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Ein Rundgang zum Sound in Cosima von Bonins Ausstellung
"CUT! CUT! CUT! LOOP # 04 of the Lazy Susan Series"
von Kristina Schulze

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"Wir versuchen zu begreifen, dass hier alles möglich Ist." 1)

Je näher ich ihr komme, umso lauter kann ich sie hören: Ein leises Wummern dringt in mein Ohr. Durchquerte ich eben noch die nahezu würdevolle Ruhe der übrigen Ausstellungsräume, stehe ich nun einer weißen Treppe gegenüber, an deren Ende die Quelle des wabernden Sounds auf mich wartet. Sie führt zu dem großen Oberlichtsaal des Museum Ludwig, dem Ort, an dem Cosima von Bonin derzeit den letzten Teil ihrer Lazy-Susan-Reihe ausstellt. Es ist viel geschrieben worden über diese Ausstellung, etwa über die trägen Stofftiere, die im Gegensatz zu der offenkundigen Produktivität der Künstlerin zu stehen scheinen oder über von Bonins Bedürfnis, mit anderen Kulturschaffenden zusammenzuarbeiten. Auch ‚Loop #04’ in Köln zeugt von ihrer Idee der künstlerischen Kooperation, insbesondere die Zusammenarbeit mit Musikern nimmt hier einen wichtigen Platz ein. Die Ausstellung erhielt einen ganz eigenen Sound, der sie wie ein lebendiges, bebendes Etwas in der üblichen Stille eines Museums erscheinen lässt. Angekommen im Oberlichtsaal. Hier also befindet sich Cosima von Bonins Reich. Ich lehne mich über die Brüstung einer balkonartigen Balustrade und sehe mich um. Es ist ein buntes Setting, das sich auf sechs überdimensionalen Tischen vor mir ausbreitet. Herumfläzende, übergroße Stofftiere. Ein verlogener Pinocchio mit ellenlanger Nase auf einem Schiedsrichterstuhl. Spiegel. Scheinwerfer. Patchworkartige Stoffbilder. Bewegungslosigkeit… Einzig die Lazy Susan, eine große Drehscheibe rotiert langsam und trägt einen ermattet auf seinem Rücken liegenden Stoffhasen mit sich. Unwillkürlich kommen mir die riesigen Kaufhaus-Schaufenster in den Sinn, in denen zur Weihnachtszeit alljährlich wahre Stofftierpanoramen aufgebaut werden. Ständig neu fokussieren. Ständiger Wechsel zwischen grellen und sanften Farben, zwischen groß und klein, zwischen fern und nah. Dazu die Dauerberieselung durch einen leisen Elektrosound mit schnellem Beat, der aus an der Decke befindlichen Lautsprechern strömt und mich an die Warenpräsentation in einem hippen Kaufhaus denken lässt. Alles heischt um meine Aufmerksamkeit.

Eine schmale Treppe gewährt Einlass in die Ausstellungswelt unterhalb der Tische. Erneuter Perspektivwechsel. Der Maßstab verzerrt sich und ich fühle mich auf einmal viel kleiner als zuvor. Baumgleich ragen die hohen Tischbeine nach oben. Plüschaustern luken aus Hutschachteln hervor, überdimensionale Pilze scheinen ihr Innerstes hinter ihren Stoffüberzügen verstecken zu wollen. Das Wort ‚Privato’ kommt mir in den Sinn, ein roter Schriftzug aus Metallbuchstaben, der auf der Lazy Susan platziert wurde. Die äußere Hülle der Objekte ist zu sehen, ihr innerer Kern, ihre Privatsphäre, bleibt im Verborgenen. Nur zaghafte Einblicke werden gewährt: So lassen sich etwa die Stoffleinwände hier unten aus größerer Nähe betrachten und offenbaren einen Mikrokosmos an genähten und gestickten Songtexten, figürlichen Szenen und gestikulierenden Micky-Maus-Händen. Ein Elektrosound mäandert durch den Raum und schafft eine unruhige Atmosphäre. Klimpernde Melodien, Up-Tempo-Beats, sanftes Klopfen und Scheppern. ‚Soundduschen’, transparente Glashalbkugeln, hängen wie ein Lampenschirm von der Decke und tragen kleine Lautsprecher in sich. Nur an derartigen Konzentrationspunkten ist das bewusste Hören eines einzelnen Tracks möglich. Sobald ich mich davon entferne, höre ich erneut den vielschichtigen Klangteppich der Ausstellung bestehend aus der Musik und den gewöhnlichen Geräuschen des Museums wie dem Wispern der Ausstellungsbesucher. So wie das Auge immer wieder neu fokussieren muss, muss auch das Ohr sich ständig neu auf diese Geräuschkulisse einstellen. Jedoch ist das Ohr ein offenes Sinnesorgan, das sich kaum kontrollieren lässt. Alle Geräusche dringen unkontrolliert und gleichzeitig hinein.

