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Erwin Wortelkamp – Installationen und Plastiken Ausstellung im Laboratorium anlässlich der Vergabe des Sparda-Bank-Preises 2003/2004

Marlen Dittmann In den vergangenen Jahren erhielten Steinbildhauer, Paul Schneider und Leo Kornbrust, den Sparda-Bank-Preis, diesmal nun wurde er einem Holzbildhauer verliehen.

Die beiden anderen Preisträger, Werner Bauer und Bernhard Focht, sind keine Bildhauer und erlauben deshalb keine Vergleiche. Während Paul Schneider mit dem Lichtbezug seiner Steine in kosmische Dimensionen eindringt, Leo Kornbrust bis auf die Innere Linie dieses schweren, harten und jahrhundertealten Materials vordringt, arbeitet Erwin Wortelkamp mit dem todesnahen, vergänglichen organisch-fragilen Baumstamm. Denn wenn er auch mit Eisenplastiken begann und Eisen bis heute ein Material blieb, mit dem er seine Holzskulpturen konfrontiert, sie umhüllt oder durchdringt, wurde Holz zu seinem eigentlichen Gestaltungselement. Am gewachsenen, aber gefällten Baum entzündet sich seine Phantasie, sein Gestaltungsreichtum. Der von ihm bearbeitete Baumstamm wird zu einer Chiffre für menschliche Figuration, in der sich sein Generalthema, die Auseinandersetzung mit dem Menschen, widerspiegelt.

Erwin Wortelkamp wurde 1938 in Hamm an der Sieg geboren. Von 1960 bis 65 studierte er bei dem Stahlplastiker Professor Robert Jacobsen an der Münchener Akademie für Bildende Künste Bildhauerei und Kunstpädagogik. Anschließend, von 1967 bis 1973, wirkte er als Kunsterzieher in Frankenthal. Hier in der Nähe, in Beindersheim, gründete er die Informationsgalerie atelier nw 8, die er bis zu seinem Weggang nach Freiburg 1973 auch leitete, und die ohne ihn auch keinen Fortbestand hatte. Bis 1980 war

er dann Assistent an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg, 1982/83 nahm er eine Gastprofessur am Institut für Kunstpädagogik der Universität Gießen, 1995/96 eine solche an der Universität Witten/Herdecke wahr. Auch wenn er den Kunstpädagogen bis heute nicht verbergen kann, seine Tätigkeit als Lehrer war zu Beginn der 80er Jahre beendet. Fortan widmete er sich der Bildhauerei. 1975 schon hatte er sich ein Atelier im Alten Schulhaus in Hasselbach/ Westerwald eingerichtet. In den nächsten Jahren erwarb er größere Ländereien im Umfeld dieses Hauses, die er gemeinsam mit Künstlerkollegen ab 1986 in einen Landschaftsgarten und Skulpturenpark umwandelte. Heute sind hier im TAL Arbeiten von 35 unterschiedlichsten Bildhauern zu entdecken. Monika Bugs geht in ihrem Interview, das erstmals auch ein komplettes Werkverzeichnis der Wortelkampschen Kunst im öffentlichen Raum enthält, ausführlich darauf ein. Gleichzeitig wurde die italienische Kleinstadt Acquaviva Picena zu Wortelkamps zweiter Heimat. Reisen führten ihn nach Indonesien, Hongkong, Bali, Jakarta, aber auch in die skandinavischen Länder und zu den Färöer Inseln. Da die Arbeiten im TAL 1999 abgeschlossen waren, widmet er sich fortan einem neuen Projekt Kunst auf der Höhe.

Die vielen Einzel- und Gruppenausstellungen in renommierten Häusern möchte ich hier nicht aufzählen, nur hinweisen auf Wortelkamps Beteiligung an der documenta 6 in Kassel und 1985 an der Großen Berliner Ausstellung Kunst in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1985.

Zehn Jahre später, 1995, erhielt Erwin Wortelkamp den Staatspreis Rheinland-Pfalz. Mit dem Sparda-Bank-Preis für besondere Leistungen der Kunst im öffentlichen Raum wird sein Engagement in

der Auseinandersetzung mit diesem öffentlichen Raum gewürdigt.

