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Dayanita Singh
Dancing with My Camera
October 20, 2022–March 19, 2023

Das Museum VILLA STUCK zeigt die bisher umfassendste Retrospektive der international renommierten Künstlerin Dayanita Singh, die mit ihrem Werk eine singuläre Position innerhalb der fotografischen Tradition einnimmt. Singh arbeitet mit Fotografie, durch ihren konzeptuellen und performativen Zugang versucht sie aber stets, die Grenzen des Mediums auszuloten.

Dayanita Singh hat im Laufe der letzten 40 Jahren zahlreiche Motive in ihren meist schwarzweißen Fotografien festgehalten. Sie lassen ihre langjährige Beschäftigung mit indischer Musik, mit der Veränderung der indischen Gesellschaft, mit Freund*innenschaften, Geschlechterrollen und vieles mehr greifbar werden. Dennoch geht es dabei nie um das einzelne Bild, sondern um die Beziehungen, die zwischen den Aufnahmen entstehen.

Ihr großes Bildarchiv dient Singh als Ausgangspunkt der künstlerischen Beschäftigung. Hier versammelt sie ihre Fotografien, die formale Ähnlichkeiten aufweisen, aber Räume und Menschen zeigen, die örtlich und zeitlich teilweise weit voneinander getrennt sind. In verschiedenen Formaten – Bücher, Collagen, modulare Strukturen aus Holz – führt sie diese Fotografien immer wieder neu zusammen und trägt dabei der Beweglichkeit des Mediums Rechnung. Die Verbindungen, die sie zwischen den Bildern herstellt, sind nie abgeschlossen.

Dayanita Singh versteht sich als offset artist, d.h. als eine Künstlerin, deren Arbeit dissemination (Verbreitung) ist. Ihre ersten Werkgruppen sind als Buchprojekte entstanden, denn dort nehmen die künstlerischen Überlegungen ihren Anfang. In Publikationen verquickt sie ihre Bilder zu bestimmten Narrationen; das Blättern der Seiten stellt eine Möglichkeit dar, die Bilder in Bewegung zu halten. Auch die Bücher selbst bleiben in Bewegung, da sie als mobile Objekte in jeden Raum getragen werden können. Im Laufe der Zeit und vor allem durch ihre Auseinandersetzung mit dem Medium Ausstellung hat sie eine Reihe von modularen, teils architektonisch anspruchsvollen Display-Strukturen entwickelt, die einen einfachen Wechsel von Bildern ermöglichen und diese zugleich in räumliche Beziehung zueinander wie auch in Beziehung zu den Betrachter*innen treten lassen.

Diese flexiblen Strukturen nennt sie „Museen“. Sie beinhalten zahlreiche Bilder, die immer wieder in neuen Konstellationen präsentiert werden können. Die einzelnen Elemente sind beweglich, je nachdem welche Teile sichtbar sein sollen; Fotografien, die nicht gezeigt werden, werden im Inneren aufbewahrt. Damit tragen die „Museen“ ihr eigenes Kunstdepot in sich. Indem Singh immer wieder Koffer oder Hüllen verwendet, um ihre „Museen“ zu transportieren, unterstreicht sie die zentrale Rolle von Bewegung für ihre Arbeit – als Motiv genauso wie als Zeichen der diversen Zugänge zur Kunst und der vielfältigen Verbreitung und Präsentation ihrer Arbeiten.

Singh schafft mit ihren „Museen“ Anordnungen, die viele Ausstellungen in sich tragen und den oft starren Strukturen der Kunstinstitutionen eine Absage erteilen. Auch die aufwendigen Bedingungen von Kunsttransporten scheinen durch Koffer und kompakt zusammenklappbare Elemente aufgehoben. Zugleich hat die Idee der portablen Kunst eine gesellschaftspolitische Dimension in Bezug auf Wandel und Diversität. Denn ein Koffer bleibt stets auf Reisen und wird sich nirgendwo auf Dauer niederlassen. Flexibel bleibt die Buch-Künstlerin auch mit ihrem „Book-Cart“ (2011), mit dem sie sich selbst im Raum bewegen und jederzeit eine spontane Widmung schreiben kann, oder mit ihrer Jacke „My Life as a Museum“(2018), die mit ihren neun Taschen genug Platz für ihre Werke in Leporello-Formaten bietet.

Die Ausstellung im Museum VILLA STUCK wird im Neuen Atelier sowie in den Historischen Räumen gezeigt. Durch die Begegnung mit Franz von Stucks Werken und dessen Wohnräumen verändern sich Dayanita Singhs „Museen“ ein weiteres Mal. Auf den Malerfürsten und dessen Familie treffen Personen aus Singhs Leben und Werk: etwa ihr Mentor und Tabla-Maestro Ustad Zakir Hussain, der sie von Anfang an unterstützte (Singh lernte von ihm, wie man das Leben einer Künstlerin lebt), und insbesondere Mona Ahmed, ihre engste Freundin und Wegbegleiterin seit 1989. Singh beschreibt Mona als die ungewöhnlichste und einzigartigste Person, die sie je kennengelernt hat. Wie ein roter Faden ziehen sich die wiederkehrenden Aufnahmen Monas – wie auch anderer Personen – durch die gesamte Ausstellung und machen einmal mehr sichtbar wie Singh arbeitet. Für ausgewählte „Museen“ werden Patenschaften übernommen, um sie in regelmäßigen Abständen zu aktivieren. Dies bedeutet, dass die modularen Strukturen selbst, aber auch einzelne Fotografien immer wieder bewegt und neu eingerichtet werden. Die Ausstellung wird sich so über die Wochen hinweg immer wieder verändern und den Besucher*innen neu begegnen.