Alles ist nur scheinbar vertraut. Das übergroße Kaufhaus mit seinen charismatischen Stofftieren und bunten Gegenständen bleibt seltsam fremd und distanziert, entflieht dem unmittelbaren Zugriff des Betrachters. Die vermeintliche Vertrautheit verpufft mit jedem Schritt: Alltagsgegenstände wurden verformt und verborgen, Größenverhältnisse ins Absurde umgekehrt. Die Überdimensionalität der Tische macht ein Platz- und Teilnehmen im Kreis der Objekte unmöglich. Auch die Objekttitel deuten lediglich an, wollen ihre Geschichten offenbar nur Eingeweihten ins Ohr flüstern. Doch Musik kann Geschichten erzählen: Am hinteren Teil der Brüstung wurde eine Kopfhörerstation installiert. Schilder weisen darauf hin, dass hier zu hören ist, ‚was der Beardsley Bear / der Beardlsey Rabbit hört.’ Bär und Hase lümmeln einige Meter von mir entfernt vor ihren Holzhütten. Durch das Aufsetzen der Kopfhörer und das Hören der narrativen, minimalistischen Musik erfährt die Direktheit dieser Objekte für mich eine unmittelbare Steigerung: Ihr Eigenleben wird erfahrbar. Da Musik einen unmittelbaren Reiz ausübt, vermag sie die emotionale Reaktion auf die Objekte zu intensivieren – wobei diese sich durchaus konträr zu der Reaktion auf die Arbeiten selbst entwickeln kann. Ähnlich wie bei einem Soundtrack und seinem zugehörigen Film besteht auch hier eine enge Verbindung zwischen Objekt und Sound. Jedoch existiert keine Chronologie, kein dramaturgisches Konzept. Vielmehr findet alles gleichzeitig statt, wird ein dichtes atmosphärisches Netz aus Sinneseindrücken geschaffen. Der Sound fungiert dabei nicht etwa als Sprachrohr der bildenden Kunst, sondern vermag vielmehr eine – wenn auch schwer begehbare – Brücke zu ihnen zu schlagen. Das Auditive rückt das Visuelle in den Mittelpunkt.

Es war der Berliner Elektro-Komponist Moritz von Oswald, den Cosima von Bonin einlud, Tracks für ihre Lazy-Susan-Reihe zu komponieren und für jede Station einen speziellen Titel zu entwickeln. Seit ihrer Ausstellung in Bregenz (2010) arbeitet Cosima von Bonin mit Moritz von Oswald zusammen. Eine Zusammenarbeit, die von gegenseitigem Geben und Nehmen bestimmt ist: von Oswald komponiert Tracks oder gibt Konzerte im Zuge der Ausstellungen; im Gegenzug beauftragt er von Bonin, die Plattencover seiner Band ‚Moritz von Oswald Trio’ zu gestalten. So wie Musiker und Künstlerin miteinander in Dialog treten, sind auch die entstehenden Arbeiten aus Objekt und Sound als Dialog-Werke zu begreifen, wobei Cosima von Bonins Arbeiten immer den Ausgangspunkt bilden. 2) Seit jeher arbeitet die Künstlerin mit Kollegen und Freunden aus den verschiedensten kreativen Bereichen zusammen. Sie trifft eine Auswahl, nimmt Setzungen vor und lässt jedwede individuelle künstlerische Position zu, indem sie bestimmte Entscheidungen ihren Freunden anvertraut. Gleichzeitig reduziert sie ihre eigenen Kontrollmöglichkeiten, etwa wenn sie Moritz von Oswald die verschiedenen technischen Lösungen zur Platzierung ‚seines’ Sounds in der Ausstellung überlässt. Cosima von Bonin bildet den Kern einer im Geiste verwandten Familie, wobei diese, wie es bei Familien so üblich ist, in sich heterogen ist. All ihre Mitglieder vereint nicht zuletzt der Spaß an der gemeinsamen Arbeit und das Bedürfnis, die eigene Kreativität frei und selbst bestimmt – auch im musealen Kontext – zu verwirklichen. Cosima von Bonin lässt die Ausstellungsbesucher an dieser Synthese teilhaben, indem sie ihre Ausstellungen um einen subinstitutionellen Rahmen erweitert: So finden währenddessen DJ-Sets, Konzerte (etwa: Phantom / Ghost, Stefan Mohr, Produzentin) und Lesungen statt.

