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Das Kunstmuseum Liechtenstein zeigt mit "Fred Sandback" die erste umfassende Museumsausstellung mit Werken des amerikanischen Künstlers seit 20 Jahren in Europa. Fred Sandback (1943-2003) gehört zu den wichtigsten Protagonisten im Umfeld der Minimal Art.

Die häufig augenblickshaften, flüchtigen, aber stets ganz realen minimalistischen Skulpturen von Fred Sandback bilden eine komplexe Mischung aus Linien, Flächen und Volumen, die erstaunlich gegenwärtig und zugleich völlig illusorisch erscheinen. Farbenprächtige Acrylgarne werden zwischen der Decke, dem Boden, den Wänden und Ecken eines Asstellungsraumes aufgespannt und geben dem Betrachter Gelegenheit, einen Moment innezuhalten, indem sie magische Grenzen und Volumen erzeugen, die man durchqueren kann. Scharf gezeichnete Linien wirken wie Kanten von Glasscheiben oder versetzen den Raum in Schwingung wie die Saiten eines Instruments. Sandback selbst sprach davon, seine Skulpturen würden in einem »fussgängerischen-prosaischen« Raum in Erscheinung treten, womit sowohl die Bewegung des Betrachters im Raum berücksichtigt wird als auch die Tatsache, dass man mit diesen Skulpturen aktiv umgehen muss. Sandbacks Kunstwerke wurden zu Recht als »nomadische« beschrieben, seine Raumkonstruktionen ereignen sich im Hier und Jetzt und zwingen den Betrachter, einen körperlichen und geistigen Standpunkt zu beziehen.

Das Museum in Vaduz widmet dem Künstler als erste Station einer Ausstellungstournee eine grosse Überblicksausstellung, die sich dezidiert mit dem Skulpturenbegriff auseinandersetzt. Den Kern der Schau, die in enger Kooperation mit Amy Sandback entstanden ist, bildet eine Auswahl von über 50 Werken aus den Jahren 1966 bis 2003.

Im November 2000 reiste Fred Sandback nach Vaduz, um seine in der Sammlung des Kunstmuseum Liechtenstein befindlichen Skulpturen zu installieren. Eindrücklich war, wie bedachtsam und präzis er aus den zur Verfügung stehenden Werken auswählte und wie er sie nach der Sichtung des Raums zueinander positionierte. Diese Begegnung war entscheidend für den Wunsch von Friedemann Malsch, Direktor Kunstmuseum Liechtenstein, und Christiane Meyer-Stoll, Kuratorin, dieser Ausstellung, deren Ausgangssituation sich durch Fred Sandbacks Tod im Jahr 2003 grundlegend verändert hat, zu realisieren.

"Fred Sandback" ist die erste grosse Schau, in der Fred Sandback nicht mehr selbst die Arbeiten vor Ort realisiert hat. Diese Situation verändert das Verhältnis dieser Ausstellung zu den bis dato realisierten Werkpräsentationen entscheidend. Die Schau folgt dem gesamten Schaffen von Fred Sandbacks Anfängen 1966 bis in das Jahr 2003 und umfasst alle Werkgruppen: frühe Metallskulpturen, Arbeiten mit elastischen Schnüren und mit Acrylgarn, das er seit 1973 als Material einsetzte, die Reliefs sowie eine grosse Anzahl Zeichnungen. Das umfangreiche druckgrafische Werk wird beispielhaft gezeigt. Für die Ausstellung wurde ein Konvolut von über 50 Arbeiten zusammengestellt, das in veränderter, an die jeweiligen Ausstellungshäuser (Fruitmarket Gallery Edinburgh; Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz; capc Musée d'art contemporain, Bordeaux) angepasster Form in vier Ländern zu sehen sein wird. Ziel ist es, dass, mit dieser ersten umfangreichen Ausstellung das Werk von Fred Sandback neu und in seiner historischen Position und Bedeutung erlebt wird.

Die Ausstellung geht umgekehrt vor als es bei den noch von Fred Sandback selbst realisierten Ausstellungen üblich war, auch wenn es retrospektive Elemente in seinen Präsentationen immer wieder gab. Erstmalig musste einzig aus dem immensen Werk, dessen Fülle noch längst nicht erfasst werden kann, im Vorfeld eine Auswahl für die speziellen Räume getroffen werden. Als Basis dafür entstanden Leitfäden, die dem Werk inhärent sind, und an denen entlang sich die Auswahl gesponnen hat. Es sind Denkfiguren, die der Orientierung und der Taktung der Ausstellung dienen, in der Ausstellung vernetzen sich diese Leitgedanken wieder untereinander und ergeben ein komplexes Gefüge.

1. Grundlegende Elemente des Raums

Länge, Breite, Höhe bzw. Decke, Wand, Boden sind die Basis für unsere Wahrnehmung des dreidimensionalen Raums. Sie ermöglichen das Erkennen der den Raum bildenden Elemente. Stehen Länge, Breite und Höhe im rechten Winkel zu einander, bilden diese Koordinaten einen Schnittpunkt, der mit Nullpunkt bzw. Ursprung bezeichnet wird. Das Pendant im Raum bildet die Ecke bzw. der Eckpunkt. Raum wird in Fred Sandbacks Werk in seinen elementarsten Strukturen erfasst. Die Untersuchung, das Nachspüren der Grundelemente des Raums spielt vor allem im Frühwerk, das insgesamt noch eine grössere Nähe zur Wand aufweist, und in den Papierarbeiten eine gewichtige Rolle. Dabei geht es nicht um Messen von Raum, sondern um das Erfahren des Wesens von Raum anhand seiner konstituierenden Grundelemente.

