press release only in german

„Ich muss herauskriegen, wer recht hat, die Gesellschaft oder ich.“ [1]

Die Galerie Jette Rudolph freut sich sehr, die erste Soloshow der Leipziger Künstlerin Corinne von Lebusa (*1978; Herzberg) in Berlin präsentieren zu dürfen.

Die Malereien und Objekte von Lebusa ziehen den Betrachter aufgrund ihrer farbigen wie kompositorischen Akzentuierung unwiederbringlich an obgleich mit Aquarell auf kleinformatigen Bildträgern gearbeitet, deren Materialität der Malpappe eine fragile ist und wiederum die schützende Hülle des Bilderrahmens einfordert. In ihrem stilistischen Repertoire variiert die Künstlerin frei zwischen Figuration, Abstraktion und reiner Textarbeit, ausformuliert in mit dem Pinsel geschwungener weicher Formgebung, wodurch sich die selbstbehauptenden, über das gesamte Bildfeld ausbreitenden Statements wie „Ich bin der Sinn des Lebens“ dem Leser charmant vermitteln.

Agitativ in der sprachlichen Aussage und kontrastreich in Komposition und Farbenspiel experimentiert Corinne von Lebusa in ihren Arbeiten mit der heutigen Kultur und dem Phänomen des Zeigens. Immer wieder tauchen Gegenstände auf, Mimiken, Gesten oder Handlungen zwischen Menschen, welche eingebunden in einen unbestimmten Bildraum nach einer erzählerisch logischen Einordnung verlangen. Szenenhaft fragmentiert oder in abstrakte Formen aufgelöst, sind die einzelnen Bilder autonome Projektionen, welche sich nicht mimetisch an realen Vorbildern orientieren, sondern vielmehr den konditionierten Blick und Glauben des Betrachters an das Medium Bild auf die Probe stellen.

Die besondere Betonung in Lebusas Arbeiten im Hinblick auf den Akt des Zeigens, der wiederholt die besondere Aufmerksamkeit des Rezipienten erregt, wurzelt letztlich in dem von ihr oft zitierten Gebärdenspiel, welches der „[Ursprung] der menschlichen Kommunikation“ [2] ist und als informationstragendes Zeichen heute eine besondere Rolle in der Werbung und den Medien spielt.Die in ihren Bildern bisweilen symbolisch aufgeladene Visualisierung vom Akt und der Wirkung des Zeigens generiert sich in Signets wie Pfeilen, ausgestreckten Fingern u.a. oder aber in Handlungen des Offenlegens und Verbergens in Form bloßer Nacktheit oder dem Verstecken hinter Tüchern, Masken, Haaren. Auf diese Weise unterläuft die Künstlerin eine womöglich stringente Kausalität des Zeigens und schafft im Projektionsfeld des Bildes eine künstliche Realität, welche die in ihr agierenden und erscheinenden Dinge und Personen zweckentfremdet, als ob sie allein noch die „[…] Spuren des Gezeigten wären.“ [3] Cor inne von Lebusa irritiert den Betrachter und Leser ihrer Bilder nur zu gerne, wenn sie die heute weitverbreitete „Bildmythologie“ hinterfragt, „[…] welche das Bild als ein handelndes Subjekt hymnisch verherrlicht […]“ [4]. Beim Akt des Malens wie Collagierens spielt die Künstlerin bewusst mit der Sichtbarkeit ihrer Motive und Objekte und rückt dabei die Phänomenalität des Bildes in den Vordergrund womöglich „ein Medium zur Produktion einer artifiziellen Präsenz von nur sichtbaren Phantomen“ [5] zu sein.

Der Wechsel zwischen freier abstrakter oder textlicher Form und traditionell gegenständlichen Darstellungen des Porträts oder der Collage vermittelt ein eindrückliches Oszillieren zwischen Intuition und Ratio. Im Spannungsfeld von Abstraktion und Mimesis, von Malerei und Objekt bewegen sich die Arbeiten der Künstlerin frei im transzendenten Bereich der Wiedererkennung eines Motivs und der Betonung der Mittel des malerischen Gestaltens. Letztlich scheint es, als synthetisiere sich Lebusas Formenvokabular zu Ansichten von seelischen Prozessen und die Kombination von Zeichen emotionaler Befindlichkeiten wie innerer Wahrheiten mit den wirklichkeitsbezogenen Bildgenres generiert eine autonome visuell-ästhetische Realität. Die Künstlerin zeigt mit ihren Arbeiten subjektive Vorstellungen der Welt und entwirft ausschnitthafte Ansichten ihres Menschenbildes im malerisch- phantastischen Raum: Sie wirft Fragen der Identität auf und lotet den Prozess der Selbst(er)-findung zwischen Theme n der Weiblichkeit, Sexualität, Philosophie und Künstlichkeit aus. Referierend auf Lebusas weich konturierte, bisweilen ornamentale Formensprache, die leuchtende und in ihren zarten Übergängen nahezu „geschminkte“ Farbigkeit sowie die Fragilität ihrer Objekt-Collagen vermitteln die Arbeiten spezifische Vorstellungen von Weiblichkeit. Dabei formuliert sie vergleichbar ihren weiblichen Protagonistinnen aus Musik und Literatur polarisierend, unkonventionell und ehrlich, jedoch zugleich wild, ironisch, aggressiv und unbeugsam und sich somit abschließend stets einem hermetischen System widersetzend.