Elektronische Musik, früher stärker in ihren Filmen repräsentiert, nimmt inzwischen einen wichtigen Platz in Cosima von Bonins Arbeiten ein. Dies zeigt sich in besonderem Maße in ihrer Kölner Ausstellung, ist diese Stadt doch gleichzeitig langjährige Wirkungsstätte der Künstlerin. Es ist dies nicht der Ort, um näher auf die Rolle Kölns als Zentrum elektronischer Musik in den 1980er Jahren einzugehen – wichtig ist jedoch: Cosima von Bonin weiß um diese Bedeutung, hat sie selbst miterlebt und offenbart ihre Anerkennung, wenn sie etwa einen Film über Karlheinz Stockhausen und das ehemalige WDR-Studio für elektronische Musik in ihrer Ausstellung zeigt und Führungen durch eben jenes legendäre Studio organisieren lässt. Ihre Liebe zu (elektronischer) Musik fließt auf unterschiedliche Art und Weise in ihre künstlerische Produktion ein: So wurden etwa die Ohren des ‚Purple Sloth Rabbit’ mit Schallplatten am Boden befestigt, zahlreiche Zitate aus Songtexten finden sich in den Objekten und ihren Titeln. Cosima von Bonin komponiert ihre Werke anhand verschiedener Materialien, – Liedtitel, Charaktere aus Cartoons oder Filme ihrer Lieblingsregisseure – die ihr meist im privaten Rahmen begegnen. Ihre Arbeiten sind damit viel persönlicher – aber nicht gleichzeitig nahbarer – als es auf den ersten Blick scheint. Ich habe oft versucht, mir Cosima von Bonins Ausstellung ohne Musik vorzustellen. Beim Hindurchgehen habe ich mir stellenweise tatsächlich die Ohren zugehalten, habe versucht, mich in ruhigere Zonen zu begeben und die Objekte von diesen Punkten aus zu betrachten. Ich wollte herausfinden, wie sich meine Wahrnehmung der Arbeiten durch die Stille verändert. Ein Versuch der – mit Verlaub – fehlschlug. Zu der Installation ‚Wir sind viele’, einem Haufen weißer Kuscheltiere, der von Scheinwerfern bedrängt wird, gehört eine Sounddusche, deren Sound unverkennbar an einen Herzschlag erinnert. Die Musik erweckt die Objekte hier zwar nicht zum Leben, aber sie stellt eine unmittelbare Verbindung zum Betrachter her, macht sie gar zugänglicher. Wenn ich den Sound außer Acht lasse, nehme ich den Objekten etwas weg, mache sie unvollständig und lasse einen Aspekt außer Acht, der für die Künstlerin ungemein wichtig ist.

1) Auszug aus dem Tocotronic-Song "Hier ist der Beweis".

2) Diese Informationen wurden mir in einem Gespräch mit Katia Baudin, Kuratorin der Ausstellung im Ludwig Museum vermittelt. Das Gespräch fand am 9. Dezember 2011 statt.

* ausstellung im Museum Ludwig, Köln: Cosima von Bonin´s Cut! Cut! Cut!. Loop #04; vom 05. Nov 2011 bis 13. May 2012