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Eröffnung: Donnerstag, 1. Oktober 2015, 19 Uhr

Mit der Herbstausstellung 2015 „FORSTER 1754-2015“ führt die Kunsthalle Mainz eine Reihe von Ausstellungen fort, die Ortsbezüge nutzen, um Wahrnehmungsroutinen zu durchbrechen.

„Vor allen Dingen aber ist zu bemerken, daß man einerley Dinge oft aus verschiedenen Gesichtspunkten ansiehet, und daß dieselben Vorfälle oft ganz verschiedene Ideen hervorbringen.“

Das Zitat stammt von Georg Adam Forster (1754-1794), dem zwischen 1788 und 1792 in Mainz als Bibliothekar wirkenden Wissenschaftler und republikanisch gesinnten Vordenker. Er wurde legendär als Naturforscher, Ethnograph, Zeichner, Schriftsteller und Revolutionär. Bereits als Siebzehnjähriger begab er sich mit seinem Vater Reinhold Forster auf die zweite Weltumsegelung von Kapitän James Cook. Die Erfahrungen und Beobachtungen, die er während der dreijährigen Reise machte, sollten seine gesamte Sicht der Welt prägen. Georg Forster fertigte in dieser Zeit detailreiche Zeichnungen von Flora, Fauna und Landschaften der angesteuerten Gestade an. Er legte ein umfangreiches Herbarium mit Pflanzenbelegen an, sammelte gemeinsam mit seinem Vater Gegenstände des täglichen Gebrauchs aus unterschiedlichen Kulturen und verfasste nach seiner Rückkehr das bis heute berühmte Werk „Reise um die Welt“.
In all diesen Dokumenten drückt sich nicht nur Georg Forsters herausragende Beobachtungsgabe, sondern auch seine Unvoreingenommenheit gegenüber den fremden Kulturen aus. Sein erstes Interesse galt dem Menschen selbst und dessen Eingebundensein in die Landschaft, die Natur, das Staatswesen und die Geschichte. Seine größte Sehnsucht bildete eine Zivilisation, in der ein gleichberechtigtes, freies Miteinander herrschte. Die gesellschaftlichen Entwicklungs- und Transformationsprozesse (so auch die Revolution) begriff er in Äquivalenz zu Wandlungen und Elementarereignissen in der Natur (wie einen Vulkanausbruch).
Forsters Betrachtungsweise der Welt ist zeitlos und lässt Rückschlüsse auf unsere gegenwärtige Welt und ihre Verfasstheit zu. Heute müssen wir keine Weltreisen mehr antreten, um mit dem Andersartigen, konfrontiert zu werden. Das Fremde findet sich im und unter dem Eigenen, im gesellschaftlichen Gefüge, in Konflikten und Krisen. Dennoch ist der Beobachter in jeder Begegnung mit dem Unbekannten gefordert und aus gestörter Vertrautheit geht ein Mehr an Erfahrungen hervor.
Ausgehend von Georg Forsters vielseitigen Hinterlassenschaften und seinen Reisen stellt die Ausstellung „FORSTER 1754-2015“ vor allem die Frage nach Erleben und Begegnung mit dem Fremdartigen und den daraus resultierenden Rückwirkungen und Verflechtungen mit der eigenen Kultur. Zu sehen ist keine Ausstellung, die den historischen Forster wiederbelebt, sondern Versuche, die heute umso dringlicher benötigten Betrachtungsweisen und Weltwahrnehmungen Georg Forsters zu beleuchten und zu verbildlichen. Ganz im universellen Forsterschen Sinne werden ethnographische, botanische, historische sowie zeitgenössische Exponate und Konzepte zueinander gebracht – Dinge, die auf eine Art zusammen gehören, die sich formal oder inhaltlich ergänzen. Die zeitgenössischen Künstler Lothar Baumgarten, Camille Henrot, Friedemann von Stockhausen setzen sich mit Georg Forster, seinen Vermächtnissen und der fortdauernden Aktualität seines einfühlsamen wie fortschrittlichen Blicks auf die Welt auseinander und verwandeln dafür die drei Ausstellungshallen in Denk- und Wahrnehmungsräume.