Denn schon seit 1970 geht er mit seinen im Atelier gefertigten Arbeiten – häufig nur für einen kurzen Zeitabschnitt – hinaus in den vorhandenen Stadt- oder Landschaftsraum. Anfangs, um damit die Unwirtlichkeit des öffentlichen Raumes anzuprangern, heute vielmehr, um auf dessen Qualitäten, wie sie vor allem in alten Städten wie Bamberg oder dem italienischen Acquaviva zu finden sind, hinzuweisen. Mit seinen Skulpturen will er diesen durchaus auch uminterpretieren, das gewohnte Sehen stören, die Bewegungsabläufe der Passanten ändern, aufmerksam machen auf bestimmte architektonische Situationen. Die Neuinterpretation des Stadtraumes blieb bis heute Ausgangsmotivation für seine bildnerische Beschäftigung mit dem menschlichen Umraum. Denn, ich zitiere einen der besten Kenner des Wortelkampschen Werkes, den Kunsthistoriker Jörg van den Berg, »Der bildnerische Prozess besteht für Wortelkamp aus mehr als der Atelierproduktion. Räume, Haltungen, Positionen werden nicht nur körperlich, sondern auch sozial und politisch definiert. Seine autonomen Skulpturen wie seine kunstbezogenen Aktivitäten bauen kommunikative Spannungen auf, verlangen nach Gesellschaft, Umgebung und Widerpart. … Auf diesem Verständnis von Bildhauerei basieren sowohl seine Papiere … als auch seine Skulpturen … sowohl seine Arbeiten für bestimmte Räume – Kirchen und Stadträume, Wohnräume, Brücken, Galerien und Museen – als auch seine selbst definierten Kontexte – das atelier nw 8, die Anlage im Tal oder das Haus für die Kunst in Hasselbach.«1

Ende der 60er Jahre stellte Wortelkamp streng geometrisch konstruierte Gitterstrukturen, Kopfkäfige, Meditationskabine, Sargarchitektur oder Architekturmenschen benannt, als störendes Element in den Straßenraum, um mit ihnen die emotional nicht mehr erlebbare Funktionsarchitektur in unseren Städten anzuprangern: der Mensch, eingerüstet und eingezwängt in Käfige, in monotone Aufbewahrungsschachteln, aber nicht eingebunden in einen Lebensort.

Doch schon bald wendet er sich ab von diesen vor allem als Agitationsobjekte anzusehenden, im architektonisch determinierten Kontext stehenden Arbeiten und findet in dem Verhältnis zwischen Kunst und Natur, in das immer auch

der Mensch einbezogen ist, sein eigentliches, bestimmendes Thema. Anfang der 70er Jahre entstehen die wuchtigen, aus schweren Eisenblechen hohl aufgebauten und geschweißten Großplastiken der Werkgruppe Vielleicht ein Baum, die nur hier und da Einblicke in ihr Inneres gewähren und die, wie auch die Gruppe Vielleicht ein Blatt, Vegetabiles nur darstellen. Eine solch gigantische, baumhohe Figur steht seit 1967 vor der Kunsthalle in Mannheim und ist Ihnen von dort vielleicht bekannt. »Es ist kein runder Stamm, es ist ein imposant massenmächtiges, in eine Vielfalt von vertikalen Wachstumssträngen akkordisch rauschend gegliedertes, gefurchtes und gespaltenes Baumwesen. Es hat Tektonik schon durch den horizontal geschnittenen oberen Abschluss, vor allem kraft der bausteinartigen Massierung von rechteckigen geschweißten Metallplatten, die wie eine Wand den riesigen Hohlkörper als solchen immerhin erahnen lassen,«2 so beschreibt Heiner Protzmann dieses Werk. »Es erinnert an das Gewachsene des Baumes, an seine Körperlichkeit, aber auch an die Körperlichkeit des Menschen«, erläutert Wortelkamp in dem Interview mit Monika Bugs3. Aber auch hier ist das Herz des Baumes, sein Inneres, abgeschirmt und eingerüstet.

