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Radiowellen haben schon seit ihrer Entdeckung, vor allem seit Beginn ihrer Anwendung in der Telekommunikation eine unbändige Faszination auf die Menschheit ausgeübt. Durch militärische, politische und kommerzielle Interessen blieb ein technologisch realisierbares, demokratisches Kommunikationsnetzwerk in dem alle Teilnehmer gleichzeitig Sender und Empfänger sind, wie es Bertolt Brecht und Hans Magnus Enzensberger in ihren Radiotheorien beschrieben haben, dennoch Utopie. Die Computerisierung der Medien und Vernetzung des Alltags demokratisiert die Produktionsmittel für potentielle Sender. Die Pluralisierung der Medien durch das Internet, aber auch durch Kabelfernsehen und digitale Funkstandards hat kommerzielle und staatliche Monopole aufgeweicht. Die Ausstellung präsentiert Künstler und Kunstkollektive, die sich die Demokratisierung und Aneignung der Technologien zunutze machen, zur kritischen Erkundung sozialer Gegebenheiten auf der Suche nach neuen kollektiven Assoziationsformen.

TETSUO KOGAWA (JP)

Der kritische Bezug des japanischen Performancekünstlers Tetsuo Kogawa auf das Medium Radio ist tief verwurzelt in den politischen Radioutopien des letzten Jahrhunderts und in den vielfältigen Radiobewegungen oppositioneller Politik, wie der italienischen Autonomia- Bewegung, den Piratenradios und vor allem der Micro-FM-Bewegung. Dabei handelt es sich um selbst gelötete FM-Transmitter, die es beispielsweise erlauben, daheim oder unterwegs einen eigenen Radiosender für die Nachbarschaft zu betreiben. Neben seinen Professuren an japanischen Universitäten (zur Zeit in Tokyo) hat er über 30 Bücher geschrieben und die Freie-Radio-Bewegung nach Japan gebracht.

Kogawa wird in Leipzig einen öffentlichen Workshop „How to build a micro transmitter/Wie baue ich einen Micro-Sender“ (28.08.), eine Lecture-Performance „From free radio to radio art“ (26.08.) und auf Radio Blau eine „Radioparty“ (29.08.) veranstalten. Dabei wird er sein „Radioart Manifest“ (2008) vorstellen: Denn das Internet, in dem UserInnen ihre Inhalte einstellen, hat die Situation des Freien Radios bzw. des Do-It-Yourself-Radios grundlegend geändert. Kogawas aktuelle Überlegungen über zeitgemäße Radiokunst verlagern daher das Interesse von der Orientierung an freier Information zum Medium selbst: Das Radio ohne Message.

LIGNA (DE)

Die Radiogruppe LIGNA hat außergewöhnliche, kollektive und öffentliche Praktiken entwickelt, die den Hörer einladen, die Sendungen aktiv mitzugestalten und zu begleiten. In zahlreichen Städten haben sie unter dem Namen „Radioballett“ bekannt gewordene Aktionen öffentlichen Radiohörens veranstaltet. Sie fordern die Hörer auf, die Passivität des häuslichen Rezipierens zu verlassen, um in einer „kollektiven Zerstreuung“ öffentliche Räume durch Hören und Bewegungen im Raum zu erkunden.

LIGNA wird gemeinsam mit Interessierten in Leipzig das Projekt „Radio Interpellation “ (22.08., 29.08., 04.09. & 26.09.) durchführen: In Anlehnung an eine Sequenz aus Chris Markers Dokumentarfilm „Sans Soleil“ (1982) haben sie zwei, mit einem Radio verbundene 8-Ohm-Lautsprecher an einer Stange befestigt, die mithilfe eines Rucksacks durch die Stadt getragen werden können. LIGNA stellt diese Technik und - mit Dank an Radio Blau! - Sendezeiten zur Verfügung, in der Gruppen Programme produzieren können, mit denen sie in den Stadtraum intervenieren, Diskurse verstärken, die sonst nicht gehört werden, oder mit der spezifischen Akustik der Lautsprecher die Straße akustisch verfremden. In einem Workshop (22.08.) wird LIGNA die Technik vorstellen und ihre Implikationen und mögliche Sendungen diskutieren. An diesem Tag wird die erste Performance auf Radio Blau und im Stadtraum Leipzigs stattfinden, die sich für den innenstädtische Raum und die Stadtplanung Leipzigs interessieren wird. Die Workshops, insgesamt vier an der Zahl (22.08., 29.08., 04.09., 26.09.) sollen dazu dienen, anderen Künstler- und Radiogruppen in Leipzig die Entwicklung eigener Projekte mit diesen Lautsprecher-Radios zu ermöglichen.