Lothar Baumgarten nimmt den Betrachter mit „Words at Sea“ auf eine mehrdeutige Reise. In die Nacht des Ozeans getaucht steht er im Rumpf zwischen den Spanten der „Resolution“, dem Schiff der zweiten Weltumsegelung Captain Cooks. Getragen vom Geräusch stetig anrollender Wellen bewegen sich auf den Wänden des Raums Wortfiguren, in denen Sinn und Widersinn, die Bewusstseins- und Realitätsbrüche, die Lebenslügen und Versprechungen unserer gesellschaftlichen Gegenwart zur Sprache kommen. Gesicht und Denken einer Zeit zeigen sich am deutlichsten in ihren spontanen Wortschöpfungen. Oft genug weisen sie den Kurs, den eine Gesellschaft aufnimmt, in beklemmender Weise voraus.
Georg Forsters Gedanken zur revolutionären Befreiung des Menschen setzen sich im Schein der „Schiffslaterne“ in mit Regenwasser gefüllten Tellern fort. Angeschwemmte Kokosnüsse verweisen auf die Wiederkehr abgeschlagener Köpfe der Revolutionen.

„Augen der Welt“ von Friedemann von Stockhausen besteht aus einer mehrteiligen Zeichnung, die collagenartig alle vier Wände des Ausstellungsraums überzieht. Es entwickelt sich eine Formensprache, die sich eindeutigen Zuschreibungen entzieht. Erscheinungen aus frühen Stufen der Evolution, das Organische in seinen Deformationen und Metamorphosen verbinden sich mit Artefakten und Fragmenten unterschiedlicher Kulturen, die sich zu neuen und befremdlichen Körperlichkeiten vereinen. Es entsteht ein Panorama, in dem der Betrachter zum Entdecker wird, und das ihn in der Wechselbeziehung von Vertrautheit und Befremdung, von Verflechtung und Abgrenzung schauend vereinnahmt.
Im alten Turm der Kunsthalle hängen drei sieben Meter messende, durchscheinende Prospekte. Eine Statue und ein Generationenzählstab aus Hawaii treffen auf die Fragmente einer 1794, dem Todesjahr Georg Forsters, von den Revolutionären zerstörten Königsfigur aus dem Portal von Notre Dame in Paris. Verkörpern, Erinnern, Zerstören verbinden sich hier auf engstem Raum.

Eine ganz andere Umgebung schafft die Künstlerin Camille Henrot mit „Grosse Fatigue“. In einer komplett blauen Zelle läuft ein Video, das einen Computermonitor zeigt. An diesem Monitor entsteht die Welt. Aus Schöpfungsmythen der Sioux, dem Buddhismus bis hin zum Judentum entsteht eine neue, laut und schnell vorgetragene Genesis, die mit Bildern der Entstehung des Universums, der Evolutionsgeschichte sowie ethnografischen Objekten verbunden wird. Fenster ploppen auf und werden geschlossen. Unzählige Versatzstücke werden bald motivisch, bald inhaltlich miteinander verknüpft, überlagert, um schließlich in der kreierten Bilderflut unterzugehen. Zahlreiche Bilder entstammen der Sammlung des Smithsonian Institutes in Washington. Diesen etablierten Ort der Wissensproduktion und -verbreitung kontrastiert Camille Henrot mit zeitgenössischen Formen der Informationsverarbeitung. „Grosse Fatigue“ ist eine Ode an die Gleichzeitigkeit, an die Verdichtung und an die Entstehung von Wissen im digitalen Zeitalter.

Veranstaltungen
Mittwoch, 14.10.2015, 19 Uhr 
Ausstellungsrundgang mit Anna-Maria Brandstetter (Kuratorin der Ethnografischen Studiensammlung, JGU) und Stefanie Böttcher 
in Kooperation mit dem Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Sonntag, 25.10.2015, 14.30 Uhr
Forster-Stadtrundgang mit Maximilian Felder (Mitglied bei Geographie für Alle) und Dr. Annette Emde in Kooperation mit Geographie für Alle e.V.

Georg Forster, der berühmte Weltumsegler, Naturforscher, Schriftsteller und renommierte Bibliothekar der hiesigen Universität wird 1792 zu einem tatkräftigen Unterstützer der Mainzer Republik. Begleiten Sie uns zu seinen Wirkungsstätten in Mainz! Im Anschluss besuchen wir gemeinsam einen temporären Georg Forster-Ort: die Kunsthalle Mainz. Die hier zu sehende Ausstellung widmet sich insbesondere der Weltumsegelung, die Georg Forster stark prägte und der Aktualität seiner Weltwahrnehmung.

