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Die Kunsthalle Bern präsentiert Baltiques, Denis Savarys erste umfangreiche institutionelle Ausstellung in der Schweiz. Bei der Produktion von Filmen, Skultpuren, Zeichnungen und Tanzperformances schafft Denis Savary komplexe Bezugssysteme, die einen starken poetischen Effekt entfalten. Er arbeitet mit Fragmenten aus der Kunst- und Literaturgeschichte und verwebt auf diese Weise intrikate Geschichten über das Begehren und unerwiderte Liebe – Geschichten, die von einer kindlichen Vorstellungswelt, aber auch reiferen, kontemplativeren Phantasmagorien zehren. Savarys Methode des historischen Zitats speist aus einem bibliophilen dérive – einer Tendenz zur sprunghaften Aktualisierung bald dieser, bald jener Buchausgabe, einem ausgedehnten Driften von einem Band zum nächsten.



Ein exemplarisches Werk ist Maldoror, 2012, das Denis Savary anlässlich der Ausstellung in Bern schuf. Es besteht aus zwei gigantischen, an Kokosnüsse erinnernde Figuren. Der Künstler suchte in einem Max Ernst-Katalog nach der Abbildung einer Ein-Personen-Sauna, die zur Therapierung von Syphilis-Patienten verwendet wurde. Stattdessen fand er das Bild eines kokosnussförmigen Wasserbehälters aus Afrika, der Max Ernst als formale Referenz für das Gemälde Eléphants Célèbes, 1921, diente. Denis Savary erinnerte sich, eine Reproduktion des Gemäldes auf dem Cover einer Taschenbuchausgabe von Lautréamonts Die Gesänge des Maldoror gesehen zu haben. Der Künstler verleiht den beiden skurill wirkenden Skulpturen eine mythische und leicht anthropomorphe Qualität. „Das Resultat meiner Arbeit“, so Savary, „steht etwa auf halbem Wege zwischen einer karikaturesken Reminiszenz an etwas, das in Jean-Hubert Martins Les Magiciens de la Terre hätte vorkommen können und dem Dekor einer Tiki Bar“.
 


Bestimmte Szenarien und Motive erscheinen immer wieder zyklisch in Denis Savarys Arbeiten: Geschichten über erotische Sehnsucht, über Häuslichkeit – und Enthauptungen. In Alma (after Kokoschka), 2008, reproduziert er die Puppe, welche Oskar Kokoschka 1918 von Alma Mahler machte, nachdem Alma, die Liebe seines Lebens, Kokoschka verlassen hatte, um Walter Gropius zu ehelichen. Kokoschka lebte ein ganzes Jahr mit dem Surrogat seiner Frau, in der Hoffnung, dass ihn die Puppe trösten würde. Er ging so weit, die Puppe in aller Öffentlichkeit seinen Freunden vorzuführen. Nach etwa einem Jahr köpfte Kokoschka im Rahmen einer Feier die Puppe und erklärte, dass sein Liebeskummer überwunden sei. Im Vestibül der Kunsthalle Bern sind alle vier von Denis Savarys Almas, als eine Meute behaarter Amazonen versammelt, die gerade eine Pause einlegen und die Lichtshow eines verlassenen Nachtclubs anstarren (Le Must, 2004). Ein anderes einschlägiges Werk ist Intimités (after Vallotton), 2007, das von einem gleichnamigen Holzschnitt-Zyklus von Félix Vallotton inspiriert wurde. Die Holzschnitte zeigen häusliche Szenen zwischen Misia Sert und ihrem Ehemann Thadée Natanson, der ein enger Freund und früher Unterstützer Vallottons, sowie der Herausgeber der seinerzeit wichtigen literarischen Zeitschrift La Revue Blanche war. Jahrelang begehrte Vallotton die Frau seines Gönners. Von den Druckplatten bewahrte der Schweizer Künstler diejenigen Teile auf, die Misia Serts Gesicht zeigten. Denis Savary druckte die Bilderserie erneut, liess aber gerade die Bildteile leer, die Vallotton so wichtig waren, dass er die entsprechenden Fragmente der Druckplatten aufbewahrte – so entstanden geometrische leere Formen, wo der Kopf der Protagonistin sein sollte.
 


Denis Savary treibt diese Form direkter und transparenter Repetition beziehungsweise Reproduktion der Quellen noch weiter, indem er die Werke anderer Künstler kurzerhand in seine Ausstellungen einbindet: Eine Praxis, die sich im Bereich zwischen Appropriation und kuratorischer Tätigkeit bewegt und die Savary seit seinen ersten Einzelausstellungen im Jahr 2005 pflegt. In gewisser Weise sind Denis Savarys Arbeiten nicht den Werken anderer Künstler nachempfunden – vielmehr scheint Savary gleichsam mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten, eine komplexe Form von Kooperation in Gang zu setzen. Dieser modus operandi prägt sein Schaffen, was sich schon in der Tatsache zeigt, dass er über die Jahre mit einigen Spezialisten aus anderen Bereichen kollaborierte: Unter ihnen sind die Choreographin Delphine Lorenzo, die Innenarchitektinnen Juliette Roduit und Réanne Clot, sowie die Bühnenbildnerin Fanny Terribilini und die Puppenspielerin Evelyne Villaime, aber auch der französische Essayist Jean-Yves Jouannais und der Schweizer Kurator Samuel Gross. Für Baltiques, seine Ausstellung in der Kunsthalle Bern, hat Denis Savary ein umfangreiches dramatis personae auf das Spielfeld gebeten: Peter Pan, Saint-Fond et le Petit Rose, Leda und der Schwan, Diane and Actaeon – Charaktere, die in Zeichnungen von Pierre Klosowski schon 1981 unter der Leitung von Johannes Gachnang die Wände dieser Institution beehrten.



Denis Savary wurde 1981 in Grange Marmand, in der Nähe von Lausanne geboren. Seit 2004 stellt er seine Arbeiten in Institutionen und Ausstlellungsräumen aus, wie zum Beispiel: Galerie du Granit/Scene Nationale, Belfort (2011), La Ferme du Buisson, Noisiel (2010 / 2011), Centre Culturel Suisse, Paris (2010), Jeu de Paume, Paris (2008) und Mamco, Genf (2006). 2009 nahm er an der Biennale, Le printemps de Septembre, im Musée des Augustins, Toulouse, teil, kuratiert von Christian Bernard. Seine erste institutionelle Ausstellung in der Schweiz fand 2007 / 2008 im Musée Jenisch, Vevey, statt, darin kuratierte er seine eigenen Arbeiten zusammen mit anderen Werken wie zum Beispiel Malereien von Giorgo Morandi, aber auch mit Arbeiten seiner Zeitgenossen wie Luc Andrié, Francis Baudevin und Aloïs Godinat. 


Die Ausstellung wurde ermöglicht durch die grosszügige Unterstützung von Kultur Stadt Bern, Burgermeinde Bern, Pro Helvetia, Canton de Vaud, Galerie Xippas, Jean-Paul Jungo, Nicole Timonier und Samuel Gross.

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