstellung Cocker Spaniel and Other Tools for International Understanding zahlreiche reflexive Momente, die über die interkulturelle Dimension des Titels weit hinausreichen.

Der Hund denkt. Aber weiß der Hund auch, dass wir denken? Die vier Hundeporträts der English Whippets von Jo Longhurst (Plakat-Motiv) machen den Besucher durch die frontale und direkte Ansprache neugierig. Stets in gleicher Pose vor neutralem Hintergrund als klassisches „Bruststück“ erwidern sie mehr als seinen Blick. Die minimalistische Serialität in Verbindung mit dem Titel I know what you’re thinking schafft eine Eindringlichkeit, die über das „Ach-wie-niedlich“ weit hinausreicht; mehr noch ein individuelles Verstehen von Hund und Mensch impliziert. Die vier Windhunde haben ein Geheimnis und wir werden nie erkunden, worin es besteht. Wer sich auf die Ausstellung einlässt, begreift bald: Hier wird nicht nur die Geschichte über den Menschen und seinen Hund erzählt, sondern auf einer zweiten, subtilen Ebene berichtet der Hund über das Leben mit seinem Menschen, seinen Stolz, es geschafft zu haben, seine Demütigungen und den Alltag mit dem ins Alter gekommenen Kulturgesellen Mensch.

Die Ausstellung Cocker Spaniel and Other Tools for International Understanding wurde in der Kunsthalle zu Kiel vom ehemaligen Direktor Dr. Dirk Luckow kuratiert und wurde mit 29 Exponaten zunächst in der Ursula Blickle Stiftung in Kraichtal-Unteröwisheim (5.9. – 11.10.2009) gezeigt. Die Kieler Ausstellung ist erweitert um 45 weitere Exponate – unter Einbeziehung bedeutender historischer Positionen. Sie thematisiert die Vielschichtigkeit des Hunde-Charakters in der Kunstgeschichte ausgehend von zeitgenössischen Positionen der Gegenwartskunst. Exponierte Werke beleuchten facettenreich, poetisch und geradezu enzyklopädisch die Spannbreite der Mensch-Hund-Beziehung – sowie die Rolle und Interpretation des Hundes im ‚Kunstgeschehen’: keine Hunderasse und kein Hundethema wurde ausgelassen. Die komplexe Bedeutung des Hundes als Zucht-, Jagd- und Arbeitstier wird ebenso untersucht wie der wissenschaftliche Aspekt und das Phänomen übermaÅNchtiger Hunde, die außer Kontrolle geraten. Eine Ausstellung mit psychologischen, soziologischen wie soziokulturellen Implikationen. Der im DuMont Buchverlag erschienene Katalog liefert Kurzessays zu Themen wie Kult, Chimäre und Satire, Utopie, Meute, Der Hund in der Stadt und Dressur von Julia Schönfeld und Dörte Zbikowski sowie Gastbeiträge von Katharina von der Leyen, Feridun Zaimoglu, Wolfgang Wippermann, Ingo Schulze und Erika Billeter.

Der Titel Cocker Spaniel and Other Tools for International Understanding verweist auf einen der populärsten, weil kuscheligsten Hunde: den Cocker Spaniel. Folgt man dem Katalogbeitrag von Katharina von der Leyen, ist er der Liebling der Menschen und gleichzeitig der „Schauspieler“ unter den Hunden; denn häufig tue er nur so, als ob, wie die Schriftstellerin und Katalogautorin erklärt: „Sein Gesichtsausdruck wirkt oft melancholisch – was wohl eher daran liegt, dass er der Meinung ist, er würde nicht entsprechend seiner Bedürfnisse ausreichend ernährt – und täuscht darüber hinweg, dass der Spaniel in Wirklichkeit ein schlitzohriger Kobold ist, ein Tausendsassa unter den Hunden, ein Allrounder, der alles kann: Er eignet sich ebenso als Jagdgefährte wie als aufmerksamer Wächter auf dem Hof, als furchtloser Stöberhund wie als persönlicher Freund von Dichtern, Prinzessinnen, Königen und Handlangern, als Tröster der Reichsten und der Ärmsten wie als Trüffel- und Drogensuchhund und Therapiehund.“ Seine außerordentlichen Talente als Sofarolle und Betthase kommen der Vollendung gleich – dabei ist er gleichzeitig passioniert, engagiert und von erstaunlicher Härte, was seine Karriere als Stöber- und Apportierhund beförderte.

Der Hund kennt keinen Kitsch und er durchschaut uns nicht Lassen wir uns aber nicht täuschen: Wenn wir einem Hund auch viel erklären können, was Kitsch und Kultur, Status und Würde, Sexus und Toleranz ist, werden wir ihm nie vermitteln können. Auch wenn der Hund keine soziale Maske hat, so versteht er doch wenig von Authentizität, Reflexion und Wahrnehmung. Erst nach und nach begreift man das dunkle Geheimnis des Gemäldes Des Yeux Verts – Sans Visage (2003) von Martin Eder (Hausbanner, Düsternbrooker Weg). Die beiden ganzfigurigen Labradore auf der rot karierten Decke treiben mit dem Betrachter ein hintergründiges Spiel. Denn das wichtigste Merkmal der Kontaktaufnahme – die Augen – leuchten grün übermalt wie die grüne Wand, vor der sie sitzen. Martin Eder spielt in diesem Gemälde mit der zweiten und dritten Raumdimension und verwandelt die Bildoberfläche zu einem Display. Der Betrachter blickt wie durch eine Maske durch den Hund hindurch – und erntet nicht Verständnis und Liebe, sondern Irritation und Befremden; durchschaut der Hund vielleicht den Menschen? Martin Eder schafft damit eine Metapher des „Durchschauens“.

