press release only in german

Die Ausstellung „Spartacus“ von Eva Grubinger setzt einen Programmschwerpunkt fort, mit dem sich die Schirn aktuellen zeitgenössischen Positionen widmet. Zuletzt hat Jan De Cock mit seiner Installation „Denkmal 7“ im Außen- und Innenraum der Schirn eine spektakuläre neue Arbeit im Rahmen diese Reihe geschaffen. Eva Grubinger macht sich für „Spartacus“ ebenfalls die spezifische räumliche Situation der Schirn zunutze und positioniert ihre Arbeiten an drei Orten: in der Rotunde und auf dem „Tisch“ (einem Betongebilde) im Außenraum sowie im Kabinett im Innenraum. Maschendrahtzaun umgibt das untere Stockwerk der Rotunde, aus deren Zentrum ein Beobachtungsturm herausragt. Auf dem ebenfalls eingezäunten Tisch stehen zwei Tribünen einander bedrohlich gegenüber. Im Kabinett versperren ein weiteres Zaunstück und grelles Scheinwerferlicht dem Besucher den Weg. Auch in „Spartacus“ geht es der 1970 in Salzburg geborenen und seit 1989 in Berlin lebenden Künstlerin um Manifestationen von Macht und Ohnmacht, von Beobachten und Beobachtetwerden. Ihre Installationen sind formale Abstraktionen komplexer sozialer Kommunikation. Durch allegorische Verdichtungen lassen sie räumliche, psychologische und mediale Repräsentationen von Macht sichtbar werden.

Die Ausstellung „Eva Grubinger: Spartacus“ wird durch das Österreichische Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur gefördert.

Der Titel der Ausstellung „Spartacus“ erinnert an einen der historisch frühesten Aufstände, den Aufstand des römischen Sklaven und Gladiators thrakischer Herkunft und seines Heers gegen die herrschende Gesellschaftsklasse, die damals noch im Vollbesitz ihrer repräsentativen und symbolischen Macht operierte. 2000 Jahre später haben sich die Technologien der Macht vielfach verfeinert und sind, wie schon Michel Foucault formuliert, „aus der Sonne des Königs herausgetreten und in die diversen Disziplinaranstalten der modernen Gesellschaft hineingefahren“. Foucault wendet das panoptische Architekturkonzept des englischen Philosophen Jeremy Bentham (1748–1832) auf seinen Begriff der modernen Disziplinargesellschaft an: Es stellt die Keimzelle des steinernen Beobachters dar, der keine Herrschaft ausüben muss, um zu herrschen, sondern die „Bewohner“ ihrer eigenen Kontrolle unterwirft. Den auf dem Panopticon-Prinzip beruhenden Bauten ist gemeinsam, dass von einem zentralen Ort aus z. B. alle Fabrikarbeiter oder Gefängnisinsassen beaufsichtigt werden können. Im Mittelpunkt steht ein Beobachtungsturm, von welchem aus Zelltrakte abgehen. So kann der Wärter in der Mitte in die Zellen einsehen, ohne dass die Insassen den Wärter sehen können. Mithin wissen diese nicht, ob sie gerade überwacht werden. Im Ergebnis kann also mit geringem Aufwand eine große Zahl von Menschen permanent überwacht werden. Von diesem Konstruktionsprinzip erhoffte sich Bentham, dass sich alle Insassen jederzeit regelkonform verhalten, da sie stets davon ausgehen müssen, beobachtet zu werden. Foucault deutete dieses Prinzip in seinem Buch „Überwachen und Strafen“ als Symbol für das Ordnungsprinzip moderner Gesellschaften. Der panoptische Turm hat die Bentham’sche Architektur verlassen und in vielfältigen neuen Techniken – Kameraüberwachung, Handy, Internet, Satellitensysteme etc. – massenhaft Verbreitung gefunden. Fremdbeobachtung und Selbstdisziplinierung sind zu einer zusammenhängenden Operation geworden, die keine übergeordnete Instanz mehr benötigt, um gesellschaftliches Funktionieren zu gewährleisten.

