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Down to Earth
Klima, Kunst und Diskurs unplugged
Eine Ausstellung der Berliner Festspiele im Rahmen der Programmreihe Immersion.

26.06.2020 - 12.07.2020

Mit Frédérique Aït-Touati mit Bruno Latour und Gästen (SPEAP, SOC, Zone Critique), Agnes Denes, Yngve Holen, Anne Duk Hee Jordan, Koo Jeong A, Alicja Kwade, Tomás Saraceno, Maria Scaroni, Claire Vivianne Sobottke, Joulia Strauss, Meg Stuart, Rirkrit Tiravanija / Nikolaus Hirsch / Antto Melasniemi / Michel Müller, Alexander Vantournhout u.v.a.

Initiiert von Thomas Oberender
Kuratorisches Team
Julia Badaljan, Thomas Oberender, Anja Predeick, Tino Sehgal, Jeroen Versteele
Kuratorische Mitarbeit Descha Daemgen, Stefanie Hessler, Marc Pohl, Joulia Strauss, Frédérique Aït-Touati

Ausgehend von Bruno Latours gleichnamigem Essay widmet sich das Kunst-, Aufführungs- und Diskursprojekt „Down to Earth“ einem System, in dem unser Verhalten auf einzigartige Weise mit den Einwirkungen vieler anderer Akteur*innen verbunden ist: „der tausendfach gefalteten Erde“.

Das größte System, dem wir nicht gegenüberstehen, sondern in das wir eingebettet und alle mit menschlichen und nicht-menschlichen Akteurinnen verbunden sind und ein großes Ökosystem bilden, ist das Klima. Das Klima kennt keine Grenzen. Trotz der öffentlichen Einsicht in die Notwendigkeit einer klimapolitischen Wende zeigen die Statistiken steigende CO2-Emissionen. Damit auf diese Erkenntnisse ein Verhaltenswechsel folgen kann, müssen unsere eigenen Betriebssysteme grundsätzlich erneuert werden. Aber wie verändern wir die Praxis unserer Arbeit, Ernährung oder des Reisens? Wie machen wir ein anderes Verhältnis zur Erde, wie es nichtwestliche Lebensweisen oder andere Spezies entwickelt haben, erfahrbar? Wer sind die neuen und alternativen Expertinnen des Wandels und welche Formen nimmt ihr Wissen an? Wo können wir landen?

Diese Frage nach der Art unserer Verbundenheit mit der Erde ist die wörtliche Übersetzung des französischen Titels von Bruno Latours 2018 erschienenem Essay, der auf Englisch „Down to Earth“ heißt und den Ausgangspunkt des diesjährigen Programms von Immersion bildet. Angetrieben von dem Wunsch, angesichts der Klimakatastrophe politisch wirksam zu werden, unternimmt dieses Manifest den Versuch, unser Denken neu zu kalibrieren und zugleich Handlungsanleitungen zu geben. So beschreibt Latour die Idee des „dritten Attraktors“, der uns hilft, den Widerstreit zwischen traditionellem Regionalismus und liberalem Kosmopolitismus zu überwinden und die ökologischen Bedingungen unserer Existenz einzubeziehen. Was immer auf der Erde geschieht, ist nach Latour ein Prozess vieler Akteur*innen, menschlicher und nicht-menschlicher, die jeweils Rechte besitzen und sich wechselseitig beeinflussen.

In der Programmreihe Immersion präsentieren die Berliner Festspiele seit 2016 die Arbeit von Künstlerinnen, die gewohnte Präsentationsformate neu definieren, indem sie das klassisch gewordene Schema der Gegenüberstellung von Werk und Besucherin, Bühne und Saal, Objekt und Betrachterin auflösen. „Als ob es ein Außen gäbe!“, wundert sich Bruno Latour in seinem Essay: „Wenn die Zusammensetzung der Luft, die wir atmen, von Lebewesen abhängt, ist die Luft nicht mehr nur ihre Umwelt, in der sie sich entwickeln, sondern teilweise auch das Ergebnis ihres Wirkens. Anders gesagt, es gibt nicht auf der einen Seite Organismen und auf der anderen eine Umwelt, sondern es besteht eine Überlagerung wechselseitiger Konstellationen.“ Aus dieser Perspektive widmet sich das Kunst-, Aufführungs- und Diskursprojekt „Down to Earth“ im letzten Jahr der Programmreihe Immersion künstlerischen Praktiken und alternativen Verhaltensweisen, die ein anderes Weltverhältnis erlebbar machen. Können wir Latours Thematik, deren inhaltlichen Argumenten wir folgen, tatsächlich auch in einen anderen Modus der Begegnung und der Ansprache der Besucherinnen überführen? Was können wir beobachten und wie fühlt es sich an, wenn wir die Festival- und Ausstellungspraxis selbst unter die Prämissen von Latours Buch stellen, indem wir unsere Emissionen und Verbräuche offenlegen, sie so gering wie möglich halten und die Gewohnheiten unserer Betriebssysteme in Frage stellen und zu erneuern suchen?

Das zweiwöchige Unplugged-Programm „Down to Earth“ versammelt Künstlerinnen und Expertinnen der Nachhaltigkeit und der „Practices of Grounding“, die in der unteren Etage des Gropius Bau sowie auf dem dahinter gelegenen Südplatz mit bildender und aufführender Kunst, Vorträgen, Workshops, Musik sowie spontanen Interventionen daran arbeiten, in Latours Sinne auf andere Weise welthaft und erdverbunden zu sein.