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Der tschechische Künstler und Trickfilmmacher Jan Svankmajer (*1934) erzählt aberwitzige, traumartige Geschichten, die außerhalb von Zeit und Raum zu existieren scheinen. Er, der Filmemacher wie Tim Burton, Terry Gilliam, Henry Selick und Darren Aronofsky maßgeblich beeinflusste, gilt als Legende unter Cineasten. Und doch sind seine Arbeiten meist nur ausgewiesenen Liebhabern des Animationsfilms ein Begriff. Die Kunsthalle Wien gibt in dieser gemeinsam mit der Ursula Blickle Stiftung erarbeiteten Schau erstmals im deutschsprachigen Raum einen Einblick in die ganze Bandbreite von Svankmajers Oevre, und zeigt neben filmischen Arbeiten auch seine skulpturalen Objekte und Radierungen, die ihn als multimedialen Künstler ausweisen.

Das Spektrum von Svankmajers Schaffen reicht von surrealen zwischen Horror und Humor changierenden Filmen, über sinnlich-skulpturale Objekt- und Materialerkundungen, bis hin zu absurden graphischen Bildkompositionen. Deutlich ist Svankmajers Interesse für Literatur, im besonderen für die Schriftsteller Edgar Allan Poe und Lewis Carroll, zu denen er sich „mentally on the same side of the river“ sieht. So stehen im Mittelpunkt der Ausstellungen in Kraichtal und Wien seine literarisch motivierten Filme wie „Alice“, eine dunkle, grüblerische Version von Carrolls „Alice in Wonderland“ und die auf einer Kurzgeschichte Edgar Allan Poes basierende Arbeit „The Pendulum, the Pit and Hope“. Dem Film „The Fall of the House of Usher“ könnte auch der Untertitel „A Tactile Portrait of Edgar Allan Poe“ hinzugefügt werden. Die Kamera schweift durch ein verfallendes Haus, der Boden erwacht zum Leben, die Wände brechen auf. Jan Svankmajer beschrieb in einem Interview seine Faszination für Poe mit den Worten: „Die Wirkung der Geschichten Poes ergibt sich nicht aus ihrer Handlung, sondern aus der Fähigkeit des Autors, Gefühle des Entsetzens hervorzurufen, die der inneren Natur der Charaktere entspringen. Er vermag die intimsten Reaktionen der menschlichen Seele auf diese aus unserem Unbewussten aufsteigende Urangst zu beschreiben, für welche die Situationen, mit denen wir uns konfrontiert finden, nur eine Art explosiver Auslöser sind.” Svankmajers Filme zeichnen sich durch seine über Jahrzehnte weiterentwickelte Stop-Motion-Technik aus, deren Schnitte er immer wieder mit atmosphärischen Geräuschen kombiniert. Ihn interessieren Animationstechniken nicht um komplette Illusionen zu kreieren, sondern um alltägliche Gegenstände zum Leben zu erwecken.

Neben seinen ins Surreale zielenden (Kurz-)Filmen baut Svankmajer Skulpturen aus Muscheln, Knochen, Federn und Vogeleiern. Skelettteile verstorbener Tiere erhalten Porzellanhände und -beine und mutieren zu skurrilen, surrealen und verstörenden Wesen die den Tiefen einer Traum oder (Alp)traumwelt entsprungen zu sein scheinen. Manche dieser Wesen erinnern an Fabelwesen, die die Menschen bereits seit Jahrhunderten faszinieren. Die Materialien für all seine Objekte brachte der leidenschaftliche Sammler von unzähligen Reisen mit. Es gelingt Svankmajer toter Materie Leben einzuhauchen. Im Lebendigen sucht er die morbiden Züge, die auf die dunkle Seite der Existenz, das Unheimliche und die verworrenen Wege der Psyche deuten. Diese ungewohnten Perspektiven lassen unvergleichliche, märchenhafte Kunstwerke mit Ironie, Witz, Bedrohung und Angst entstehen. Auch die Radierungen in der Anmutung alter zoologischer, anatomischer oder botanischer Studien zeigen phantastische Fabelwesen, Produkte einer unheimlichen Begegnung organischer Materialien. So entstehen immer neue Phantasiewesen aus dem Unterbewussten, das er als seine stärkste Inspirationsquelle bezeichnet: “Was immer auch aus meinem Unterbewussten kommt, verwende ich, weil es für mich die reinste Form hat. Während alles in unserem Bewusstsein durch die Realität, die Kunst und die Erziehung geprägt ist, sind die ursprünglichen Erfahrungen in uns die unverfälschtesten.“

Jan Svankmajer wurde 1934 in Prag geboren und lebt auch heute noch in der Stadt, die André Breton einst „die magische Hauptstadt Europas“ nannte. Am Beginn seiner Karriere stand ein Geschenk: 1942 erhielt der damals 8jährige von seinen Eltern ein Puppentheater. In den 50er Jahren studierte Svankmajer zuerst an der Prager Hochschule für darstellende Kunst (AMU) und anschließend an der Prager Akademie of Performing Arts am Institut für Puppentheater, wo er stark vom sowjetischen avandgarde Theater und Film beeinflusst wurde. Nach Beendigung des Studiums begann er am Prager Semafor Theater zu arbeiten und gründet dort das Theater der Masken. Einige Zeit später wechselt Svankmajer zum berühmten Laterna Magica Theater und produziert dort 1964 seinen ersten Film „The Trick“. Ende der 60er Jahre lernte er seine Frau, die surrealistische Malerin Eva Svankmajerová kennen und trat der tschechischen Surrealisten-Grupper bei, die sich um den Theoretiker Vratislav Effenberger formiert hatte. Von 1972 – 1980 wurde Jan Svankmajer vom kommunistischen Regime mit Drehverbot belegt, was ihn nicht daran hinderte, weiter zu arbeiten. Seine Filme wurden in diesen Jahren allerdings nur im Ausland gezeigt. 1988 produziert er mit „Alice“ seinen ersten Kinofilm, der zum Kultfilm avancierte. Seit der Samtenen Revolution 1989 werden Jan Svankmajers Filme, Objekte und Radierungen weltweit ausgestellt. Besonders Interesse fanden seine Arbeiten bisher in Japan, Großbritannien und Frankreich.

Die Ausstellung Jan Svankmajer. Das Pendel, die Grube und andere Absonderlichkeiten findet in Kooperation mit der Ursula Blickle Stiftung statt. Im Mittelpunkt der Ausstellung im zentralen Raum der Kunsthalle Wien sind die drei schwarz weißen Arbeiten „The Flat“, 1968, „The Fall of the House of Usher, 1980, sowie „The Pendulum, the Pit and Hope“, 1983 zu sehen, sowie Jan Svankmajers erster surrealistischer Film „The Garden“, 1968. In der Ursula Blickle Stiftung wird darüber hinaus der Film „Alice“, 2000 gezeigt.

Kurator: Gerald Matt

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Das Kabinett des Jan Svankmajer
Das Pendel, die Grube und andere Absonderlichkeiten
Kurator: Gerald Matt