Die Hund-Mensch-Beziehung als Metapher für das Verhältnis des Menschen zum Kreatürlichen Spätestens an diesem Punkt wird deutlich: Die Ausstellung ist nicht banal, witzig und niedlich (Art – Das Kunstmagazin, 11, 2009), sondern psychologisch und hintergründig, scharfzüngig und ironisch, sie rührt an kritische Fragen der Gegenwart und dies auf der Höhe des aktuellen Kunstdiskurses. Drei zentrale Beiträge der diesjährigen Biennale in Venedig liefern uns die Stichworte für den Diskurs, indem sie die gegenwärtigen Sozialmodelle auf der Folie der Mensch-Tier-Beziehung reflektieren und pointieren: Steve McQueen in dem Video Giardini, Shaun Gladwell in dem Video Apology to Roadkill und Liam Gillick Untitled im Deutschen Pavillon. Allen drei Beiträgen, dem österreichischen, wie dem britischen und dem deutschen Biennale-Projekt, gemeinsam ist die Reflexion der Mensch-Tier-Beziehungen als Metapher für das in die Krise geratende Verhältnis des Menschen zum Kreatürlichen überhaupt.

Die Geschichte der Dienstbarmachung des Lebendigen und ihres Scheitern, des menschlichen All-Machtstrebens und seines Versagens, des globalen Führungsanspruchs bei gleichzeitigem Verlust der ökologischen Verantwortbarkeit – all das bereitet der Kulturgesellschaft mehr und mehr Schuldgefühle. Ein „schlechtes Kultur- Gewissen“ macht sich breit, das Gefühl, sich nicht ausreichend um die Dinge kümmern zu können, die man sich vertraut gemacht hat, beschleicht den Menschen des 21. Jahrhunderts im Gesellschaftlichen wie im Privaten. Die herumstreunenden Hunde auf dem Biennale-Gelände im Video von Steve McQueen, das gerettete, aber tote Känguru im Beitrag von Shaun Gladwell und die vernachlässigte, aber subtil reflektierende Katze auf dem Küchenschrank im Deutschen Pavillon – in der unendlichen Reihung der „Kultur- Sünden“ der Spezies Mensch liefern sie eine soziokulturelle Reflexionsfolie, die der Ausgangspunkt für kulturkritische Fragestellungen der Kieler Ausstellung sein könnte.

Künstlerliste: Eija-Liisa Ahtila, Christoph Amberger, Carl Frederik Bartsch, Georg Baselitz, Cosima von Bonin, Pierre Bonnard, Florian Henckel von Donnersmarck, Martin Eder, Tracey Emin, Valie Export , Peter Weibel, Eric Fischl, Lucian Freud, Ulrich Gebert, Antony Gormley, Tue Greenfort, Johann Friedrich Grooth, Thomas Grünfeld, Wenzel Hablik, Duane Hanson, Jochem Hendricks, David Hockney, Jörg Immendorff, Alfred Jacquemart, Anna Jermolaewa, Marta Klonowska, Oleg Kulik, Annika Larsson, Max Liebermann, Jo Longhurst, Nicolaes Maes, Peter Nagel, Constantin Netscher, Jean-Baptiste Oudry, Martin Parr, Diego Perrone, Cathie Pilkington, Christian Rohlfs, Bojan Sarcevic, Erik Schmidt, Norbert Schwontkowski, Frans Snyders, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Rosemarie Trockel, Wilhelm Trübner, Vladimir Tyulkin, Lucie Valore, William Wegman, Johannes Eduard Wolff, Santiago Ydáñez.

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Cocker Spaniel And Other Tools For International Understanding

Künstler: Eija-Liisa Ahtila, Christoph Amberger, Carl Frederik Bartsch, Georg Baselitz, Cosima von Bonin, Pierre Bonnard, Florian Henckel von Donnersmarck, Martin Eder, Tracey Emin, VALIE EXPORT, Peter Weibel, Eric Fischl, Lucian Freud, Ulrich Gebert, Antony Gormley, Tue Greenfort, Johann Friedrich Grooth, Thomas Grünfeld, Wenzel Hablik, Duane Hanson, Jochem Hendricks, David Hockney, Jörg Immendorff, Alfred Jacquemart, Anna Jermolaewa, Marta Klonowska, Oleg Kulik, Annika Larsson, Max Liebermann, Jo Longhurst, Nicolaes Maes, Peter Nagel, Constantin Netscher, Jean-Baptiste Oudry, Martin Parr, Diego Perrone, Cathie Pilkington, Christian Rohlfs, Bojan Sarcevic, Erik Schmidt, Norbert Schwontkowski, Frans Snyders, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Rosemarie Trockel, Wilhelm Trübner, Vladimir Tyulkin, Lucie Valore, William Wegman, Johannes Eduard Wolff, Santiago Ydanez