Ort/Treffpunkt: Neue Universitätsstraße 5 (Professorenhäuser neben Proviantmagazin / Eingang Fastnachtsmuseum)
Dauer: ca. 2 Std.
Kosten: 10,- € pro Teilnehmer/in

Mittwoch, 4.11.2015, 19 Uhr
Das Paradies und die Revolution: Georg Forsters Reise in die Südsee
Vortrag von Prof. Dr. Jürgen Goldstein (Universität Koblenz-Landau)

Der Autor des in diesem Jahr erschienen Buches „Georg Forster – Zwischen Freiheit und Naturgewalt“ ist zu Gast in der Kunsthalle Mainz und schildert Forsters Erfahrungen seiner 1111-tägigen Reise um die Welt. Goldstein durchleuchtet nicht nur Forsters Leben als Weltreisender, sondern gibt auch Einblick in sein Leben als Jakobiner und Revolutionär.

Freitag, 20.11.2015, 10-22 Uhr
Lesemarathon: Georg Forster’s „Reise um die Welt“ im Rahmen des Bundesweiten Vorlesetages

Mainzerinnen und Mainzer lesen aus dem Werk „Reise um die Welt“ (1778) von Georg Forster. Georg Forster verfasste das Buch, das einer der Klassiker der Reiseliteratur wurde, nach seiner Rückkehr von der zweiten Cook‘schen Weltreise. Seine Beschreibungen geben einen unmittelbaren Einblick in Forsters Begegnungen mit fremden Menschen und Kulturen, der vorgefundenen Fauna und Flora und dem Verlauf der Reise. Sie sind empathisch und sachlich zugleich und getragen von der humanistischen Idee der Gleichheit der Menschen.
Es ist jederzeit möglich die Lesung zu besuchen bzw. zu verlassen.

Dienstag, 1.12.2015, 20.30 Uhr
Ursprung der Nacht (Amazonas-Kosmos)
Ein Film von Lothar Baumgarten, BRD 1973-77, 102 Min.
Filmscreening in Kooperation mit dem CinéMayence

Der neu restaurierte Film „Ursprung der Nacht“ ist eine Parabel über das ethnographische Auge, eine Kosmographie des tropischen Regenwaldes. Er führt uns auf eine Reise durch die Buchstaben der Mythen, die Gerüche der Bücher, die Metamorphosen der Formen und Töne. Begrüßung und Einführung von Stefanie Böttcher, Leiterin der Kunsthalle Mainz.

Ort: CinéMayence, Schillerstraße 11
Kosten: 5,- € (4,- € ermäßigt) pro Teilnehmer/in

Mittwoch, 16.12.2015, 19 Uhr
Ausstellungsrundgang mit Thomas D. Trummer

Mittwoch, 13.1.2016, 19 Uhr 
Coupé/Décalé und Million Dollars Point 
Filme von Camille Henrot, Frankreich 2010, 5 Min. und 2011, 6 Min. 

Das Material von Coupé/Décalé und Million Dollars Point entstammt dem Inselgebiet Vanatu, das sich im Südpazifik befindet. Beide Experimentalfilme zeigen Camille Henrots ungebrochenes Interesse an kulturellen Codes, deren Dekonstruktion und Neuformulierung sowie an Adaptionen historischer Begebenheiten.

Mittwoch, 20.1.2016, 19 Uhr
Als die Welt noch groß war…
Podiumsgespräch mit Prof. Dr. Frank E.P.Dievernich (Präsident der Frankfurt University of Applied Sciences), Eva Raabe (Ozeanien-Kustodin und kommissarische Leitung Weltkulturen Museum FFM), Cornelia Spohn (Supervisorin und Trainerin) moderiert von Martina Mattick-Stiller (Kulturredakteurin ZDF/3SAT)

Frühjahr 2016
Gespräch und Screening veranstaltet von Peabody Essex Museum, Salem (USA) und Carpenter Center for the Visual Arts, Harvard University, Cambridge (USA)
Ort: Peabody Essex Museum, Salem (USA)