Die auffällig szenische Wiedergabe mehrerer mit- oder nebeneinander agierender Figuren im Raum weicht mit der aktuellen Ausstellung mehr und mehr der Fokussierung auf die Einzelfigur, dem autonomen abstrakten Farbbandspiel und einfach gehaltener Motiv-Text-Kombinationen. Insbesondere der Dialog und die klar getrennte Gegenüberstellung von Mann und Frau in den Bildern Lebusas verbinden sich in einer mehrteiligen, wandfüllenden Porträtserie zu „[...] Archetypen mit Gesichtern, in denen die Geschlechter verschwimmen. Es geht nicht länger um Mann und Frau sondern um das Sein an sich.“ [6]


1 Nora Helmer in Henrik Ibsen: Nora oder Ein Puppenheim, 1879. 2 Vgl. Michael Tomasello, Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, 2009. 3 Vgl. Lambert Wiesing, Sehen lassen. Die Praxis des Zeigens, 2013, S. 228. 4 Ebd., S.42. 5 Ebd., S. 76. 6 Lu Potemka zu den Arbeiten der Künstlerin: Ich fühle, also bin ich, 2013 (unpubliziert).

english version “I will have to find out who is right, society or myself” [1]

The Jette Rudolph Gallery is very pleased to present the first Berlin solo show of Leipzig artist Corinne von Lebusa (*1978; Herzberg).

Lebusa’s paintings and exhibition pieces magnetically attract the viewer through the clarity of their color and compositional accents despite the fact that they are small-scale watercolor paintings done on fragile cardboard, a material that in turn calls for the protective housing of a picture frame. In terms of her stylistic repertoire, the artist’s work varies between figuration, abstraction and work that is strictly textual, where brushstrokes formulate gentle, curving forms, and assertive statements that span the entire image such as “Ich bin der Sinn des Lebens” (“I am the meaning of life”) are charmingly communicated to the reader.

With provocative verbal statements and contrast-rich composition and color interplay, Corinne von Lebusa experiments with today’s culture and the phenomenon of showing. Things constantly surface facial expressions, gestures or actions between people which, in an indeterminate pictorial space, demand some type of narrative or logical ordering. Fragmented into what look like scenes or broken up into abstract forms, the various paintings are autonomous projections that aren’t mimetically based on real examples. Instead, they test the viewer’s conditioned gaze and his or her notion of the medium of the painting.

The special emphasis in Lebusa’s works on the act of pointing, which is really what constantly captures the recipient’s attention, is ultimately rooted in the use of gestures. Frequently evoked in her work, these gestures are at the “[origin] of human communication” [2] and today, as an information-carrying sign, play a special role in advertising and the media.

The at times symbolically charged visualization of the act and effect of pointing is created by symbols that include arrows and extended fingers, or by acts of disclosure and concealment in the form of stark nakedness or something hidden behind a scarf, mask or hair. In this way, the artist undermines the stringent causality that might otherwise accompany the act of showing and creates an artificial reality in the painting’s projection field, thereby alienating the things and people that act and appear in the image, “… as if they were traces of that which is shown.” [3] Corinne von Lebusa loves annoying her viewers and those who read her paintings, and she loves doing this by invoking today’s widespread “picture mythology”, “which in a hymn-like way glorifies the picture as an acting subject…” [4]

By alternating between free abstract or textual forms and traditional representational portraits or collages, Lebusa’s work impressively oscillates between intuition and ratio. In the tension between abstraction and mimesis, between painting and object, the artist’s works move freely in a transcendental area characterized by motif recognition and an emphasis on the means used to create the picture. Unlike figurative or scenic representations, the artist’s abstract form-vocabulary synthesizes in such a way that mental processes are depicted. So by combining signs of emotional states and inner truths with reality-based painting genres, Lebusa is able to construct a visual, aesthetic reality. With her works, the artist presents subjective images of the world and uses the pictorial space as a place to present fragmentary views of her image of humanity, which can hardly be understood rationally: She raises questions of identity and explores the process of inventing oneself, doing so through themes of femininity, sexuality, philosophy and artificiality. With accents created by: 1) the gentle contours of a sometimes ornamental formal language; 2) the bright colors with their gentle, almost “makeup-like” transitions; 3) and the fragile, abstract, cardboard collages that have been carefully assimilated, these works convey specific notions of femininity that not only have a polarizing, unconventional and honest effect, but a wild, ironic, aggressive and uncompromising one as well, thereby ultimately always opposing the notion of a self-contained system.

In the current exhibition, the compelling scene-like representations of several figures in the room engaged in actions, either together or alongside one another, these increasingly give way to a focus on the following: the individual figure, the autonomous, abstract, winding bands and tubes of color, and simple motif-and-text combinations. In Lebusa’s paintings, dialog and the clear-cut juxtaposition of man and woman powerfully fuse, creating a multi-part, wall-filling portrait series on “… archetypes with faces where the genders blur. It is no longer about man and woman but about being in itself.” [5]


1 Nora Helmer in Henrik Ibsen: Nora oder Ein Puppenheim, 1879. 2 Vgl. Michael Tomasello, Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, 2009. 3 Vgl. Lambert Wiesing, Sehen lassen. Die Praxis des Zeigens, 2013, S. 228. 4 Ebd., S.42. 5 Ebd., S. 76. 6 Lu Potemka zu den Arbeiten der Künstlerin: Ich fühle, also bin ich, 2013 (unpubl.).

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Corinne von Lebusa
Halt mich, oder halt nicht