Seit etwa 1980 wird dann das Vegetabile selber, der Baumstamm, zum Ausgangselement der Bearbeitung. Und aus dem Thema der Einrüstung und Einzwängung wird das der Umhüllung und Ummantelung. »Dünne Baumstämme werden mit kleingeschnittenen und verschweißten Eisenblechen umschlossen, wobei die Ummantelung dem natürlichen Wachstum des Holzes folgt. Organisches Material also ist, die Idee der Körperkäfige weiterführend, eingeschlossen.«4 Bei diesen Arbeiten zeigt Wortelkamp ganz bewusst die individuell gewachsene Form des Baumes, der, ohne Äste, einzig auf den Stamm reduziert wurde, zeigt die Grenzen seines Körpers, indem er um die Baumrinde noch mal eine der Natur täuschend ähnelnde Hülle legt, den Baum damit schützt, einschließt, ihn mumifiziert, das Innere des Baumes begrenzt. Diesem kryptischen Verbergen antworten bis heute Holzarbeiten, die das Innere des Baumes sichtbar machen,

bei denen Wortelkamp mit der Kettensäge in das Innere hinein schneidet, oft bis an die Grenzen der statischen Möglichkeiten die Stämme aushöhlt oder sie mit tiefen Schnitten einkerbt, spaltet, zerklüftet, so dass verschieden weite oder enge Ein- und Durchblicke erlaubt sind. Und die ausgehöhlte Materie wird zu Köpfen, zu Händen, zu Fragmenten. Der klaren geschlossenen Form des Urzustandes setzt er den kunstvollen Rhythmus der Öffnungen entgegen und thematisiert so

auch in der Skulptur die Wechselbeziehung von Innen und Außen. Nicht mehr schützen, sondern bewusst verletzen, eine Natur sichtbar machen, die schon immer durch Versehrungen gekennzeichnet war, die aber auch den Baumstamm verstümmeln, jedoch seinem Wuchs folgend, mit der Kettensäge seine Oberfläche gestalten, große Formen betonen, sie mit geometrischen Einkerbungen versehen, um ihn als Skulptur zu vollenden. »Mich reizt dabei, einen Rhythmus zu finden, der nicht nur von der Harmonie lebt«, äußert Wortelkamp dazu einmal.5 Diese figurativ-abstrakten Stelen erinnern an Stehende, Liegende, Geneigte, Angelehnte oder Köpfe, sind Gestalten, aber kein Abbild des Menschen. Sie charakterisieren menschliche Haltungen, in letzter Konsequenz aber zeigen sie die reine Körperlichkeit der Skulptur als Skulptur. Dieser betont menschliche Ausdruck ist den Steinen der Vorgänger-Preisträger fremd. »Meine Ausgangspunkte sind menschliche Haltungen, alles, was beim Arbeiten an Figur erinnert – sichtbar als Gesicht bei den Köpfen z.B. – eliminiere ich«, so Wortelkamp.6

Und dazu benutzt er auch die Farbe. In den 80er Jahren setzte er mit starker Mehrfarbigkeit gezielt Akzente, heute entgrenzt er seine Stämme mit monochromen Kalkfarben oder mit Leinöl.

Eine solche mehr als 10 m hohe schlanke Stehende mit dem Titel Allseits. Von oben nach unten wie umgekehrt erhebt sich im Innenhof des Umweltministeriums in Mainz und setzt der strengen, horizontal gegliederten Rasterarchitektur des Gebäudes mit leicht bewegtem Stand das labile Gleichgewicht ihrer aufrechten Haltung entgegen. »Der 200 Jahre alte Eichenstamm, aufgesprengt und Durchblicke erlaubend, bewahrt dabei trotz seiner über drei Geschosse des Gebäudes reichenden Größe die Fragilität und Verletzlichkeit, die allem Lebendigen in der Natur zu eigen ist.«7

So bewegen sich Wortelkamps Skulpturen im Spannungsfeld von Menschenbild und Abstraktion, von Natur und Kunstform. Und mit dem Nervösen, Leidenden, der gespaltenen Identität der Materie kann sich auch der Betrachter in seiner problematischen Identität identifizieren.

