press release only in german

Wir laden Sie herzlich zu unserer zweiten Ausstellung "for example TEU: 8 feet x 20 feet" der Thematischen Projektreihe "Kolonialismus ohne Kolonien? Beziehungen zwischen Tourismus, Neokolonialismus und Migration" ein. Diese Ausstellung beschäftigt sich mit neokolonialen ökonomischen Strukturen und mit Kontinuitäten kolonialistischer Verhältnisse.

ISO-Container haben eine Breite von 8 Fuss (2,44 m) und eine Länge von 20 Fuss (6,06 m). Daraus ergibt sich die Abkürzung: TEU (Twenty-feet Equivalent Unit). Diese Normierung ist so gewählt, dass Container auch mit Lkw, Eisenbahn oder Schiff befördert werden können. Der Handel mit Rohstoffen spielte eine eminent wichtige Rolle für eine koloniale Politik und Wirtschaftsform. Die heutige postkoloniale und neokoloniale Gesellschaft basiert auf einem Kräfteverhältnis von Macht und Wissen und fördert eine Vielfalt kolonialer Praxen. So sind es heute nicht mehr nur die Rohstoffe, die allerdings nach wie vor politisch-wirtschaftliche Entscheidungen beeinflussen, sondern auch die ungleichen Mobilitäts- und Kommunikationsbedingungen, welche neokoloniale Abhängigkeiten fördern.

Gegenwärtige neokoloniale Situationen sind geprägt durch ein Machtgefälle, in welchem die unmittelbare politische Abhängigkeit durch eine Fortschreibung der ökonomischen Abhängigkeit ersetzt wurde. Multinationale Konzerne und die Regierungen von Ländern, die sie unterstützen, streben eine Kontrolle über die Ressourcen, Finanz- und Warenmärkte ärmerer Länder an. In einer kolonialen Kontinuität werden diese Länder als Reservoir für billige Arbeitskräfte und Rohstoffe genutzt, oft ohne einen Beitrag zu einer diversifizierten ökonomischen und sozialen Struktur zu leisten. Auch Länder wie die Schweiz, die keine Kolonien besessen haben, sind bis heute in diese (neo-)kolonial geprägten Macht- und Austauschverhältnisse eingebunden. Aktuell sind in diesem Zusammenhang die weltweite Privatisierung von Trinkwasser oder die Rolle der Schweizer Chemischen Industrie im Handel mit pharmazeutischen und agrochemischen Produkten. Als konfliktreiches und paradoxes Unterfangen erweisen sich auch Entwicklungshilfeprojekte, die im Bestreben einer Dekolonisierung gleichzeitig ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse in einer globalisierten Weltwirtschaftspolitik mit produzieren.

Das Projekt strukturiert sich in drei Module: Recherchen und Projekte zeitgenössischer KünstlerInnen, eine zweite Folge des Projektes "From/To Europe", welches die wiederentdeckten Fotografien "Pierre Bourdieu. In Algerien. Zeugnisse der Entwurzelung" zeigen und diskutieren möchte, sowie Hörstationen mit Gesprächen zur Positionierung der Schweiz gegenüber ihren eigenen (neo-)kolonialen Verstrickungen.

"Bourdieu in Algerien, Bourdieu in der Banlieue" ist der zweite Teil der von Jochen Becker/metroZones entwickelten Projektreihe "From/To Europe". Der Schwerpunkt liegt diesmal auf der von Camera Austria und der Fondation Pierre Bourdieu entwickelten Fotografieausstellung "Pierre Bourdieu. In Algerien. Zeugnisse der Entwurzelung", die um Kommentare zu post/kolonialen Konditionen erweitert wird. Der französische Soziologe war als junger Kolonialsoldat in Algerien stationiert. Seine (Forschungs-)Fotografien verfolgen die Vertreibungspolitik der Kolonialmacht: Dörfer und lokale Landwirtschaft wurden zerstört und die nun Arbeitslosen in die algerischen Städte getrieben. Der Sprung übers Mittelmeer in die Fabriken Frankreichs brachte den nordafrikanischen Zugewanderten Arbeit. Viele von ihnen hausten in Hüttensiedlungen am Rande der französischen Städte. Insofern waren die neu gebauten Großsiedlungen (Banlieues) für die Zugewanderten ein Segen.