Vor dem Hintergrund der scheinbar geklärten Beziehung zwischen Beobachter und Beobachtetem sind auch die Arbeiten von Eva Grubinger zu verstehen. Für die Ausstellung in der Schirn hat die Künstlerin drei raumbezogene Installationen im Innen- und Außenraum geschaffen, welche die normierenden und disziplinierenden Funktionen öffentlicher Institutionen und Gebäude – wie z. B. von Gefängnis, Sportarena oder Museum – thematisieren. Jeder dieser Orte stellt einen abgezirkelten Bereich mit gesonderten Regeln dar, die dennoch in direktem Bezug zur Öffentlichkeit stehen. Die Durchsetzung dieser Regeln bringt Architekturen und Objekte hervor, die auf das Individuum einwirken und sein Verhalten beeinflussen.

Drei käfigartige begehbare Installationen auf dem Tisch, in der Rotunde und im Kabinett der Schirn changieren zwischen urbanem Spielfeld und gefängnisartigem Court. Ein wiederkehrender schwarzer Maschendrahtzaun dominiert die Ausstellungstrias und verwandelt die Orte in ein suprematistisches Aufgebot von Strich, Kreis und Quadrat. Zaun und Käfig bilden eine sichtdurchlässige Grenze. Die quadratische umzäunte Installation auf dem Tisch besteht aus zwei einander gegenüberliegenden Tribünen. Der Beobachter beobachtet den Beobachter. Maschendrahtzaun umgibt die Rotunde, in deren Zentrum sich ein Beobachtungs- bzw. Aussichtsturm befindet. Im Kabinett trennt ein weiterer Zaunabschnitt den Besucher von einem ihn blendenden Schweinwerfer. Die urbane Architektur der Installationen veranschaulicht den Zusammenhang von Zwang und Kontrolle.

Die drei aus Stahl gefertigten und schwarz lackierten Objekte beziehungsweise Objektgruppen gehen mit dem Betrachter unterschiedliche Blickbeziehungen ein. Die Tribünen auf dem Tisch zwischen Römer und Dom ziehen die Blicke von außen auf sich. Im Gegensatz dazu richtet sich der Turm in der Rotunde nach außen. Der Zaun, der den Turm mit großem Radius umkreist, gleicht einem Käfig, aus dem der Blick von einem erhöhten Standpunkt ausbricht und sich die Umgebung einverleibt. Die dritte Station nivelliert die Blickbeziehung. Das blendende Licht hinter einem Stück Zaun löst Grenze und Beobachter auf. Der einzige konventionelle Ausstellungsraum von „Spartacus“ zerstört damit jede konventionelle Beziehung, die zwischen Betrachter, Werk und Umgebung möglich ist.

Seit 1994 hat Eva Grubinger an zahlreichen internationalen Gruppenausstellungen teilgenommen, unter anderen im MUMOK in Wien, in der Staatsgalerie Stuttgart, der Charlottenborg Konsthall in Kopenhagen, den Deichtorhallen in Hamburg und der Berlinischen Galerie. Einzelausstellungen zeigte sie in diversen internationalen Galerien, dem Künstlerhaus Stuttgart oder dem KIASMA Museum of Contemporary Art in Helsinki. Mit der Einzelausstellung „Dark Matter“ im BALTIC Centre for Contemporary Art in Gateshead (GB) im Jahr 2003 hat Eva Grubinger internationale Aufmerksamkeit erregt und ihre lange Beschäftigung mit gesellschaftlichen Kontrollsystemen in eine präzise, einprägame architektonische Form gegossen. Zuletzt zeigte sie im Kunstfenster des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft im B.D.I. in Berlin eine faszinierende und gleichzeitig erschreckende Sicht auf die Omnipräsenz der Kommunikation in unserer Zeit in einer formal wie „Spartacus“ am Minimalismus und der monochromen Malerei geschulten Ästhetik.

KATALOG: „Eva Grubinger: Spartacus“. Hg. von Matthias Ulrich und Max Hollein. Mit einem Text von Matthias Ulrich. Deutsch-englische Ausgabe, ca. 50 Seiten, fotografische Dokumentation der Schirn-Installation in zahlreichen farbigen Abbildungen, Softcover. Der Katalog wird während der Dauer der Ausstellung erscheinen.

only in german

Eva Grubinger
SPARTACUS