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Die Ausstellung findet im Rahmen des Projektes >HeimatModerne< statt, einer gemeinsamen Initiative verschiedener Leipziger Institutionen und Gruppen, gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes. Zum Trägerverein Experimentale e.V. haben sich zusammengeschlossen: Forum zeitgenössischer Musik Leipzig e.V., Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, Büro für urbane Projekte, General Panel und raum4.

Die Ausstellung geht verschiedenen Formen der fotografischen Darstellung von Stadt aus der DDR und in Ostdeutschland nach. Die Wahrnehmung von Stadt – und hier vor allem der Städte Berlin, Halle und Leipzig – entspricht hier weniger der dokumentarischen bzw. sozialdokumentarischen Sicht, sie schlägt hier sehr subjektive Töne an. Fast alle Beteiligten sind mit Arbeiten aus den siebziger und achtziger Jahren sowie aktuelleren Arbeiten vertreten. Es liegt also ein Wechsel der gesellschaftlichen Situation zwischen den Entstehungszeiten der Fotografien. Die hier Vertretenen beteiligen sich an den Diskussionen über das Leben und Bauen – bzw. Abreißen – in den Städten, über die Gestaltung und den Umgang mit urbanen Situationen in der Stadt heute. Oft sind diese Orte von biographischem bzw. persönlichem Interesse: Auch das eigene Wohnumfeld und die familiäre Umgebung wird erkundet.

Sibylle Bergemann fotografierte Menschen vor und in den neuen Gebäuden und Stadtteilen, die verheißungsvoll in (Ost-)Berlin wuchsen: Im Volkspark Prenzlauer Berg stemmen sich Spaziergänger auf einer öden Anhöhe vor einem Plattenbaugebiet gegen den Wind (1978); im „Palast der Republik“ beobachten Erwachsene ein nicht sichtbares Spektakel und wenden dem Betrachter ihre Rücken zu, nur ein Kind stiehlt sich aus der Linie (1987). Eine Fotografie aus ihrer Serie „Dokumentation der Entstehung des Marx-Engels-Denkmals von Ludwig Engelhardt, Usedom und Berlin“ (1975-1986) verweist darauf, wie sich Ideen wie die Gründungsmythen der DDR in eine Stadt einschreiben.

Helga Paris sah als Fremde aus Berlin die Menschen in der durch Verfall und Abriss von historischer Bausubstanz schmerzhaft verletzten Stadt Halle/S. („Häuser und Gesichter, Halle 1983-1985“). In der „Diva in Grau“ wurde die Fotografin von den Einheimischen, die sich dem Elend täglich ausgesetzt sahen und oft gar nicht mehr hinsehen mochten und konnten, aggressiv beargwöhnt. Dazu kommen aktuelle Porträts von Jugendlichen in Berlin-Hellersdorf, einem Plattenbaugebiet, hinzu (aus „Peripherie als Ort. Das Hellersdorf-Projekt“ 1998).

Karin Wieckhorst richtete als Leipzigerin ihren Blick auf die privilegierte, stereotypisiert präsentierte „Hauptstadt der DDR“ (Ostberlin 1983-1986) und als DDR-Bürgerin in Westberlin auf eine Stadt, die als Vorzeigebastion des Westens fungierte. In Ostberlin fotografierte sie, die Fremde, flanierend Orte, die ihr Interesse erweckten. Menschen sind dabei kaum zu sehen, wollte sie doch nicht in den Verdacht kommen, Stasimitarbeiterin zu sein. In Westberlin geht sie hingegen dicht an das Menschengewühl heran und nimmt die Vielfalt der lockenden Oberflächen und verwirrenden Räume auf. Anfang der neunziger Jahre fotografierte sie Roma in Asylbewerberlagern in Leipzig-Heiterblick und in Lippendorf südlich von Leipzig neben einem in den neunziger Jahren errichteten Braunkohlekraftwerk.

