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Eröffnung: Donnerstag, 3. November, 19.30 Uhr

Fast nichts – beinahe alles: Implosionen von Material und Mimesis

Die Kunsthalle Münster zeigt vom 4. November 2016 – 19. Februar 2017 eine Einzelausstellung mit neuen Gemälden von Cornelius Völker. Die Ausstellung „About Painting“ legt den Schwerpunkt auf Bilder aus den Jahren 2011 bis 2016. Zahlreiche neue Gemälde werden in der Kunsthalle Münster erstmals gezeigt. Die Einführung spricht Dr. Gregor Jansen, Leiter der Kunsthalle Düsseldorf.

Seit fast 25 Jahren erkundet Cornelius Völker die Malerei in allen erdenklichen Spielarten. Seine Werke zeigen mit größter visueller Intensität, wie Malerei aus einer dialektischen Spannung zwischen Abstraktion und mimetischer Erkennbarkeit entsteht. Dabei spielt die Farbe eine entscheidende Rolle. Man sieht Farben von leuchtend-ekstatisch bis hin zu dunkel und unheilvoll. Sie sind aufgetragen in jeglicher Konsistenz – von rau, glatt, transparent bis dickflüssig. Seine Werke geben neue Anstöße für das Studium der Farbdynamik im abgebildeten Gegenstand. Dabei bestechen die Motive durch die Fragwürdigkeit, die den Pflastern, Flaschen und Tassen – oder in den neuesten Gemälden den Fleischbeuteln, Lachen, Blüten, Hälsen, Knien und Wolken – anhaftet. Wie aus dem alltäglichen Kontext extrahiert, schwebt jedes Motiv inmitten seiner Undurchdringlichkeit aus Farbe - ohne Hinweis auf Herkunft, ohne erzählerischen Rahmen. Es geht nicht um das potenziell Narrative, vielmehr funktionieren die Bilder als Gegenspieler in Völkers künstlerischen Forschungen, die erkunden, was Bildwürdigkeit überhaupt konstituieren kann. Nicht selten werden bei diesen Recherchen bildnerische Quellen der Kunstgeschichte reflektiert. Seine Gemälde begeistern durch ihre sinnliche Präsenz und fesseln gleichzeitig durch ihre profunden, konzeptuellen Befragungen.

Materie und Raum stehen in den Gemälden von Cornelius Völker in einem Spannungsverhältnis: Oft verzichtet er auf Hintergründe, lässt den Gegenstand in undurchdringlichem Schwarz oder anderen Monochromtönen schweben, schafft optische Barrieren, um das Sichtbare auf der obere Bildebene zu verorten. Eine malerische Strategie, um dem Bildgeschehen durch eine gesteigerte Oberflächenpräsenz eine besondere Farbdramatik zu verleihen. Zur besonderen Bildregie von Cornelius Völker gehört es, die Eindeutigkeit des Hintergrunds aufzukündigen. Die Leinwände sind mit einem bedrohlichen, schlammigen, beige-grauen Pigmentfeld bedeckt, auf dem die rote "Materie" zu schweben scheint und nur darauf wartet, von seinem Pinsel in eine wiedererkennbare Konsistenz und damit auf die Leinwand zurückgebracht zu werden, um hier eine Materie-Qualität zu erhalten.

Eng mit den "Lache"-Werken verbunden sind Bilder wie Asche (2001), Taube (2002), Müll (2006), Abfluss (2008), Brustwarze (2010), Fleck (2010), Wunde (2010) und Wolken (2015), weil auch sie fast nichts abbilden und doch den Betrachter fesseln. Bilder wie die der gerade von einer brennenden Zigarette gefallenen Asche verkörpern die unvergleichliche Qualität seiner stärksten minimalistischen Werke: Er hat die letzten, sterbenden Reste eines Gegenstands eingefangen, einen physischen Schatten seiner vorherigen Existenz, um sie auf der Leinwand wieder zu erschaffen.

Die "Wunde"-Gemälde (2010) fordern die Wahrnehmung in ähnlicher Weise heraus: Kurze, dünne Linien schneiden durch Schmierspuren in Dunkelrot auf verschwommenen Untergründen in fleischigem Rosa. Der Gegenstand des Gemäldes entsteht nach und nach durch die Kraft des Malprozesses. Auch hier wecken die dramatischen Leinwände im Betrachter Faszination und Abwendung.

