press release only in german

Als am 15. August 1945 der Pazifikkrieg zu Ende ging, endeten vierzehn Jahre der Bombardierungen, der Entbehrungen und großen Opfer für das japanische Volk. Der Zusammenbruch der japanischen Militärherrschaft und die Ankunft US-amerikanischer Besatzungstruppen stieß die Nation in eine neue, unsichere Ära. Bei der Wiederentdeckung einer neuen nationalen Identität spielte die Fotografie eine wichtige Rolle und wurde damit schon bald zu einem wesentlichen Akteur innerhalb der japanischen Gesellschaft der unmittelbaren Nachkriegsjahre. Die Metamorphose Japans nach dem Krieg. Fotografie 1945–1964 zeigt anhand der Werke von elf der bekanntesten japanischen Nachkriegsfotografen, wie groß der Wandel war, den das Leben in Japan zwischen dem Ende des Pazifikkriegs 1945 und den Olympischen Spielen in Tokyo 1964 erfuhr. Die Arbeiten dieser elf Fotografen sind das außergewöhnliche Dokument der Geburt eines neuen Japan und einer neuen Fotogeneration, deren Kraft und Kreativität die Grundlagen für die moderne japanische Fotografie legten. Den wichtigen Perioden der Nachkriegsjahre folgend, ist die Ausstellung in drei Themenblöcke unterteilt.

Mit Kriegsende kam es nach Jahren der Zensur zu einem regelrechten Verlagsboom, neue Zeitschriften und Zeitungen erschienen in großer Zahl, zudem tauchten Publikationen, die während des Krieges verboten gewesen waren, wieder auf. Verbesserte Drucktechniken ermöglichten die Massenproduktion und –verbreitung von Publikationen mit fotografischen Reproduktionen. Fotografien spielten in der Informationsflut eine zentrale Rolle, weil die Menschen statt der Militärpropaganda, der sie jahrelang ausgesetzt gewesen waren, Objektivität erwarteten. Sie wandten sich der Fotografie zu, um die »Wahrheit« zu finden. Diese fotografische Explosion führte zu einer fundamentalen Reflexion über die Natur des Mediums und über seine Rolle in der Gesellschaft. Der Wunsch der Öffentlichkeit nach Objektivität führte in den unmittelbaren Nachkriegsjahren zum Aufkommen einer kraftvollen sozial-dokumentarischen Bewegung. Die Grausamkeiten des Krieges und die massive Zerstörung des Landes ließen die Fotografen einen direkten Zugang wählen. Ihre Erfahrungen trieben sie an, sich auf Augenzeugenberichte zu konzentrieren und zu dokumentieren, was sie um sich herum sahen. Die Fotografen ließen den Piktorialismus und die Propagandatechniken der Kriegsjahre hinter sich, um ganz in die Realität einzutauchen. Von den Fotografen, die bereits in den Vorkriegsjahren aktiv waren – Ken Domon, Hiroshi Hamaya, Ihee Kimura und Tadahiko Hayashi – wurde Domon zum führenden Vertreter der fotodokumentarischen Bewegung. Er verfocht »den reinen, vollkommen ungestellten Schnappschuss« und hielt die Fotografen an, »den lauten Rufen des Themas Aufmerksamkeit zu schenken und die Kamera einfach und exakt nach dessen Anforderungen zu bedienen«. Als regelmäßiger Mitarbeiter der Zeitschrift Camera wurde er in amateurfotografischen Kreisen sehr aktiv und ermutigte Mitglieder fotografischer Vereinigungen, diesem dokumentarisch-realistischen Pfad zu folgen.

Trotz ihrer weiten Verbreitung in den ersten Nachkriegsjahren war die sozialdokumentarische Bewegung nur von kurzer Dauer. Sie hielt jenen Augenblick fest, als die Nation Bilanz über den Pazifikkrieg und dessen Konsequenzen ziehen musste. Mehr und mehr erschien den Fotografen die Bewegung jedoch zu starr und zu sehr politisiert. Hamaya etwa beschloss mit seiner Arbeit an der Küste des Japanischen Meeres, die zu den Serien Yukiguni (Schneeland) und Ura Nihon (Japans Westküste) führen sollte, sich davon zu lösen und einen neuen Zugang für Stil und Motivwahl zu suchen. In diesen Serien ließ Hamaya einen eher humanistischen Ansatz erkennen und zog es vor, sich mehr auf die Zeitlosigkeit des japanischen Lebens zu konzentrieren als auf Gesellschaftsthemen, die direkt mit der unmittelbaren Nachkriegszeit verknüpft waren. Bis zur Mitte der 1950er Jahre wandten sich viele Fotografen von der Dokumentation der Kriegszerstörungen ab und waren mehr an dem aufklaffenden Gegensatz zwischen dem »traditionellen« Japan und der Modernisierung der japanischen Gesellschaft, die mit der amerikanischen Besetzung assoziiert wurde, interessiert. Das Elend der 1940er Jahre wurde schon bald durch die rasant zunehmende Industrialisierung und das ökonomische Wachstum des Landes ersetzt. Mit diesen Veränderungen erlebten auch Japans komplexe soziale Strukturen eine Umwälzung. Die Fotografen konzentrierten sich nicht nur auf das Erfassen dieses neuen ökonomischen und sozialen Wandels in den Städten, sondern dokumentierten auch jene Gegenden, die von der Modernisierung weniger betroffen waren und so ein Fenster in die Vergangenheit des Landes boten.

In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre bildete sich zudem eine neue Generation Fotografen. Sie war im Krieg aufgewachsen, fing aber erst in den Nachkriegsjahren an, ihr fotografisches Auge zu entdecken. Mit dieser Generation ist ein neuer stilistischer Ansatz, »subjektive Dokumentation« genannt, verbunden. 1959 gründeten ihre innovativsten Vertreter die Agentur Vivo, die trotz ihrer kurzen Lebensdauer einen maßgeblichen Beitrag zur Entwicklung der japanischen Fotografie leistete. Mit Autoren wie Ikko Narahara, Shomei Tomatsu, Kikuji Kawada oder Eikoh Hosoe entwickelte Vivo die Vorstellung, dass persönliche Erfahrung und Interpretation den wesentlichen Wert einer Fotografie ausmachen. Diese Lichtbildner, ebenso beeinflusst vom »traditionellen« Japan wiedurch die Turbulenzen des Wiederaufbaus nach dem Krieg und das explosionsartige Wirtschaftswachstum, entwickelten eine besondere Sensibilität. Ihr fotografisches Auge richtete sich gleichermaßen auf die Vergangenheit, auf das Japan ihrer Kindheit, das sie mehr und mehr schwinden sahen, wie auf die Zukunft und die ständig zunehmende Modernisierung, die die japanische Gesellschaft transformierte. Mehr als zehn Jahre nach dem Abwurf der Atombomben begann diese neue Fotografengeneration, sich mit dem Erbe dieser Ereignisse und mit ihrer zukünftigen Bedeutung für Japan und die gesamte Menschheit zu beschäftigen. Die Serien, die daraus entstanden, darunter Kawadas Chizu (Die Karte), Hosoes Kamaitachi und Tomatsus Nagasaki 11:02, gehören zu den kraftvollsten Positionen der Fotografie des 20. Jahrhunderts.

Kurator: Tsuguo Tada

only in german

Die Metamorphose Japans nach dem Krieg.
Fotografie 1945-1964