Mode ist eine lustvolle private Angelegenheit und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der jedoch in einer Gesellschaft wie der DDR weniger ökonomisch als eher politisch brisant ist. Deren mangelnde Wirtschaftskraft und die gleichmacherische Ideologie diskreditierten Individualität. Autonome Modegruppen brachten mit ihren bizarren Inszenierungen Glamour und Brüche in den tristen Alltag. Die über Zeitschriften wie dem Mode- und Kulturmagazin „Sybille” verbreiteten Fotografien bestätigten und ermutigten im Anderssein. Sibylle Bergemann fotografierte die Gruppe „Allerleirauh” und schuf einige der Ikonen der DDR-Modefotografie. Die Models posieren auf ruinösen Balkons und in bröckelnden Berliner Hinterhöfen; sie lächeln nicht in die Kamera und sind in fantastische Gewänder gehüllt statt in praktische, sportliche Kleidung eines Volkseigenen Betriebes. Auch heute spielt sich ihre Modefotografie in der Stadt Berlin ab.

Bei Maria Sewcz („inter esse“ 1985-1987) nimmt die Stadt fast ein apokalyptisches Aussehen an. Es sind geheimnisvolle, undefinierbare oder banale Szenen, Menschen in drangvoller Enge und Eile oder scheinbar ohne ersichtlichen Grund herumstehend. Für sie wie auch für Michael Scheffer gibt es kein übergeordnetes Außen, dem etwas vermittelt werden soll. Diese Flaneure arbeiten mit Fragmentierungen, Unschärfen, ungewöhnlichen Blickwinkeln, extremen Formaten und Verzerrungen. Maria Sewcz´ Serie „Déjà vu“ (2000-2003) begibt sich an einige der früheren Orte, die ihr Aussehen mittlerweile drastisch änderten. Die Orte, die Michael Scheffer heute fotografiert, sind gar nicht mehr identifizierbar: Ort wird zu Ortlosigkeit, beliebig und austauschbar.

Merit Schambach fotografierte Hausbesetzer: Sie nehmen sich ihren Lebens- und Wohnraum, oft in unsanierten Häusern („Besetzt. Leben in Berlin-Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain“ 1990-1992). Ihre Fotografien legen die Inszenierung der Lebensweise in der häuslichen Umgebung offen. Schambachs Fotografien der geschichtsträchtigen Spandauer Vorstadt verweisen auf die Nutzung durch den Tourismus, der Besitz von der sanierten Stadt im Lichte nostalgischer Verklärung ergreift.

Clemens von Wedemeyer lehnt sich mit seinem Film “Silberhöhe” (2003/2004) an Michelangelo Antonionis Film “L´Eclisse” (1962) an. Während Antonioni den Aufbau eines Stadtteils zeigt, lenkt von Wedemeyer den Blick auf den Abbau in Halle-Silberhöhe. Elegische Stimmung liegt über dem Plattenbaugebiet, in dem nun zu wenige Menschen leben und Häuser abgerissen werden. Die Beweise der “Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik”, die vollmundig paternalistisch versprach, jedem DDR-Bürger bald eine Wohnung – irgendeine und nach Gutdünken der Herrschenden - geben zu können, werden stückweise aus dem Stadtbild getilgt. Von Wedemeyer knüpft hier und mit „Die Siedlung“ (2004) über Leipzig-Grünau an aktuelle Diskussionen über das Schrumpfen von Städten an, das Erschrecken ob des Ungewohnten – entgegen dem Bild der wachsenden, von Aufbauen geprägten Stadt – auslösen kann.

Wiebke Loeper präsentiert ein sich ständig veränderndes Bild der Stadt Berlin (Serie "Mitte, Berlin 2003/2004"). Der Blick auf die Versprechen von Aufbruch und Erfolg wechselt mit dem auf ganz konkrete Individuen in der Stadt. Loeper fragt, inwieweit Ängste, Verlorenheit und existentielle Bedrohung fotografisch erfassbar und ablesbar sind. Sie geht von ihrer bisherigen autobiografischen, an Erinnerungen orientierten Erkundungsweise hin zu einem Bild der Gegenwart.

Pressetext

only in german

Die fotografierte Stadt
Kuratiert von Barbara Steiner und Heidi Stecker

mit Sibylle Bergemann, Wiebke Loeper, Helga Paris, Merit Schambach, Michael Scheffer, Maria Sewcz, Clemens von Wedemeyer, Karin Wieckhorst