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Mit Continuum Distorsion und … And on to the Discotheque, Comrade ?, lädt die Kunsthalle Freiburg Fri-Art zur Auseinandersetzung mit dem bildnerischen Akt und insbesondere der Appropriationsarbeit im Spannungsfeld zwischen Entwicklung der Kunst des 20. Jahrhunderts und Originalitätskonzept ein. Eigens für Fri-Art konzipiert, konnten für beide Ausstellungen mehrere Künstler in einer langen Genesis ihre Zusammenarbeit vertiefen. Die Werke fliessen zusammen und streben auseinander, multiplizieren Sichtweisen, überlagern Blickwinkel und zahllose Einflüsse. Letztlich setzen sie maliziös einen Dialog zwischen Bruch und Tradition in Gang. Sie hinterfragen unsere Beziehung zur Geschichte und zur Empfänglichkeit des Werks, ganz so, als ob der Sinn der Kunst woanders versteckt läge, jenseits ihrer Vergänglichkeit, jenseits eines Bilderrahmens und jenseits eines Raums, der in diesem Fall der Ausstellungsraum ist.

Erdgeschoss und erster Stock : Die „echt-falschen echten Bilder“ von Xavier Noiret-Thomé, deren Verneinung oder Widerspruch ihre eigene Bestätigung implizieren, werden zu einem Spiel wie Schach oder Dame, welches mit seinen eigenen Ambivalenzen spielt. Und entspricht das nebenbei nicht auch der Auffassung des gesprochenen und geschriebenen Worts ? Wobei Sprache hier die Sprache des Malers ist, zur Geste wird und mit überschwänglichem Naturell ihre Farben, Intensität und Formen bekräftigt. Die Zufälligkeit der Linien, Aufeinanderprallen, Überschneidungen, der Einsatz von Verschwommenheit oder Klarheit, Glanz oder Mattierung, absorbierenden oder reflektierenden Eigenschaften der bildnerischen Materie, ihre Oberflächenstruktur oder –glätte, verdichtet durch die Hinzufügung heterokliter Schichten sind Spiel und unablässige Bewegung zugleich, deren Präsenz vollkommen unaffektiert mit Macht klingt. Wenn der Künstler das Pathos widerlegt, dann, um die Genres besser zu transzendieren; er manipuliert und improvisiert sie virtuos, verbindet blossen Eindruck mit mental wie physisch analytischem Ansatz. Dieses Wechselspiel zwischen Gegenwart und Schaffenszeitpunkt entfaltet sich zu einer autonomen Komposition, die sowohl die Mäander der Werksgeschichte, seines Trägers (über seine Formate) und seines physischen Raums in Frage stellt. Nach dem Vorbild Picabias, der gleichzeitig spielerischer Poet und Aphorismenschreiber war, kehrt Xavier Noiret-Thomé den gesunden Menschenverstand und die ursprüngliche Logik des Bildes um, geht unter Zitaten der alten Meister der Gültigkeit dieser radikalen Antimalerei auf den Grund. Er fügt Motive zusammen, überlagert sie und variiert ihren Ansatz. „Diesem Gewebe unmittelbarer Referenzen gesellen sich Selbstportraits mit Fantasiemotiven hinzu, silbrig monochrome, pockennarbige Mondlandschaften und von phosphoreszierenden Sternen eingerahmte Felder (…). Kein Genre wird ausgelassen, keine Errungenschaft der Geschichte der Malerei nicht umgewandelt (...). Die Figur des Fontana verquickt sich mit einem zu Beginn der Neunziger Jahre berühmten Slasher: Freddy Krueger, Held von Nightmare on Elm Street. Mondrians Flächengitter haben sich zu Kreuzworträtselgittern voller unwahrscheinlicher Lösungen gewandelt. Auf suprematistischen Kompositionen schwimmen Körner und Bohnen. In Leuchtfarben gehaltene Monochromien tragen – kleines Augenzwinkern an Magritte – mit Marker geschriebene Farbnamen, die ihnen nicht entsprechen. Die chromatischen Bilder Richters werden auf farbbestrichene Plastikteller reduziert, die auf die Leinwand geklebt sind. Diese Picknicks leisten sich sogar den Luxus, (auch) Spörri einzuladen.“, schreibt Sophie Delpeux in "Peinture en déconstruction“ zu dieser Ausstellung. Wenn Xavier Noiret-Thomé die Künstler zu einem Picknick, einer postmodernen Maskerade zu bitten scheint, dann vielleicht um dem Confidence-Man von Herman Melville seine Ehrerbietung zu erweisen. Übrigens hat Noiret-Thomé drei Künstler in die Künstlerresidenz Villa Medici in Rom eingeladen, um dort wechselgestaltige Kunstwerke zu realisieren. Wie eine organische Skulptur nehmen die gestapelten Plakate von Michel François die zahllosen Verästelungen und tentakulären Wurzelstöcke eines Baumes als photographisches Sujet auf. In einem anderen Register zeichnet die ständige Bewegung der Kamera Robert Suermondts die Mäander und verwirrten Räume eines seiner Bilder auf und fügt sie in den Klang der Stadt ein. Er hinterfragt die Macht des Bildes und seiner Darstellung über ein Spiel mit den Perspektiven und lässt somit ein Echo in der Ausstellung selber klingen. Bruno di Rosa seinerseits schreibt über den Kampf des Schaffenden und spricht die vergehende Zeit an, die er auf ein seltenes Instrument abstimmt, eine elektrische Leier. Während er diese unendlichen Variationen in Einklang bringt, spielt Xavier Noiret-Thomé Erik Saties Vexations ein, ein Stück aus 18 Noten in 840 Wiederholungen. „Wenn man sich für Satie interessieren möchte, sollte man zunächst Desinteresse an den Tag legen, akzeptieren, dass ein Ton ein Ton und ein Mensch ein Mensch ist, sämtliche Illusionen über Ordnungsvorstellungen, Gefühlsausdrücke und den ganzen anderen ästhetischen Firlefanz fahren lassen, den wir geerbt haben.“, kommentierte John Cage das Werk, der es 1963 – 70 Jahre nach seiner Entstehung - zum ersten Mal vollständig zur Aufführung brachte. Seine Interpretation wird in einem Kontinuum ständig erneuert und unablässig neu formuliert, welches Zeit und Distanz unwiederbringlich verzerren. Wie schon die unausweichliche Sherrie Levine, die ihr appropriationistisches Werk so kommentierte, dass jedes Bild ein „Gewebe aus Zitaten“ sei und dass „die Geburt des Betrachters auf Kosten des Malers zu erfolgen habe“. Liegt die Kraft des Werkes denn nicht auch im Zweifel ? Liesse der Künstler den Betrachter nicht an seinem gesunden Menschenverstand zweifeln ? Spielte er kein Spiel mit der Geschichte der Malerei und ihrer Gegenwart, indem er die Darstellung des Bildes als offenes Fenster auf die Welt entfremdet und verzerrt und es in ein „Fallen stellendes Bild“ verwandelt ?