Wortelkamps Auseinandersetzung mit und sein Interesse für öffentliche Räume und deren architektonische Formen hat in seiner mehr als dreißigjährigen Schaffensperiode nicht abgenommen. Bei seinen Ausstellungsprojekten beschränkt er sich selten nur auf die zur Verfügung stehenden Innenräume, sondern wandert mit seinen Skulpturen auch in den Außenraum, um diesen mit seinen Skulpturen neu zu befragen, ihre Eigengesetzlichkeiten mit einem vorhandenen Raum zu konfrontieren, spannende Synopsen oder optische Divergenzen herauszuarbeiten.

»Hierin drückt sich gewiss der Wunsch aus, einwirken zu wollen, der Wunsch, die immer zunächst ganz persönliche Kunst, die auch Privates verkörpert, öffentlich zu zeigen, vielleicht so zu verankern, als sei sie gewünscht«8, gesteht Wortelkamp in einem Interview mit Jörg van den Berg und anderen ein.

Skulpturen finden ihren Ort nannte er 2002 eine Ausstellung in Bamberg. Vierzig seiner Objekte fanden ihren Ort im Stadtraum Bambergs, auf Plätzen, in Höfen, auf Brücken, angelehnt an Häuser, in kirchlichen oder anderen öffentlichen Innenräumen. Diese temporär aufgestellten Skulpturen treten ein in eine gegebene Situation und gleichzeitig

ihr entgegen, stehen also in einer Kontrastspannung zum öffentlichen Ort. Und hier zeigt sich nun der entscheidende Unterschied zu den bisherigen Preisträgern, die ihre Arbeiten für eine ganz bestimmte architektonische oder landschaftliche Situation in Harmonie mit dem konkreten Ort schufen: Wortelkamps Arbeiten sind autonome Skulpturen, im Atelier entstanden,

in Unkenntnis der Orte ihrer Aufstellung, die zudem noch wechselnde Orte sind. Dennoch stehen diese Skulpturen nicht allein und auf sich gestellt da, denn, wie es Wortelkamp formuliert, »behauptet sich ein gutes Kunstwerk immer in einem starken Umfeld und zwar in der Ausbildung einer gleichberechtigten Partnerschaft.«9 Und so sucht er den Dialog zwischen eigenen Skulpturen, der eigenen und der fremden Skulptur, zwischen Skulptur und Raum. Wie beim menschlichen Dialog rechnet er damit, dass sich »Autonomien finden«, dass sich »autonome Formen behaupten«, dass sie in wechselseitiger Wirkung sich zu steigern vermögen.10 Selbstbehauptung und Dialogbereitschaft, diese Positionierung ist dem öffentlichen Raum eine durchaus angemessene. Und wir als Betrachter sind aufgerufen, ebenfalls in diesen Spannungsbezug einzutreten.

Anmerkungen: 1) Jörg van den Berg: Die Entgrenzung der Skulptur. Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Ausgabe 64, Heft 32, 2003, S. 3 2) Heiner Protzmann: Vielleicht ein Baum. Wortelkamps Eisenplastik und Holzskulptur. In: Erwin Wortelkamp. Papiere… Skulpturen …Räume…Kontexte. Ostfildern-Ruit 2000, S. 93 3) Interview 13 Erwin Wortelkamp im Gespräch mit Monika Bugs. Hrsg. Jo Enzweiler. Saarbrücken 2004, S. 48 4) ebd., S. 6 5) Erwin Wortelkamp. Papiere…, S. 10 6) Jörg van den Berg: Die Entgrenzung der Skulptur. Künstler, 2003, S. 7 7) Huberta de la Chevallerie: Handeln im öffentlichen Raum. In: Erwin Wortelkamp. Papiere…, S. 76 8) Erwin Wortelkamp. Skulpturen finden ihren Ort. Bamberg 2002, S.108 9) Erwin Wortelkamp. Papiere…, S. 55 10) ebd.

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