Heute leben hier knapp 19 Millionen Menschen. Inzwischen jedoch möchte der Staat diese mit "Hochdruckreinigern wegspülen". Die aus der Zeit des Algerienkriegs stammenden Notstandsgesetze (état d'urgence) werden nun nicht mehr in den ehemaligen Kolonien, sondern in Zonen rund um die französischen Zuwanderermetropolen in Kraft gesetzt. Ein Streitgespräch von Bourdieu mit Nachfahren nordafrikanischer Zugewanderten in einer Banlieue macht den (alten) Konflikt deutlich.

Projekte von: Dario Azzellini und Oliver Ressler, Donna Conlon, Minerva Cuevas, San Keller, Christian Mayer/Yves Mettler/Marion Ronca, Jesper Nordahl, Philippe Rekacewicz, Sofie Thorsen, Dan Wilkinson

Interviews: Reto Aschwanden im Gespräch mit Hans Fässler (Autor von: Reise in schwarz-weiss: Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei, Zürich: Rotpunktverlag, 2005), Reto Aschwanden im Gespräch mit Pia Hollenstein (Nationalrätin / Grüne St. Gallen), Jochen Becker im Gespräch mit Guy Thomas (Archivar des historischen Bildarchivs der Basler Mission / mission 21) und Beat von Wartburg (Verlagsleiter beim Christoph Merian Verlag / Christoph Merian Stiftung), Ina Boesch im Gespräch mit Gesine Krüger (Historikerin / Universität Zürich): "Schwarze Geschäfte und die Schweiz", gesendet auf Radio DRS 2 in der Sendung "Reflexe" am 9. Januar 2006, Bianca Miglioretto im Gespräch mit Noel Alemania (Vizepräsident der Filipro-Employees UFE-KMU, der Gewerkschaft der streikenden Nestlé-ArbeiterInnen auf den Philippinen), Bianca Miglioretto im Gespräch mit Carina Castillo (National Coalition for the Protection of Workers Rights, Southern Tagalog, Philippinen)

In Dialog mit

Jochen Becker/metroZones Bourdieu in Algerien, Bourdieu in der Banlieue Ein Kommentar zu Pierre Bourdieu. In Algerien. From/To Europe #2

Pierre Bourdieu. In Algerien. Zeugnisse der Entwurzelung. Eine Ausstellung von Camera Austria, Graz / Christine Frisinghelli und Fondation Pierre Bourdieu, Genève / Franz Schultheis

Symposium «Bourdieu in Algerien, Bourdieu in der Banlieue» Filmprogramm mit Remember Resistance 22./23. April 2006

Presestext

only in german

for example TEU: 8 feet x 20 feet
Zweiter Teil der Thematischen Projektreihe
Kolonialismus ohne Kolonien?
Beziehungen zwischen Tourismus, Neokolonialismus und Migration
Kuratorin: Katharina Schlieben

Projekte von Dario Azzellini / Oliver Ressler, Donna Conlon, Minerva Cuevas, San Keller, Christian Mayer / Yves Mettler / Marion Ronca, Jesper Nordahl, Philippe Rekacewicz, Sofie Thorsen, Dan Wilkinson

Interviews: Reto Aschwanden / Hans Fässler; Reto Aschwanden / Pia Hollenstein; Jochen Becker / Guy Thomas / Beat von Wartburg; Ina Boesch / Gesine Krüger; Bianca Miglioretto / Noel Alemania, Bianca Miglioretto / Carina Castillo

Symposium
Bourdieu in Algerien, Bourdieu in der Banlieue
Pierre Bourdieu

Filmprogramm mit Remember Resistance 
22./23. April 2006