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"Alles Unerträgliche ist im Kopf, weil der Kopf nicht in der Gegenwart verweilt, sondern die Mauern hochklettert, Erkundigungen einzieht und mit unerträglichen Nachrichten zurückkommt, die man dann irgendwie glaubt." (David Forster Wallace, Unendlicher Spaß, Köln 2009)

Constantin Lusers zeichnerisches Werk erweitert das Ausdruckspotential des Mediums durch die Überschreitung der Gattungsgrenzen in die räumlichen Dimensionen des Objekts und der Installation sowie die akkustische Disziplin der Musik. Jüngst begeisterte Lusers Installation einer in ihrer Komplexität ungreifbaren Total-Zeichnung die Besucher der Kunsthalle Krems Anfang dieses Jahres.

Wie kontinuierliche Denkbewegungen stehen nun auch in der Galerie Jette Rudolph lineare Wandzeichnungen ihren im Raum schwebend installierten Korrelaten aus Draht gegenüber.

Die Luser'sche Offenheit der Linie verbindet die zeichnerischen Dimensionen visuell miteinander, welche sich für den Betrachter, der sich durch den Raum bewegt, stets zu neuen momenthaften Formen und Bedeutungen verflechten. So tritt die Idee der infinalen Linie in Lusers Drahtobjekten exemplarisch in Erscheinung: Die aus filigranen Messingdrähten kombiniert mit feinen, zu weiten Bögen gezogenen Messingfäden konstruierten Objekte schweben frei im Raum, wobei jedes in sich abgeschlossen weder Anfang noch Ende erkennen lässt.

Durch die Permeabilität der Objekte wird der Eindruck von virtuellen Projektionen suggeriert, deren punktuelle Aufhängungen zusätzlich mobilisieren und durch sanfte Rotationen einen kontinuierlichen Ansichtswechsel herbeiführen und die Variabilität jedes einzelnen Zeichenkörpers offenbart: Von der figurativen Form eines Kopfes - mal mit oder ohne Brille -, mit dem Attribut eines proportional verkleinerten Hauses, Tieren, Organen, phantastischen Maschinen bis hin zu den am Ende langer antennenartiger Drähte sitzenden Zahlen, die in winzige Kreise eingefasst den Charakter einer womöglich inhärenten Ordnungsstruktur gewinnen.

Aufgrund der steten Drehung der Objekte ist die Identifikation signifikanter Deutung jedoch nur momenthaft möglich und verbleibt partiell, denn der Künstler fasst die dreidimensionalen Zeichenkörper visuell ein, indem er die hinterfangenden Wandflächen analog mit schwarzem Fineliner be-zeichnet. Passagenhaft suchen seine Wandzeichnungen situative Berührungs-punkte mit den Drahtobjekten als substantielle Kommentare, Dialoge oder freie Assoziationen. Dabei legen sich die Signifikantebenen von Objekt und Zeichnung übereinander und schaffen aus den beiden linearen Codes eine neue Potenz.

Mit der Überlagerung dieser temporären, kontingenten und muta-blen Bedeutungsbenen weist Luser die realitätsgebundene Dimension der Referenzen zurück und zelebriert mit seiner zeichnerischen Totalen das infinale System umfassender Bezüge, Kombinationen und Simulationen. Er hält die immer wieder neu entstehenden Relationen im Fluss und ermöglicht vielfältige Interpretationsansätze und -wege, statt bloße statische Tatsachen zu präsentieren. Entsprechend setzt der Künstler die halbspiegelnden, großformatigen und im gestreckten Querformat panoramaartigen Aluplatten ein, welche die reflektierte Dimension des Raumes fortsetzen. Zugleich jedoch werden diese selbst zur Zeichenfläche, auf welche die Projektion auf der Wandfläche gar linien- übergreifend in die Wandzeichnung integriert sind.

Was passiert aber, wenn man ein solches infinales System der Totalzeichnung mit sich selbst spiegelt, es somit verdoppelt und es im Baudriallard'schen Sinne gegen sich selbst wendet? Es wird in der Kulmination der Liniengeflechte ambivalent, radikal tautologisch und wird zur einer autarken Sphäre mit eigenen Perzeptionsmechanismen. Es ließe sich im Baudriallard'schen Sinne von einer Untersuchung der Inifinalität des Systems des künstlerischen Ausdrucks sprechen, sowohl bzgl. der Medialität als auch des Bedeutungspotentials, welches Luser in tautologischer Umkehrung zur Selbstauflösung treibt.

Luser's all-around-Installationen verweisen "auf die Bewegung, auf die Dynamik von Formen, wobei die Realität als ein Konglomerat von transitorischen Flächen und Objekten, die potenziell verschoben werden können, bestimmt wird." (Bourriaud, Nicolas: Radikant, Berlin 2009, S.82) Im diesem installativen Raum also schlägt der Künstler eine fließende und sprunghafte Darstellung vor, welche dem Betrachter eine aktive Kompositionsleitung abverlangt, um die fragmentarischen Einheiten relational zu entfalten. (Vgl. zur Methode dieser Darstellungsform: Bourriaud, Nicolas: Radikant, Berlin 2009.)

Eröffnung: 17. September 2014, 18:00 – 22:00 Uhr

(Text: Jette Rudolph & Ellen Martin // Translation: Cathy Lara & Associates)