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Ausstellung Verlängert bis 7. Februar 2021

Daniel Steegmann Mangrané: Dog Eye

Mit Dog Eye zeigt die Kunsthalle Münster vom 13.09. bis zum 22.11.2020 die erste Einzelausstellung des in Brasilien lebenden Künstlers Daniel Steegmann Mangrané in einer deutschen Institution. Seine Werke – darunter Installationen, Filme, Soundarbeiten, Fotografien, Zeichnungen, Hologramme und Skulpturen – zeichnen sich durch einen poetischen Ansatz aus, bei dem sich geometrische und abstrakte Formen mit natürlichen Elementen überschneiden: Äste, Blätter, Insekten und jüngst auch Hunde fungieren als integrale Bestandteile der Werke von Daniel Steegmann Mangrané. Er kreiert ein Gefüge, das uns dazu veranlasst, unsere Position in der Welt und damit auch unsere Haltung zu unserer Umwelt zu befragen. Dabei gilt es, die vorherrschende westliche Wahrnehmung, die auf einem binären Denken von Subjekt und Objekt, Natur und Kultur beruht, zu überdenken.

Dog Eye – am Anfang der Ausstellung steht das Auge eines Hundes, das eine Metamorphose durchlaufen hat; es ist zu einer geometrischen Form geworden, deren Ursprung sich nur mehr erahnen lässt. Der intensive Blick des Tieres ist nicht mehr greifbar. Durch den Eingriff des Künstlers entzieht er sich, wird aufgebrochen und ist in unterschiedliche Richtungen zerstreut – fast geisterhaft wirkt die Präsenz des Tieres.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Münster bringt neuere und ältere Werke Daniel Steegman Mangranés zusammen; zentral sind dabei die beiden filmischen Arbeiten Fog Dog (2019/2020) und Phasmides (2012), um die herum sich ein Netzwerk aus Werken unterschiedlicher Medien entspinnt. Bei Fog Dog handelt es sich um den ersten narrativen Film Steegmann Mangranés. Als Set diente ihm das Institute of Fine Arts in Dhaka in Bangladesch. Der Film dokumentiert das alltägliche Geschehen in der Schule so-wie das Zusammenleben der Menschen, die dort lehren, lernen und arbeiten, sowie ihrer nichtmenschlichen Bewohner – eine Vielzahl an herumstreunenden Hunden. Das Bauwerk wurde Anfang der 1950er Jahre von dem Architekten Muzharul Islam (1923–2012) entworfen, der als Pionier der Moderne in Bangladesch gilt. Es zeichnet sich durch seine offene Struktur und seine geometrischen Formen aus. Die Grenzen zwischen Innen und Außen scheinen fließend, wodurch nicht nur die Hunde den Weg ins Gebäude gefunden haben, sondern sich auch die Geräuschkulisse aus tropischer Landschaft und Stadtlärm mit den Erzählungen im „Innern“ der Schule vermischen. Wie die Vergangenheit die Gegenwart und die Zukunft formt, macht eine Unterhaltung zweier Frauen über die Auswirkungen der kolonialen Vergangenheit Bangladeschs deutlich. Ein weiterer Exkurs bildet ein Fernsehbericht über die Folgen des Klimawandels, den sich der Nachtwächter der Schule nach Einbruch der Dunkelheit ansieht. Damit führt der Film die Gleichzeitigkeit verschiedenster Geschehnisse und Geschichten vor Augen, die Zeit und Raum überwinden. Während der Nacht zeigt sich, wer dem Gebäude noch innewohnt, die Schule wird von einem Phantom aufgesucht, das den Nachtwächter nachhaltig verschreckt und ihn auch nach Tagesanbruch noch verfolgt.

Etwas Unheimliches prägt auch den Film Phasmides, deren Protagonisten mehrere Stabheuschrecken sind, auch bekannt als Gespenstschrecken. Die Insekten werden sowohl in einer organischen als auch in einer geometrischen Umgebung gezeigt, wodurch die sich ständig verändernden Beziehungen hervorgehoben werden, die die Insekten mit ihrer Umgebung unterhalten: Es ist ein Spiel mit Tarnung und Enttarnung, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Im Kontext der Arbeit Daniel Steegmann Mangranés erscheinen sie damit als eine Art Sinnbild seines Nachdenkens.