2. Linie „Die Linie ist eine Ganzheit, und sie ist identisch mit einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit." (Fred Sandback)

Eine spezielle Variante der Linie ist die Senkrechte, die aufrecht Steigende, die Linie, die oben und unten miteinander verbindet und deren ruhiges Emporstreben majestätisch erscheint. Ihr Einsatz freistehend im Raum – nahe oder ganz losgelöst von der Wand - kommt in Fred Sandbacks Werk häufig vor. Die gespannten, geschnittenen, gezeichneten Linien in Fred Sandbacks Werken gehen in unserer Vorstellung weit über den Raum hinaus, nicht faktisch, denn nur innerhalb von fassbaren Grenzen, in der Endlichkeit, ist Raum erfahrbar: Sie scheinen den Raum weit zu öffnen. Dies ist besonders eindrücklich in den kleinformatigen Relief zu erleben.

3. Farbe Farbe ist sehr wesentlich im Werk von Fred Sandback. Ihr Einsatz ist im Frühwerk oft kräftig, leuchtend, fluoreszierndes Blau oder Orange und zugleich tauchen die Grundfarben, Rot – Gelb – Blau und die Nichtfarben Schwarz – Weiss – Grau auf. Im späteren Werk gewinnen wärmere, teils pastellige Farben an Gewicht: Hellblau, Beige, Ocker, Rosa. Farbe hat einen hohen Ausdruckswert, ist sehbar, erlebbar, und zugleich nicht greifbar. Zum einen hat Fred Sandback die Farbe auf das Material aufgetragen, wobei eine spezielle Werkgruppe bemalte Garne sind, die er selbst als „Gemälde“ (Paintings: Broken Line Paintings) bezeichnete, zum anderen wohnt die Farbe dem Material inne. Dies zeugt von seinem sehr sensiblen und bewussten Umgang mit den Eigenschaften der Materialien, der auch den Eindruck von Durchlässigkeit für alles, was sich während des Schaffungsprozesses ereignet, vermitteln.

4. Figur Das Bilden einer Figur: In dem Moment, in dem die Linie anfangs- oder endlos wird, formt sie Figuren in der Fläche. Dies können geometrische Formen sein wie das Dreieck - stumpfwinklig, spitzwinklig, rechtwinklig – das Trapezoid oder das Polygon. Geometrische Figuren, die im gesamten Werk von Fred Sandback immer wieder auftauchen. Bei dieser Formbildung bleibt die Linie im Grunde eine Linie, doch die lineare Vorstellung wird von der Flächenvorstellung unmittelbar abgelöst. Dabei verschwindet augenscheinlich der beweglich, dynamische Charakter, das Aufsteigende oder Absteigende, und kommt in der Figur zur Ruhe. Sandback verbindet die Dynamik der Linie und die Ruhe der Fläche in der Dreidimensionalität miteinander.

5. Zeit „Die Skulpturen wenden sich an den speziellen Raum und die spezielle Zeit, worin sie sich befinden, aber es kann sein, dass sich der vollkommnere Zustand, nach dem ich suche, erst mit der Zeit und allmählich herausbildet – mit den einzelnen Skulpturen als seinen wesentlichen Elementen.“ (Fred Sandback)

Es ist, als würde man in Fred Sandback Ausstellungen in einen anderen Zeitraum eintreten: Zeitdehnung und Zeitverdichtung, Dauer und Veränderung finden sich zugleich und zwar im Erleben von Gegenwart. In der Verdichtung führen die Skulpturen nicht aus der Gegenwart fort, sondern sie bewirken vielmehr eine Konzentration auf das Hier und Jetzt. Zum anderen zeigt sich der Aspekt von Zeit besonders in einigen frühen Arbeiten ganz konkret. In der Ausstellung wird eine seiner Konstellationen, eine Raumkonstruktion, die sich über einen längeren Zeitraum hin in ihrer Anordnung verändert, ausgeführt: Zwei Diagonalen, erstmals gezeigt 1974 in der John Weber Galerie in New York. Diese Werkgruppe ist nur in der Zeit erfahrbar.

6. Materiell / Immateriell Was befindet sich im Inneren eines Volumens, des Raumes, der Zeit? Dieser das gesamte Werk durchziehende Aspekt bewegt sich entlang der Grenzen des Sichtbaren und Unsichtbaren, der materiellen Welt und der Transzendenz zu einer nicht sichtbaren Welt. Dies alles sind Begriffe geistigen Daseins, die über die materielle Welt hinausreichen, denen aber, um fassbar und erfahrbar zu werden, vom Menschen eine Gestalt verliehen werden muss. Fred Sandbacks Werk bewirkt ein Versenken in eine immaterielle Wirklichkeit und zugleich ein Eintauchen in Gegenwärtigkeit.

„Mein Werk ist in keiner Weise illusionistisch ... Mein Werk steckt voller Illusionen, aber sie verweisen auf nichts. Tatsache und Illusion sind einander ebenbürtig.“ (Fred Sandback)

Diese Ausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein ist eine Neuinterpretation, Themen und Strukturen werden in einer anderen Weise zusammenspielen und auch zusammenklingen, aber keine Setzung ist willkürlich, vielmehr schöpft sie aus einem grossen Opus, dessen Notationen äusserst präzise sind. Jedes ausgeführte Werk wird von einer detaillierten Installationsanweisung begleitet, in der minutiös Fragen teils inhaltlicher, doch vor allem praktischer Art beschrieben werden.

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