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«Die Installation Das schweigen der Junggesellen besteht aus neun aus Eisenblech, Eisen und gummierten Rädern hergestellten Skulpturen (Masse zwischen 190 x 50 x 50 cm und 220 x 100 x 50 cm; 2011–2012).

Es sind dreidimensionale Umsetzungen von Marcel Duchamps 9 Moules mâlic (9 männische Gussformen) aus seinem berühmten Werk la mariée mise à nu par ses célibataires, même (Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblösst, sogar; 1915–1923), besser bekannt unter den Namen Das grosse glas. Ausgangspunkt für unsere Arbeit war die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Kopie, eine Nachahmung, eine Transformation, eine Interpretation zu einem neuen Original werden können. Was passiert, wenn Duchamps zweidimensionale Staub-Blei-Firnis-Darstellungen auf Glas sich plötzlich aus ihrem Kontext lösen und sich in tatsächliche, überlebensgrosse Figuren verwandeln? Man darf dabei nicht verges- sen, dass es für Duchamp bloss Darstellungen von Gussformen waren, die er wie eine Schneiderin nach bekannten Schnittmustern – cuirassier, gendarme, larbin, livreur, chasseur, Prêtre, croquemort, Policier, chef de gare (Reiter, Gendarm, Diener, Bote, Jäger, Priester, Leichenbestatter, Polizist, Stationsvorsteher) entwarf und imaginär (durch seine Aufzeichnungen in der grünen schachtel, 1934) mit Gas auffüllte. Mit anderen Worten: Hätte er die Skulpturen tatsächlich realisiert und die Gussformen am Schluss entfernt, wären unsichtbare Figuren zurückgeblieben, die sich selbst wiederum als gasförmiges Liebesbenzin in den oberen Bereich des glases pumpen, um es dort wie Sperma an die Braut weiterzugeben und sich dabei aufzulösen. Bei unserer Arbeit werden diese Gussformen nun zu tatsächlichen Skulpturen, zu ,Schachfiguren‘ auf Rädern, die im Ausstellungsraum vom Betrachter herumgestossen werden können. Sobald dieser beginnt, sie im Raum zu bewegen, verändern sich das Bild und die inhaltliche Konstellation des Werks. Es interessiert uns dabei aber ebenso die Frage, inwiefern diese bei Duchamp bloss hypothetischen Figuren über die tatsächliche Realisation eine neue Wirklichkeit generieren und dabei die althergebrachte Überzeugung, dass im avantgardistischen Sinne nur das ‚Neue‘ künstlerisch wertvoll ist, in sich selbst bereits ein Paradox darstellt. Was würde zum Beispiel geschehen, wenn wir hier bei unserem Gespräch keine Wörter wiederholen dürften, weil die Wiederholung – die Kopie – im Sinne der Avantgarde = Kreativität uncool ist? Oder andersherum gedacht: Das Gleiche, das in gewisser Weise eine Kopie, eine Wiederholung, eine Nachahmung ist, existiert im Grunde gar nicht. Denn selbst wenn Sie etwas identisch wiederholen – kopieren – möchten, entsteht immer etwas, das nur scheint, dasselbe zu sein, sich in Wirklichkeit aber vom Original unterscheidet, auch wenn der Unterschied minimal ist. Wir könnten also sagen: Das andere, das Nicht Dasselbe, das Neue, sei im Grunde das Konventionelle. Und das Gleiche, das Identische, die Kopie sei das Spezielle, das Unkonventionelle, ja das Unmögliche, weil es nämlich nicht herstellbar ist. Nichts ist gleich, alles ist anders, selbst wenn wir glauben, dass es gleich ist, scheint es nur gleich zu sein. Das herausfordernde Kunstwerk bewegt sich in diesem Sinne nicht innerhalb von Begriffen wie Original und Kopie, weil es sowohl gleich als auch anders ist. Es kommt aus einer Wirklichkeit, um gleichzeitig auf eine andere aufmerksam zu machen. Und indem es die eine mit einer anderen verbindet, entwickelt sie automatisch eine neue, imaginäre Kraft.»

caroline Bachmann und stefan Banz im gespräch mit armin Berger, 1. Juli 2014