Das Spiel mit Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit setzt sich in der Reihe der Hologramme (2013) fort, die über den Ausstellungsraum verteilt sind. Einige der Hologramme zeigen eine Stabheuschrecke zwischen geometrischen Formen, andere dagegen Zweige. Sie werden durch die Bewegung der Betrachterinnen für diese sichtbar, man muss sich zu den Werken verhalten, um sie sehen zu können. Einen Kontrapunkt dazu bilden die beiden Rotating Tables / Speculative Devices (2016, 2018) – runde, spiegelnde Platten, die sich langsam drehen und auf denen ein fein geteilter Zweig liegt. Auf unterschiedliche Art vollzieht der Künstler eine Verlebendigung, erzeugt in der Bewegung ein filmi-sches Moment und damit ein formales Spiel mit dem Animismus. Sind es bei dem einen Werk die Bewegungen der Besucherinnen, wird die Bewegung bei dem anderen Werk von einer Maschine übernommen. Die Wandmalerei Morphogenesis / Cripsis (2019) – eine geometrische Struktur, in die Stöcker eingearbeitet sind – nimmt dagegen ganz unmittelbar Bezug auf die Verteidigungsstrategie der Kripsis, mit der sich Tiere ihren Räubern zu entziehen versuchen. Es führt aber auch dessen Scheitern vor Au-gen, das der französische Soziologe und Philosoph Roger Caillois (1913 – 1978) in seinem Aufsatz zur Mimikry untersuchte, denn die Stöcker sind ihrer Umgebung zwar ähnlich, gehen jedoch nicht in dieser auf.

Die geometrischen Strukturen, die sowohl das Insekt in dem Film Phasmides oder aber in den Hologrammen umgeben als auch die Collage Dog Eye (2020) prägen, werden von Steegmann Mangrané auch in seinen beiden großen Gläsern Systemic Grid 17 (Window 2) (2015) und Systemic Grid 124 (Window) (2019) aufgegriffen. Diese bestehen aus handgeblasenen Glasscheiben, akribisch geschnitten und in ein kompliziertes geometrisches Gitter überführt. Die dahinterliegenden Körper und der Raum erscheinen verzerrt – ein unmittelbarer Eingriff des Künstlers in den Raum, mit dem ähnlich wie bei einem Kaleidoskop ein statisches Bild aufgebrochen wird.

Die künstlerische Praxis Steegmann Mangranés ist u. a. geprägt von der Philosophie des brasilianischen Anthropologen Eduardo Viveiros de Castro (geb. 1951). Neben der Idee des „dekolonisierenden Denkens" ist dieser für seine Vorstellung eines multinaturalistischen Perspektivismus bekannt, der auf dem Glauben der indigenen Bevölkerung Amerikas beruht, dass alles menschlich oder animistisch ist. Der Künstler sucht in seinen Werken nach einem visuellen Ausdruck für diese Gedanken, dabei verdeutlicht die Zusammenschau seiner Werke sein Interesse an unterschiedlichen Möglichkeiten der Wahrnehmung.

Es ist das Beziehungsnetzwerk der Ausstellung, indem sich das Universum Daniel Steegmann Mangranés offenbart. Darüber hinaus misst er, beeinflusst durch den Neo-Konkretismus, eine Bewegung, die zwischen den späten 1950er und frühen 1960er Jahren in Brasilien aufkam, dem Format der Ausstellung noch eine weitere Bedeutung bei. Ihre Vertreterinnen bezogen die körperliche Erfahrung der Rezipientinnen unmittelbar in ihre Werke mit ein und lösten damit einen Prozess der Demokratisierung der Kunsterfahrung aus. Dem folgend spielt das körperliche Involviertsein des Publikums auch für Daniel Steegmann Mangrané eine wichtige Rolle: „I want all the attention, all the commitment, all the body and all the thinking of the viewer. I want him or her to be totally taken by the work or by the exhibition. I think deeply on how I can enhance the experience, and how I can steal the maximum amount of time and attention. […] You think with your body and with your movement, and the mind is a muscle. So by changing the conditions of the viewer’s body, you can change his state of mind, the way one acts or interacts, your perception of space and scale. Being capable of such transformation is what makes the medium of the exhibition so deeply rich.“

Die Ausstellung ist kuratiert von Merle Radtke.