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Eröffnung: Donnerstag, 24. Mai 19 - 21 Uhr Begrüßung und Einführung: Herr Hartmut Holzapfel MdL, Kultusminister des Landes Hessen a.D.. Die Künstler sind anwesend

Ramune Pigagaite, seit 1992 in Deutschland lebend, ist vor allem durch den Zyklus Menschen meiner Stadt bekannt geworden. In einem größeren Umfang wird er jetzt zum ersten Mal in Berlin präsentiert. Es ist eine Serie Farbfotografien mittlerer Größe, an der die Künstlerin seit 2000 arbeitet und die in ihrer litauischen Heimatstadt Varena entstanden ist. Nahezu fünfzig Kleinstadtbewohner hat Pigagaite im Verlaufe der Arbeit nacheinander vor immer die gleiche Wandkulisse eines alten Lebensmittelladens zum Fotografieren gestellt. Zeitintensive Überredungsgespräche gingen dem oft voraus. Die Aufnahmen bilden in ihrem wiederkehrenden Bildaufbau und dem verbindenden Thema einer Ganzkörperporträtstudie eine typologische Reihe. Jedoch, wenn auch alle Personen - meist mit Hilfe von Attributen (Schere, Buch, Gewehr...) - konkreten Berufen oder Tätigkeiten zugeordnet werden können, geht das Individuelle über die Typologie des Beruflichen hinaus. Pigagaites Menschen sind unverwechselbar und einmalig – in ihren äußerlichen Merkmalen ähneln sie auch nicht einander. Betrachtet man diese Personen aus der Perspektive westlicher Arbeitswelten mit ihrer Effizienz und Normen, wirken sie gar seltsam, ja kauzig. So ist gerade diese Seltsamkeit eines der Merkmale, das eine weitere, in diesem Fall vielleicht eine rangwichtige Typologie konstituiert. Wie die Künstlerin betont, ist die Serie als Referenz an ihre Kindheit entstanden und als eine Dokumentation der vergessenen Zeit angelegt. Diese Zeit liegt bereits etwa dreißig Jahre zurück, doch im Leben eines Provinzstädtchens, das erst vor drei Jahren in das moderne Europa eingegliedert wurde und sich jetzt an seinem Rand befindet – Varena liegt in der Nähe der weißrussischen Grenze – hat sich nicht viel verändert. Es sind die Spuren einer verschwindenden Welt, durch die die Menschen bei Ramune Pigagaite gezeichnet sind und die sie zu einer Typologie verbinden.

Zeitphänomene beschäftigen auch Arturas Valiauga in der Serie Ich war bei Stephan, wir sprachen über das Leben (2002/2003), die zu den populärsten und bekanntesten Arbeiten jüngerer litauischer Fotografie zählt. Was den Künstler interessiert, ist aber nicht direkt der Mensch, sondern sein Verhältnis zu der unmittelbaren Umgebung sowie Spuren, die er dort hinterlässt. So erzählt die Serie weniger von einer älteren Frau und ihrem in die Jahre gekommenen Sohn, als von dem einsamen Bauernhaus, das beide bewohnen und dessen Wände sie im Laufe von zehn Jahren von oben bis unten mit Ausschnitten aus Zeitungen und Magazinen beklebt haben. Es ist eine geheimnisvolle bunte Welt, die zumindest im Stimmungskontrast zu den schwarzweißen Fotografien des kargen und ärmlichen Landlebens der älteren etablierten Schule litauischer Fotografie steht. In ihrer Farbigkeit, Flächigkeit und stark zurückgenommenen Perspektive sowie dem sich über alles ausbreitenden Horror vacui sind Valiaugas Bilder orientalischen Teppichen und Miniaturen ähnlich. Der Mensch scheint hier mit seiner Umgebung in einer mimikrischen Anpassung zu verschmelzen. Der äußere Eindruck deckt sich mit der inneren Bildlogik, wenn man die Umstände bedenkt, unter den beide Hausbewohner mit der Installation der Presseschnipsel begonnen haben. Es war die Zeit politischer und sozialer Umwälzungen in Osteuropa. Die veralteten Strukturen des Landlebens gingen in die Brüche. Das Neue brach über das verarmte Dorf zuerst in Form der Medienwelt herein. Jeder Bauer konnte nunmehr direkt nach der Feldarbeit in die neue Virtualität eintauchen: plötzlich gab es Politiker, Soaphelden, Modells, Verbrecher, die ein Privatleben führen und nicht wie früher in der Öffentlichkeit als ideale Menschen ohne Eigenschaften funktionieren. Man „kennt“ sie, „spricht“ mit ihnen und nimmt an ihrem Leben teil. Es ist vor allem das Fernsehen, das „alles“ möglich macht. Mutter und Sohn bei Valiauga haben sich in der neuen Virtualität jedoch besonders bäuerlich – bodenständig eingerichtet: sie können nichts ausschalten oder durch die Programme herumzappen: sie stehen auf, gehen Schlafen und verleben den ganzen Tag mit ihren Helden. Eine Fotografie kann präsenter sein als ein bewegtes Bild, auch davon erzählt diese Geschichte.

Sowohl Ramune Pigagaite als auch Arturas Valiauga gehören zu den einflussreichen Figuren in der jüngeren litauischen Fotografie. Sie waren unter den ersten Künstlern, die nach der Wende in konsequenter Beschäftigung mit Farbe und Bildfolgen die Fotokunst ihres Landes für aktuelle internationale Kunstentwicklungen sensibilisiert haben. Seitdem hat sich die Wertigkeitsskala innerhalb der litauischen Fotografie verändert - weg von der jahrzehntelangen Dominanz schwarzweißer Momentaufnahmen.

Kataloge der Künstler liegen vor

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Es war einmal...
Junge litauische Fotografie. Vol. 2:
Ramune Pigagaite (*1966) & Arturas Valiauga (*1967)