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Eröffnung Freitag, 1. April, ab 19 Uhr

Ellen Cantor kombinierte gefundene Materialen mit tagebuchähnlichen Notizen und Zeichnungen, um ihren Eindrücken und Erfahrungen persönlichen Begehrens und institutioneller Gewalt nachzuspüren. In ihren Zeichnungen, ihrer Malerei, ihren Collagen und Videos koppelte Cantor Figuren und Sequenzen aus Filmklassikern aus, um den ideologischen Darstellungsformen des Quellenmaterials eine neue Richtung zu geben. Fiktive Figuren aus Disney-Zeichentrickfilmen, Kulthorrorklassikern, dem New-Wave-Kino und Familienfilmen bilden einen visuellen Filter für Cantors intimen Enthüllungen. Gebannt von der scheuen Naivität von Figuren wie Schneewittchen und Bambi erweiterte Cantor in ihren Zeichnungen den narrativen Horizont dieser Figuren um explizite sexuelle Begegnungen und krisengeschüttelte Beziehungen.

„My perversion is the belief in true love“ überschrieb Cantor die zu ihren Lebzeiten einzige Überblicksausstellung ihrer Videoarbeiten. Dieser Satz – ein aufrichtiges emotionales Bekenntnis, das auch ein Affront gegen die strukturellen „Perversionen“ normativen Verlangens war – bildet den Dreh- und Angelpunkt dieser Ausstellung. Cantors Arbeiten werden immer von einer bestimmten Willenskraft vorangetrieben – einem Willen, der politische Absichten verfolgt, auf bildhafte Weise wirkt, präzise, dramatisch, emotional und – wie Cantor selbst gerne sagte – „thematisch nicht jugendfrei ist“.

Eine Besonderheit der Ausstellung und ein Schwerpunkt der Begleitpublikation ist Cantors Arbeit Pinochet Porn. Der Film ging aus einer Reihe von Zeichnungen mit dem Titel Circus Lives from Hell (2005) hervor und erzählt in episodischer Form von fünf Kindern, die unter dem Regime von General Augusto Pinochet in Chile aufwachsen. Pinochet Porn wurde in New York und London gedreht und mit engen Freunden und Kollaboratoren Cantors besetzt. Der Film inszeniert eine libidinöse Kritik der systematischen und sadistischen Zerstörung von Selbstdarstellung. Durch Cantors fiktive Spekulationen über persönliche Erfahrungen in einer totalisierenden politischen Ordnung wird Geschichte zu einem Phänomen, das beobachtet werden kann. Der Film endet mit einer Frage: „Ist die Tragödie eine Entscheidung?“

Die Ausstellung ist als Überblick in Form einer Hommage konzipiert. Sie zeigt ein vielschichtiges Œuvre und bringt einige der zentralen Themen und Arbeitsweisen von Cantors künstlerischer Praxis zum Ausdruck; dabei tritt sie in Dialog mit Freunden und Wegbleitern, die Cantors Werk prägten – mit dem Zirkel „magischer intuitiver Zusammenarbeit“, wie die Künstlerin es nannte.

Ellen Cantor (geb. 1961 in Detroit, gest. 2013) war eine sehr produktive Künstlerin; sie lebte und arbeitete in New York und London. Zu ihren Ausstellungen zählen: Within a Budding Grove, Participant Inc., New York (2008); Bambi’s Beastly Buddies, Sketch, London (2005); Transmission Gallery, Glasgow (2000); My Perversion is the Belief in True Love, Kunsthalle Wien (1999); Video 1995–1998, Kunstverein Salzburg (1999); und Remember the 14 Days and Nights, Vorarlberger Kunstverein, Bregenz (1997).

Die Ausstellung, die Publikation sowie die Begleitveranstaltungen werden mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes realisiert. Das erste Kapitel dieses Projekts, Ellen Cantor – Cinderella Syndrome, war vom 8. Dezember 2015 bis zum 10. Februar 2016 im CCA Wattis Institute for Contemporary Arts in San Francisco zu sehen. Besonderer Dank gilt Lia Gangitano und Participant Inc., John Cussans, Joseph Grigley, Mark Cantor und Jonathan Berger. Kuratiert von Fatima Hellberg und Jamie Stevens.