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Als "Verzeichnung der Wirklichkeit" beschreibt Edwin Schäfer bisweilen seine Zeichnungen, die er - ohne den architektonisch vorgegebenen Flächen Beachtung zu schenken - auf den Wänden des Treppenhauses im Haus der Kultur zeigt. Mit schwarzer Tusche und Pinsel entstanden Figuren, amorphe Formen und ornamentale Muster, die, ineinander verschlungen, gleichzeitig auseinander heraus zu wachsen scheinen. Jede Form führt mit schwereloser Leichtigkeit in eine andere, das Auge des Betrachters wandert ziellos über die Zeichnungen, die entlang der Wand und manchmal bis zur Decke hinauf erzählen. Ohne Anfang und Ende, wie immer wiederkehrende, gleichbleibend ruhige, rhythmische Wellen, reihen sich die Motive aneinander, die Wände scheinen sich zu bewegen, der Raum selbst wird zur dreidimensionalen Zeichnung, die die Besucher in eine bis ins Unendliche reichende, irreale Traumwelt hüllt.

Edwin Schäfer, der in diesem Jahr mit einem Arbeitsstipendium des Kunstfonds ausgezeichnet wurde, beschäftigt sich als Künstler ausschließlich mit der Zeichnung. Seine Arbeit ist bestimmt durch den Pinsel in seiner Hand und den Rhythmus, den der zeichnende Stift vorgibt. Subjektive Gedanken werden unmittelbar in Zeichnung, die zwischen Figuren, Bildern, Chiffren und Ornamenten hin- und herspringt, übersetzt. Tarnmuster wechseln sich ab mit schwebenden eiförmigen, aneinanderklebenden Ovalen, die wiederum in ein Punktmuster, in dem weiße Ovale ausgespart sind, münden. Eine kleinteilig gewundene amorphe Masse wird von rotierenden Scheiben überlagert und überzieht die Wand mit ihren Schlieren, die an anderer Stelle in ein abstraktes Blütenornament übergehen. Eine martialisch wirkende Figur führt den Besucher über schwammig-glitschig-schweren Untergrund in die zweite Ebene des Raumes, zu ihren Seiten schweben große amöbenförmige Gebilde. Spruchbänder mit orientalisch anmutenden Schriftzeichen beschreiben, wie Transparente einer Kundgebung, die Gedanken der Figur. Weiter oben steht das inzwischen veränderte Wesen - von Demonstrationsabsichten befreit und nunmehr wolkenartige Flügel an den Kopfseiten - bis zu den Hüften im Wasser, und seinen Händen entgleiten der Trash-Kultur entnommene Zeichen, schweben wie in einem Wirbel nach oben und versinken schließlich in einem Punktfeld. Weitere Linien, Punkte und Schraffuren entstehen, ständig wachsen neue Räume, der Zeichenstil verändert sich und plötzlich erinnern die Gebilde an sterile, aerodynamisch geplante, metallene Stadtlandschaften der Sciene-Fiction- Generation. Dazwischen immer wieder Gesichter, die nun nicht mehr individuell, sondern seltsam ausdruckslos und wie geklont wirken.

Zwischen den figürlichen Bildern markieren die Punktfelder nicht nur für das Auge des Betrachters Inseln des Aufatmens, des Pausierens vor den nachfolgenden Gestalten. Auch für den Zeichner sind sie Ausdruck einer unterschwellig stets vorhandenen Wahrnehmung, die davon ausgeht, daß der menschliche Geist permanent - wenn auch häufig nicht bewußt - Gedanken hegt Die Punkte rhythmisieren die Zeit zwischen zwei konkret faßbaren Gedankenblitzen.

Edwin Schäfers gezeichnete Gedanken sind subjektiv, doch nie genau erfaßbar Sie spielen mit gängigen Chiffren und den ihnen eigenen Klischees Der Betrachter erkennt Versatzstücke trivialer Bildwelten und Überbleibsel von Comic-Strips, die genauso unmittelbar erscheinen wie an traditionelle Zeichnungsstile angelehnte Zitate, die an bekannte Linien und Formen erinnern, doch im gleichen Moment wieder entgleiten und sich einer eindeutigen Interpretation verweigern Die Subjektivität des Künstlers, sein "wahres Gesicht", ist Ausgangspunkt für seine Geschichten, seine künstlerische Umsetzung lost die Individualität auf und überführt sie in eine objektive Qualität: Ich sehe das Gesicht nicht.

Edwin Schäfer, geboren 1965, lebt und arbeitet in Offenbach und Frankfurt/Main

Die Ausstellung war zu sehen von Juni 1999 bis Mai 2000 und wurde unterstützt von der VG Bild-Kunst.

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Edwin Schäfer
Ich sehe das Gesicht nicht