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Cordula Güdemann. Bilder aus der Farbe
10.11.2019 - 07.12.2019

Eröffnung: Sonntag, 10. November 2019, 11.30 Uhr
Ort: Schloss Dätzingen
Die Künstlerin ist anwesend.
Es spricht Dr. Günter Baumann.

Zur Eröffnung wird auch der Katalog vorgestellt, der anlässlich der Verleihung des 15. Kunstpreises der VR-Bank Ostalb erschienen ist.

Öffnungszeiten
Mittwoch bis Freitag 11–18.30 Uhr
Samstag 11–16 Uhr und nach Vereinbarung
Sonn- und Feiertag geschlossen

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Im Bilde sein

»Nun zum Traum: Ich saß an einem Sumpf und dachte an die Hure Kunst. Da fiel vom Himmel Blitz, zischte tief. – Schön! sagte ich. – ... Plötzlich drehte sich irgendwo in meinem Gehirnkino eine Kurbel. Ich sah anders. Schuppen fielen: durch Jahrtausende sah ich frei: Kunst ist, wenn schon nicht ein Vorurteil, so doch immer eine Privatansicht ...«
(Melchior Vischer, »Sekunde durch Hirn«, 1920)

Als Cordula Güdemann feststellte, dass die gegenwärtige Welt kaum noch rein figurativ zu erfassen sei, gab sie ihrer Bildsprache eine völlig neue, nahezu gegenstandsfreie Färbung. Dazu musste sie freilich ihre Malerei nicht gleich in eine andere Sprache übersetzen. Schon früher sah sie die Unterscheidung von gegenständlicher und ungegenständlicher Kunst als obsolet an und zwang beide Darstellungsweisen in einen Dialog, den sie durch die Kraft der Farbe bestritt. Wenn sich ihre jüngeren Arbeiten auf den ersten Blick weiter vom Gegenstand entfernen denn je, bedeutet das keine Abkehr, sondern eine konsequente Fortführung ihres Anliegens mit anderen Mitteln. Die Künstlerin braucht selbst noch immer den Gegenstand, um eine Antwort auf die visions- und phantasielose sowie gewalttätige, verrohte Wirklichkeit unserer Zeit zu geben. Im gestisch ›wil-den‹ Pinselduktus entwickelt Güdemann greifbar nahe Räume, die logisch nicht nachvollziehbar, sondern erlebbar sind – ein freies Spiel.

Das Werk Güdemanns macht es uns nicht leicht, folgt keinem gefälligen Trend. Vielmehr löckt sie wider den Stachel, weil sie engagiert und streitbar etwas zu sagen hat und doch zugleich die Malerei selbst zum Thema wählt. Die Gemälde treten hier nicht an, um Figuren agieren zu lassen oder Szenen zu beschreiben – das kann Cordula Güdemann übrigens durchaus auch mit einer faszinierend suggestiven Kraft, immerhin hat sie der narrativen Kunst zu neuem Ansehen verholfen –: Nein, sie macht die Malerei zur Protagonistin ihrer Kunst, der man sich nicht entziehen kann.

Als Vertreterin der figurativen Malerei hat sie sich die Welt einer abstrakten Kunst erobert, die dem Betrachter zum Greifen nah kommt, teils als landschaftsanmutung, teils als urbane Fiktion oder als negative Utopie – immer mit Witz und Esprit, was mitunter in doppelbödigen Titeln aufscheint. Dass sie diese indifferenten Szenerien auszuformulieren vermag, ist ihrer malerischen Technik, der Ehrlichkeit einer reinen Peinture zu verdanken und dem Interesse für »die Verfallszeiten der Dinge, mit denen wir leben« (C.G.). Die aktuellen Monumentalgemälde, die großformatigen Farbrauschbilder und mittel- sowie kleinformatigen Gouachen bestechen durch ihre drastische, mal splittrig explosive, mal nervös eruptive Farbigkeit und lassen einen Furor erkennen, den die Künstlerin als engagierte Kulturbürgerin auszeichnet: Sie versteht auch das Sujet des Naturbilds als Reaktion auf gesellschaftliche und weltpolitische Entwicklungen. Was man hier sieht, ist der gegenständlichen Welt verpflichtet, gesehen mit den Mitteln einer gestischen Malerei, die der Realität nicht entflieht, sondern sie auf eine gleichsam reflektierte und sinnliche Weise als Empfindung erfahrbar, erlebbar macht. Cordula Güdemann stellt unsere Sehgewohnheiten auf den Kopf: Ihre Palette ist selbst im dominierenden Rot unendlich nuancenreich, und wo wir vermeintlich auf ein schwarz-weißes Bild schauen, wird uns bewusst, wie farbig unser Denken ist.

Die Titel in Güdemanns Werk sind gleichsam ehrliche Beschreibungen, wie sie den Betrachter irreführen oder auch in seiner Gutgläubigkeit wachrütteln. Semantisch ist es ein himmelweiter Unterschied zwischen einem vorgeblich »Blauen See« (war er je wirklich blau?) und der Formulierung »Ins Blaue«, die changiert zwischen einer bloßen Feststellung des Farbwechsels und dem gedanklichen Vagabundieren ins Blaue hinein. Mit dem Hinweis auf die Farbe als Grundlage der Malerei macht sich Cordula Güdemann lustig über die leichtfertige Akzeptanz des Gewohnten oder über die Absurdität von Klischees. »Ohne Titel mit Augen« macht in der Negation eines Titels aus einer in Rottönen schwelgenden Farbsinfonie ein bedrängendes Szenarium – mit Augen eben. Und das sogar lesbare und auf den ersten Blick lautmalerische »Gottogo« könnte, vom Englischen her, auf den Vorsatz hinweisen, dann eben mal weg zu sein – oder es ist eine Verballhor-nung den »to-go«-Wahns, der vor Gott nicht Halt macht. Während einer China-Reise entdeckte Cordula Güdemann im Museum von Macao eine altertümliche Jademaske, die sie in einer Reihe von Bildverarbeitungen mit den (De-)Maskierungen in unserer Gesellschaft in Verbindung brachte ("Masterplan").

So wundert es nicht, dass Bilder wie »Traum« oder »Kleiner Traum« trügerisch sind und möglicherweise auf traumatische Verstörungen hinweisen. Verweilen wir länger vor den Bildern Cordula Güdemanns, spürt man den Bildraum, der allein durch die Farbe erzeugt wird, ohne die Vorgabe eines vom Verstand gebilligten Naturraums. Die Wirklichkeit ist eine gemeinschaftliche »Kopf-an-Kopf«-Geburt. Cordula Güdemann zeigt Malerei mit malerischen Mitteln, das Medium ist ihr Thema. Hier begreifen wir, dass Farben nicht allein eine ästhetische, sondern auch eine ethische Qualität haben. Es gibt Arbeiten, bei denen die aufgeladene Stimmung, nicht selten auch Wut und das Gefühl der Ohnmacht, zu greifen ist – wenn auch nur während einer »Sekunde durch Hirn«. Das Resultat sind irritierend schöne, seismographisch überwältigende, geheimnisvoll formwerdende Chiffren einer undurchdringbar gewordenen Welt, die sich anschickt, wieder in ein vorzivi-lisatorisches Chaos zu stürzen. Dagegen malt Cordula Güdemann an.

Günter Baumann