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Farkhondeh Shahroudi
gestern war ich so müde dass ich den tee gegessen habe
17. Februar – 16. April 2023

Der Kunstverein Arnsberg erforscht und erprobt in dem dreiteiligen Projekt Das Theater in jede*m von uns (17.02 - 30.06.2023), wie Prozesse und Räume des Theaters in Bildender Kunst, aber auch in unserem Alltag eine Form finden. Die Reihe beginnt mit der Solo-Ausstellung von Farkhondeh Shahroudi, gestern war ich so müde dass ich den tee gegessen habe: ein skulpturales Gewebe aus poetischer, sozialer und politischer Textur.

Farkhondeh Shahroudis Arbeiten bestehen aus den verflochtenen Beziehungen zwischen Schrift und Bild, zwischen Körper und Erzählung. Inspiriert von der Poesie und den Erinnerungen an Iran und ihres Alltags in Deutschland erzählen ihre Arbeiten von Sprache und Sprachlosigkeit. Sie rufen Unausgesprochenes wach.
Ihr Werk thematisiert translokale Bewegungen von Menschen, die ausgeliefert, entwurzelt oder ausgelagert sind, die sich zwischen Orten und Welten bewegen wie in einem Theaterstück.
Viele Figuren in Shahroudis Arbeiten erinnern an das traditionelle iranische Theater, „Ta'ziyeh“, wo Schauspielerinnen, Zuschauerinnen und Tiere auf der Straße zu einer Einheit verschwimmen.
So verwandeln sich Bilder, Körper und Erzählungen durch ihre Handschriften, durch Nähen von und Verweben mit verschiedenen Materialien zu einem synthetischen Universum, das zwischen sozial und asozial, politisch und privat, öffentlich und intim, zwischen Innen und Außen, zwischen Sprache und Unlesbarkeit oszilliert.

gestern war ich so müde dass ich den tee gegessen habe ist eine Solo Ausstellung die es sich traut den Schatten des Alltags ins Auge zu schauen.
Nach dem Psychiater Carl Gustav Jung ist ein Schatten die Summe aller dunklen und vor allem verdrängten Gefühle, die in uns verborgen sind. Der Schatten ist all das, was wir nicht sein wollen, aber gleichzeitig oft sind. Schatten entwickeln sich in jedem Menschen, beginnend schon in der Kindheit. Die Bedeutung des Schattens unterscheidet sich abhängig von der Kultur, in der man aufwächst. Der Schatten gehört zum Leben, so wie das Licht zum Tag und die Dunkelheit zur Nacht. Die Eschatologie des späteren Zoroastrismus, der im westlichen Iran entstand, enthält die weit verbreitete Vorstellung, dass der Mensch keinen Schatten wirft, wenn er im Jenseits ankommt.

Für Farkhondeh Shahroudi bildet der Teppich den idealen Raum. Er entspricht einer antiken Symbolik, und in seiner vollendeten Geschlossenheit assimiliert er in sich einen Teil des Paradieses. In ihren Skulpturen und Installationen werden diese Teppiche zu beweglichen Gärten, zu heterotopen Räumen: sie verfügen über eine andersgeartete Räumlichkeit, die einerseits die Imagination freisetzt und andererseits jenem Gefühl des Nichtdazugehörens Form verleiht, wie es der Künstlerin im Exil zu eigen ist.

Die Ausstellung im Kunstverein Arnsberg verbindet sowohl Malerei, Objekte und Fotografie aus den früheren Schaffungsjahren der Künstlerin, als auch ganz neu konzipierte Installationen und Zeichnungen. Die meisten Arbeiten werden erstmalig ausgestellt und in einer erzählerischen Ausstellungschoreografie gezeigt, die das Publikum dazu einlädt, in die vielschichtigen inneren Landschaften von Farkhondeh Shahroudis Werk einzutauchen.

Im Läufe der Ausstellung wird Shahroudi eine Performance im öffentlichen Raum entwickeln.
In dieser Performance, „sang zani“ (= Steine klopfen), werden das Publikum, und Stadtbewohner*innen eingeladen , zu vorgegebenen Rhythmen zwei Steine aufeinander zu klopfen. Diese Klang-Prozession führt Shahroudi selbst, angekleidet mit einem performativen Kleid, “von weinenden Bäumen“ aus Kautschuk Reifen, auf.
„sang zani“ ist eine performative Adaption der schiitischen Trauerzeremonie „daste gardani“ und der Tradition des iranischen Theaters „ta'ziyeh“, bei dem die Menschen versammelt werden, um Ungerechtigkeiten zu beklagen.
Die Performance wird zur Finissage am 16.4.2023 aufgeführt.

Farkhondeh Shahroudi (1962, Teheran / Iran) lebt und arbeitet in Berlin. Shahroudi wurde 2022 mit dem Hannah-Höch-Förderpreis ausgezeichnet. Zu ihren letzten Einzel- und Gruppenausstellungen gehören unter anderen “A Different Now is Close Enough to Exhale on You”, Goodman Gallery, Cape Town, South Africa (2022), “Max Beckmann war nicht hier”, Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin (2022), “Ich Habe Knast”, Spittelmarkt, Berlin, Speaking to Ancestors (2022), “Force Times Distance”, Sonsbeek, Arnhem, Niederlande (2021); “The Relative Naive”, Galerie Weisser Elefant, Berlin (2019); “Out Now! Kunst im öffentlichen Raum”, Berlinische Galerie, Museum für moderne Kunst, Berlin (2018); “Whose Land Have I Lit on Now? Überlegungen zu den Begriffen der Gastfreundschaft: Invocation II”, SAVVY Contemporary, Berlin (2018) und in “Deep Nation”, Kreuzberg Pavillon, Berlin (2018).

Text und Kuration: Pauline Doutreluingne

Ausstellungsdokumentation: Heiner Lieberum