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Ursprüngliche Zustände und/oder Bedingungen

In ihren neuesten Arbeiten thematisiert die in Wien und Los Angeles lebende Künstlerin Dorit Margreiter das Verschwinden moderner Architektur aus dem öffentlichen Bewusstsein und ihrer einstigen utopischen Versprechen. Im vergangenen Jahr zeigte sie in der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst mit ihrer Arbeit „Zentrum“ die Rekonstruktion eines Leucht-Schriftzuges, der samt des Leipziger Gebäudekomplexes, an dem er angebracht war, damals vor dem Abriss stand. Ein ebenfalls im 16-mm-Format gedrehter Film dokumentierte diese einmalige Wiederherstellung als irreversible kulturelle Handlung. Margreiter erinnerte damit gleichnishaft auch an den aktuellen Umgang mit Alltagskultur und deren Informationsträgern, die Teil einer kollektiven Identität geworden sind und die immer wieder (und gerade jetzt) im Verschwinden begriffen sind. Aktuell führt Dorit Margreiter diese Auseinandersetzung nun in einem dreiteiligen Setting unter dem Titel „Original Condition“ fort. Im Zentrum dieser Arbeit steht eine Gruppe gerahmter US-Zeitungsinserate, in denen Häuser der Moderne berühmter Architekten – u.a. von Richard Neutra, Rudolf Schindler, John Lautner – im „Original-Zustand restauriert“ zum Verkauf angeboten werden. Vom ursprünglichen Experiment zur utopischen Erneuerung der Gesellschaft, das die Architektur der Moderne in ihren avanciertesten Positionen war, ist hier wenig übrig geblieben. Ihre Häuser sind zu Meisterwerken mutiert, oder – wie das beim Erdbeben von 1994 erheblich beschädigte Ennis Brown House von Frank Lloyd Wright, das als Kulisse von „Blade Runner“ berühmt wurde und für dessen Renovierung nun Sponsoren gesucht werden – zu vielfach codierten kulturellen Ruinen.

Filmerzählungen in der Schwebe - Das spätmoderne Heimkino der Dorit Margreiter

Die „Sheats/Goldstein Residence“ – benannt nach dem früheren und dem jetzigen Besitzer – des US-Architekten John Lautner (1911–1994) trägt die Adresse 10104 Angelo View Drive in Beverly Hills und gilt als spätmodernistische Architekturikone. Als klassische Privatvilla konzipiert, repräsentiert das „Sheats/Goldstein“-Haus nicht nur den amerikanischen Mittelklasse-Traum vom ultramodernen L.A.-Lifestyle, sondern steckt auch voller architektonischer Besonderheiten. So lassen sich per Knopfdruck ganze Dächer verschieben, Fensterfronten öffnen oder eine Jacusiwannen-Abdeckung wegfahren. Mit diesen elaborierten mechanischen Eigenschaften eignet sich das „Sheats/Goldstein“-Haus perfekt zur Symbolisierung von Allmachts- und Herrschaftsfantasien, mit denen das populäre Mainstream-Kino gerne operiert: Die Weltherrschaft per Fernsteuerung zu erlangen, ist ein beliebter Topos von Fantasy- und Actionfilmen. Hollywood hat dieses Haus denn auch früh schon als Kulisse für diverse Filme entdeckt, in jüngerer Zeit wurden hier Produktionen wie „Charlie’s Angels 2“ oder „The Big Lebowski“ der Coen-Brüder gedreht. John Lautner, der Architekt, der in seiner Anfangszeit im Büro von Frank Lloyd Wright gearbeitet hat, baute das Haus 1963 für die Familie Sheats, die es nur wenige Jahre lang bewohnte, um es dann an den exzentrischen Immobilienmakler James Goldstein weiterzuverkaufen, der es auch heute noch besitzt und fallweise für Filmaufnahmen zur Verfügung stellt. Die vielleicht merkwürdigste Eigenschaft, die sicherlich dazu beigetragen hat, dass dieses Wohnhaus als Inkunabel postmoderner Architektur apostrophiert wird: Das Gebäude stellt im Prinzip die Umkehrung üblicher architektonischer Verhältnisse dar. Denn während an sich mobile Einrichtungsgegenstände wie Sofa, Küchentisch, Bett oder eben Fernseher mit Betonsockeln fix im Gebäude verankert bleiben, sind Decken, Fenster oder Fußbodenteile flexibel und verschiebbar. Eine Handvoll Möbelstücke (hier Immobilien, nicht Mobilien), um die herum ein bewegliches Haus gebaut wurde.