Zwischen den Räumen – das Treppenhaus (2006-2009) And on to the Discotheque, Comrade ? ist die in situ Arbeit von Philippe Decrauzat in Zusammenarbeit mit Scott King und James Fry tituliert, die Fri-Art vom 19. Mai bis 2009 ausstellt. Anknüpfend bei Komakino, welches er im MAMCO Genf geschaffen hat, möchte Philippe Decrauzat eine monumentale Wandmalerei gestalten, deren Struktur sich flexibel und zufallsgesteuert durch einen vertikalen Zwischenraum bewegt. Dieser Ort wird zwei Ausstellungsräume sowie die Innen- und Aussenräume miteinander verbinden und geometrische Formen entfalten, die wie die Motive eines Parketts, einer Konzertbühne konstruiert sind. Die verschiedenen, sich zu einer Einheit fügenden, Module des Bodens besitzen eine regelmässige und symmetrische Ordnung, die der Künstler nach einem variablen Prozess anpasst und abwandelt, woraus er sein eigenes semantisches System entwickelt. Die Module werden von ihrem Kontext abstrahiert; vervielfältigen und addieren sich und entziehen sich dem umgebenden Raum. Indem der Künstler neue Fluchtpunkte setzt, die sich zu einer sowohl imaginären als auch realen Welt hin öffnen und schliessen, destabilisiert er die Wahrnehmung des Orts und seiner Vertikalität, dem er Verbundwelten gegenüberstellt. Mit seiner Einladung an Scott King und James Fry, das soziale, politisierte Universum der Subkultur darauf anzubringen und damit zu überlagern, moduliert er den Ort und stellt Gegenkultur und subversive Werte in den Vordergrund.

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