JULIAN PRIEST (NZ)

Als Aktivist in der globalen Bewegung für freie, drahtlose Bürgernetze und als Mitbegründer von Open Spectrum, einer Organisation, die die Bürger für die institutionelle Vergabe von Radiofrequenzen sensibilisieren möchte und sich dabei für mehr Gleichgewicht von kommerziellen und öffentlichen Interessen einsetzt, beschäftigt sich Julian Priest seit über zehn Jahren intensiv mit Kommunikationspolitik und der Kommerzialisierung von Kommunikationstechnologien, wie Radio und Internet. Für ihn sind Radiofrequenzen das neue Grenzland in der digitalen Revolution. Da der Zugang zu Radiofrequenzen einer der Schlüssel in der zukünftigen Kommunikationsökologie ist, will er zu Debatten über diese Ressource anregen.

„The Political Spectrum“ ist eine textliche Analyse der Radiofrequenzbelegung in verschiedenen europäischen Ländern. Sie repräsentiert die Häufigkeit, mit der soziale oder politische Gruppen auf Radiofrequenzen vertreten sind, und untersucht zugleich die Mechanismen bei der Frequenzvergabe durch die zuständigen Institutionen. Die Arbeit ist 2006 aus einer Kollaboration des Künstlers mit seinem Publikum entstanden. Priest skizzierte seine Analyse tabellarisch auf einem beschreibbaren Whiteboard. Die Besucher der Ausstellung „waves“ in Riga (LV) hatten die Möglichkeit in die unlizenzierten Frequenzbereiche zu schreiben. Diesen Zugriff regulierte Julian Priest zuerst durch verschiedene Techniken aus der aktuellen institutionellen Frequenzvergabe, z.B. durch Auktionen, bei denen der Bereich an den Höchstbietenden geht oder durch Ideenwettbewerbe. Später verwarf er diesen regulativen Ansatz und die Tafel wurde zu einem unregulierten Raum, der intensiv von der Öffentlichkeit genutzt wurde. Die Besucher verewigten sich auf der gesamten Tafel, respektierten gleichzeitig aber auch die Linien und die bereits vergebenen Frequenzbereiche. Die Reaktion der Öffentlichkeit auf das Whiteboard betont das menschliche Verlangen zu kommunizieren und sich in den öffentlichen Medien zu präsentieren.

MICHELLE TERAN (CA)

Im Datenraum unserer Städte betreiben viele Nutzer von Videokameras, Babyphones mit Bildübertragung – oft ohne eigenes Wissen – Mini-Fernsehsender. Die drahtlose Übertragungstechnik erlaubt es nicht nur dem autorisierten Empfänger, sondern jeder weiteren Person mit einem Empfangsgerät, die im Raum verstreuten Bilder aufzufangen. Innerhalb ihres Performances-Projektes „Life: A Users Manual“ hat die Künstlerin Michelle Teran zwischen 2003 und 2008 solche Funkbilder innerhalb von so genannten „Walks“ in 17 unterschiedlichen Städten aufgefangen und sichtbar gemacht. Die 3-Kanal-Videoinstallation „17 CITIES“ ist ein animierter Zusammenschnitt aus dem dabei entstanden Archiv mit Szenen aus Brüssel, Berlin, Chicago, Seoul, Barcelona, Montreal und weiteren Städten in Europa und Nordamerika. Er begibt sich von Gewerberäumen auf die Straße, nach Hause, ins Bett, zum Fernsehen (das drahtlos in verschiedene Wohnräume verteilt wird kann ebenso abgefangen werden) und zurück ins urbane Nachtleben. Die Parallelen in den Städten lösen sich in einer Metaerzählung über das gegenwärtige Stadtleben aus dem Blickwinkel von Überwachungskameras auf.

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FUNK NOW!

Künstler: Tetsuo Kogawa, Ligna , Julian Priest, Michelle Teran