Diese Architektur nun bildet das szenographische Set für die Installation „10104 Angelo View Drive“ von Dorit Margreiter. Grundlage der Arbeit, die 2005 im Wiener Museum Moderner Kunst Premiere hatte, ist ein 16-mm-Film, den Margreiter im Goldstein-Haus gedreht hat und der formal dessen flexible und mobile Architektur dokumentiert. So verfolgt man einen Tagesablauf mit frühmorgendlichem Blick aus dem sich automatisch öffnenden Fenster über diverse Innenansichten einer offensichtlich nicht zum Kochen benützten Küche oder einer Wohnlandschaft bis zum abendlichen Ausfahren des Fernsehers und zu einem letzten repräsentativen Blick über den Swimming-Pool auf die Nachtlichter von L.A. In diese fast klassische Dokumentation, die allerdings auf charakteristische Totalen weitgehend verzichtet, werden kurze, nur wenige Sekunden lange Szenen geschnitten, die in ihrer Fremdheit im gemächlichen Bildfluss aufpoppen wie Kaugummiblasen. Diese Einstellungen stammen von Performances der kalifornischen Künstlerinnengruppe „Toxic Titties“, die dieselben Räume quasi als einmaliges Bühnenset für kurze narrative Szenen verwendete, in denen (post-)feministische, institutionskritische oder patriarchale Inhalte nachgespielt oder ironisierend überhöht wurden. So stellt sich der Bezug zum Hollywood-Kino einerseits über das Material Film her, andererseits werden mit den Performances auch Momente der Filmgeschichte zitiert. Auffallend bleibt, dass sich die Filmerzählung bewusst in der Schwebe hält und man im Unklaren darüber belassen wird, ob sich die Szenen nun auf einem konstruierten Set oder in einer realistischen Architektur abspielen. Dieser Bruch mit traditionellen filmischen Erzählweisen zum einen, aber auch die Verbindung von Dokumentation und Fiktion zum anderen, ziehen sich durch Margreiters bisherige Arbeiten und widerspiegeln auch ihr Interesse, Mechanismen künstlerischer Produktionen transparent zu machen. Wie die Künstlerin in einem Interview erklärte, beschäftigten sie vor allem jene Filme, die den „Prozess des Filmemachens selbst mit einbeziehen“.

Der große Stellenwert von Reflexion und referenziellen Systemen, die auch Persönliches oder autobiografisch motivierte Themen miteinschließen können, kommt in den Ausarbeitungen der Installationen noch einmal besonders deutlich zur Anschauung. So wird in der Wahl des installativen Settings der reflexive Rahmen für das Publikum bereitgestellt, oft als bühnenartiges Display, das die reale Bewegung durch einen Installationsraum ermöglicht. Die Frage nach der adäquaten Verwendung von Medien – wie beispielsweise, welche Medien geeignet seien, um Architektur darzustellen – spielt darin eine zentrale Rolle: „Bereits in früheren Arbeiten ging es darum, einen Diskursbereich zu verwenden, um einen anderen zu beschreiben“, so Margreiter.

Inbesitznahme bürgerlicher Refugien

In „Everyday Life“ (2001) einer mehrteiligen Video-Installation, die in Los Angeles entstand, beschäftigte sich Dorit Margreiter mit der Untersuchung des „Alltäglichen“ in Hinblick auf die existenziellen Bedingungen, wie sie das 20. Jahrhundert geschaffen hat. Auch hier ging es um die Verschachtelung verschiedener (abstrakter und realer) Modelle der Architektur der Moderne und deren sozialen und ideologischen Implikationen. Dazu interviewte die Künstlerin mehrere Personen, die in Beziehung zum „Case Study House Program“ standen – insbesondere aber zum Haus Nummer 22, das als Teil dieses avancierten modernistischen Bauprogramms realisiert wurde: die Besitzerin Carlotta Stahl, den Architekturfotografen Julius Shulman sowie den Architekten Pierre Koenig. „Architektur erweist sich hier als Fassade, wo das, was sich dahinter befindet, völlig vom Außen getrennt ist“ (Margreiter). Wenn in dieser Arbeit der dokumentarische Aspekt zum „Case Study House #22“ im Vordergrund stand, so folgt „10104 Angelo View Drive“ einer anderen Logik, indem der Besitzer selbst gar nicht mehr zu Wort kommt, was im Film auch den dargestellten architektonischen Verhältnissen im Sinne einer nicht lokalisierbaren Machtinstanz (wer bedient eigentlich die Fernsteuerung?) entspricht. Demgegenüber entstehen mit den dazwischen geschnittenen Performanceauftritten eindrückliche utopistische Momente durch die Inbeschlagnahme eines bürgerlichen Refugiums.

Auch die Arbeit „Grandeur et Décadence d’ un Petit Commerce de Cinema“ (2004) befasst sich mit dem Medium Film als Ausgangspunkt filmhistorischer oder wahrnehmungstechnischer Überlegungen. Die zweiteilige Film- bzw. Videoinstallation entstand In Liverpool für die dortige Biennale – als Hommage an die britische Hafenstadt, die zugleich ein bedeutender Standort der britischen Filmindustrie war. Liverpool diente häufig als Ersatzkulisse für Produktionen, die eigentlich in Städten wie Rom oder Dublin spielten. Im Zentrum dieser Arbeit steht Alexandre Promio, ein Pionier der Filmgeschichte und „Erfinder“ der bewegten Kamerafahrt, den Dorit Margreiter aus der Perspektive einer fiktiven Ich-Erzählerin vom Reisen um die Welt berichten lässt, während die Kamera jene Schauplätze der Stadt in den Fokus nimmt, die in verschiedenen Filmen als Kulisse anderer Städte genutzt wurden.

Patricia Grzonka, März 2006

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