press release only in german

Franz Burkhardt (*1966 in Wolfenbüttel) studierte 1987–1993 Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig bei H. P. Zimmer, Emilio Cimiotti und Johannes Brus.

In der Vergangenheit schuf der Künstler innerhalb der musealen Architektur immer wieder eine zweite Raumhaut aus Wänden, regelrechten möblierten Zimmern und Häusern aus neuen und alten Holzstücken für sein Hauptmedium, die Zeichnung. Im Fokus des künstlerischen Prozesses stehen dabei die Spannung und der Kontrast zwischen zwei so entgegengesetzten Techniken wie dem Zeichnen und dem Bauen, die Franz Burkhardt beide mit großer handwerklicher Zuneigung, Genauigkeit und Gründlichkeit betreibt. Der baustellenartige Charakter entfaltet dabei seinen eigenen Charme und kontrapunktiert die Meisterschaft und Geschlossenheit seiner Zeichnungen; zugleich bedeutet er eine Falle, denn die Ästhetik der unfertigen, fragmenthaften Bricolage ist als Dekor bewusst kalkuliert.

'Besenrein' nimmt den roten Faden dieses Prinzips wieder auf und präsentiert neben ca. neuen 25 Zeichnungen in den Techniken Bleistift, Tusche und Aquarell (Formate ca. 21 x 14,80 bis 150 x 100 cm) eine Neonskulptur und eine 'Kitchenette'. In dunkelbrauner Farbe wurde die rechte Galeriewand als Untergrund für eine Gruppe von Bleistiftzeichnungen gestrichen. Aus einem gebrauchten Küchenrest hat der Künstler eine 80 x 130 cm große Miniküche konstruiert, die im Zentrum des Hauptraums aufgebaut ist und auf deren Gasflamme am Vernissageabend eine heiße Suppe für die Besucher stehen wird. Den 'Luftraum' bespielt die Wiederaufnahme des Ausstellungstitels als leuchtend grüner 50er Jahre Neon-Schriftzug.

Hauptthema der Zeichnungen sind weibliche Akte als Einzelfigur oder auch als Paarkomposition; daneben finden sich männliche Personen, einzeln oder auch mit ihrem weiblichem Pendant kombiniert, Szenen in Arztpraxen bzw. Operationssälen, Innen- und Außenlandschaften in Form von zerwühlten Betten und endlosen Straßen, Wiesen- und Himmelsflächen. Burkhardt arbeitet nicht nach dem Modell, sondern lässt stets den Filter der Photographie zwischen seine Augen und die Umsetzung auf dem Papier sickern: entweder sind selbst erstellte Aufnahmen der Ausgangspunkt oder Abbildungen in alten Magazinen.

Die Austauschbarkeit der reproduzierten Posen, Gesten und sexuellen Reize durchkreuzt der Künstler durch das Einfügen von Textzeilen, die auf den ersten Blick mit dem Dargestellten nichts zu tun haben. In Sprechblasen eingefügt und den Protagonisten in den Mund geschoben, als beschriftetes Schild irgendwo im Intérieur angebracht, findet der Betrachter Parolen, Philosophisches, Banales, Kalauer, Alltagsweisheiten und Schlaumeiereien wie 'Die Dosis macht die Droge', 'Na und', 'Die Abstinenz mancher Leute ist der beste Grund für die Trunksucht' oder 'Das Leben als unabänderliche Vorliebe für die Richtung des größten Widerstands', welche eine neue Rahmung der Szene vornehmen. Der Künstler absorbiert diese anonymen Sprechakte als Spiegel einer kollektiven Haltung aus verschiedenen Quellen, um sie dann gezielt vor dem Choral des Publikums wieder auszubreiten. Vom ironischen und subversiven Humor her erinnert das Vorgehen an frühere Arbeiten von Büttner, Herold, Kippenberger etc.

Mit der Aktserie seines Werks vollzieht sich ein Querschnitt durch das gesamte letzte Jahrhundert mit einem Schwerpunkt auf den 30/40er und den 60/70er Jahren; die Gegenwart mit ihren typischen Frisur- und Kleidungsstilen ist abwesend. Das scheinbar individuelle und überhistorische Genre des Aktes gewinnt damit eine historische Prägung. Je nachdem, in welchem Medium Burkhardt arbeitet, wird das Motiv entweder sehr differenziert und feingliedrig wiedergegeben, wobei sich der Strich den individuellen Strukturen von Haaren und Bekleidung, dem Licht- und Schattenfall auf der reflektierenden Haut anpasst, oder aber es wird, wie bei den kontrastreicheren Arbeiten in Tusche, mit einigen wenigen souveränen Strichen, die flüssig und pointiert zugleich sind, auf das Blatt geworfen. Es existieren Zeichnungen, die die weibliche Physis in fast naturwissenschaftlicher Objektivität und mit einer Betonung der typischen Torsionsvarianten und verschiedenen Perspektiven des Körpers – diese haben den nahezu akademischen Tenor von zeitlosen Studien und dokumentieren einen absichtslosen Habitus, bei dem der Blick der Protagonistinnen abgewendet bleibt. Daneben, und das betrifft die Mehrzahl der Blätter, greifen die Szenen aus den Vintage-Magazinen die typischen, absichtsvollen Posen auf, bei denen die Frauen Blickkontakt mit dem Betrachter aufnehmen oder ihm voyeuristische Einblicke gewähren.

Auf den jüngst entstandenen Zeichnungen offenbart der Künstler ein vertieftes Interesse an Anatomie im medizinischen Sinne: einer Frau wird das Schema ihrer Eingeweide gegenüber gestellt, flankiert von 'Apperzeption' in greifbaren, ausgeschnittenen Versalien, und auf einer Kommode findet sich ein Querschnittmodell des menschlichen Ohrs; auf einem anderen Blatt werden Krankheitsbeschreibungen zitiert wie 'Ohrensausen, chronische Impotenz' etc.

'Besenrein' ist der Übergangszustand einer Wohnung, die gerade verlassen oder bezogen wird, ein Neuanfang oder Abschied; es bezeichnet auch den Wunsch nach einer Grundordnung im (eigenen) Leben überhaupt. Und es betitelt das 'Zuhause' oder 'Innen', was die Galerieräume mit dem Möbelfragment und der braunen Wand als innenarchitektonische Zitate den zweidimensionalen Arbeiten für einen begrenzten Zeitraum liefern, um dem Besucher mehr zu bieten als isolierte Exponate im aseptischen White Cube: die 'Fassung' eines in seiner Souveränität und Intensität überzeugenden zeichnerischen Werks.

Gabriele Wurzel

only in german

Franz Burkhardt
Besenrein - Zeichnungen und Suppe