Dabei ist Völker kein abstrakter Maler. Er porträtiert leicht wiedererkennbare Dinge aus dem Alltag, denen gerade durch ihre Allgegenwärtigkeit ihre Bedeutsamkeit entzogen wurde. Gleichzeitig stellt er die Grenzen in Frage, was als ernsthafte Malerei definiert ist: Hunde und Meerschweinchen, Teebeutel, Flaschen, Badeschlappen, mit Marmelade bestrichene Brotscheiben, dickbäuchige Männer, Frauen mittleren Alters und Mädchen, die Staubsauger vor sich her schieben oder Handtaschen tragen. Wie aus dem alltäglichen Kontext extrahiert, schwebt jedes Bild inmitten eines undurchdringlichen Meeres aus Farbpigmenten, ohne Hinweis auf seine Herkunft oder einen erzählerischen Rahmen.

Nichts ist dabei zu banal oder zu heilig, um der künstlerischen Neugier und Überprüfung zu entgehen. Cornelius Völker plündert die Archive der hohen Kunst wie ein visueller Kidnapper. Das zeigt sich nicht zuletzt in seinen Darstellungen riesiger Stapel kunstgeschichtlicher Bücher mit Eselsohren, voller gelber Post-it-Zettel – allesamt Bestände aus seiner eigenen Bibliothek. Denn: Gute Kunst spiegelt immer auch ihre meisterlichen Vorgänger wider. Mit umfangreichem Wissen und einer hochkonzentrierten visuellen Sensibilität ausgestattet, wählt er Motive von Rembrandt bis Jean-François Millet und von Édouard Manet bis Vincent van Gogh, die als Katalysatoren für seine ständige künstlerische Bildrecherche dienen.

Völker transformiert Bilder aus den Annalen der Kunstgeschichte in die für ihn charakteristischen Darstellungen gewöhnlicher Menschen und Dinge. Auf diese Weise stellt er die kongeniale Beziehung zwischen Hoch- und Alltagskultur in Frage. Mit diesem Auswahl- und Adaptionsprozess provoziert er eine Reihe von Fragen: Wo endet das Zitat des Originals von Manet und wo beginnt der authentische Völker? Was bedeutet es, Bilder in einem anderen Kontext zu reproduzieren? Ist es möglich, ästhetische Standards aus der Vergangenheit in eine neue, zeitgenössische Bildsprache zu übertragen? Welche Variablen und festen Bestandteile braucht ein Gemälde dafür? Völkers Interesse an historischen Gemälden wird in der Tat getragen von dem ständigen Hinterfragen des Mediums an sich.

In einer neuen Gemäldeserie aus dem Jahr 2016 hat Völker Blumen als Sujet gewählt, und wie bei den "Lache"-Gemälden schwingt auch bei diesen Arbeiten immer ein Gefühl der Unsicherheit mit. In einem Gemälde mit dunkelgrauem Hintergrund sind Blüten und Blütenblätter, vielleicht die von Rosen oder Tulpen, scheinbar zufällig über das Bild verteilt. Im oberen Teil der Leinwand ist eine Vase angedeutet, die jedoch über den Bildrand hinweg verschwindet. Die Blütenblätter scheinen von einem Blumenstrauß auf einen Spiegel oder eine Lache gefallen zu sein; ihre diffuse Reflektion schwebt über die leuchtende Oberfläche. Zweifellos sorgt die Darstellung von Blumen für eine gefällige Komposition, aber dieses Gemälde wirkt durch seine mehrdeutige Metaphorik und die Anspielung auf den bevorstehenden Verfall unbehaglich.

Diese Gemälde führen den Gegenstand selbst an den Rand der Abstraktion. Er erfasst den Moment, in dem Material und Mimesis ineinander zu implodieren scheinen. Die Spannung zwischen Abstraktion und bildlicher Darstellung sowie zwischen Anziehung und Abstoßung – die Ambivalenz, die sein Werk insgesamt definiert – scheint in diesen Bildern zu kulminieren, und gerade in diesen Bildern, die „fast nichts“ darstellen. Diese visuell komplexen Leinwände scheinen als die Quintessenz von Völkers Werk auf und gehören zu dem Spannendsten, was er bisher gezeigt hat – und was vielleicht bisher in der Kunsthalle Münster ausgestellt wurde.

Zur Ausstellung erscheint ein neuer Katalog im Schirmer/Mosel Verlag, München, der von der National-Bank AG ermöglicht wird. Herausgeber ist die Kunsthalle Münster. Die Katalogbeiträge werden von Robert Fleck, Gregor Jansen, Gail B. Kirkpatrick, Magdalena Kröner, Hans-Joachim Müller und Anna von Münchhausen verfasst.

Cornelius Völker, geboren 1965 in Kronach, lebt und arbeitet in Düsseldorf und New York. Seit 2005 ist er Professor für Malerei an der Kunstakademie Münster.