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Die Bilder von Georgine Ingold erfassen die Vielschichtigkeit der Wirklichkeit, indem sie Gefühle und Perspektiven in ihrer Gleichzeitigkeit darstellt. Ingolds Malerei befindet sich zwischen emotionaler Tiefe und malerischen Realismus, abstraktem und gegenständlichem Farbauftrag, Experiment und Tradition. Ihr visuelles Vokabular, welches sie häufig populären Cinema und Fernsehen entnimmt – zum Beispiel auch im Zyklus «Rote Lena» ¬– wird in ihren neusten Arbeiten durch persönliche Erfahrungen und individuelle Komponenten ergänzt.

In ihren Landschaftsarbeiten beschreitet Ingold ein für sie ganz neues, auch gewagtes, Terrain. Ganz allgemein ist Landschaftsmalerei aus der Sicht der ästhetischen Wahrnehmung, "betrachtete Natur". Mit welchen Augen die Natur betrachtet wird bestimmt die Haltung und Sichtweise, die man ihr gegenüber einnimmt. Zum Beispiel: Ein pragmatischer Mensch nähert sich der Landschaft mit einer Position der Nützlichkeit; im Gegensatz zum ästhetischen Menschen, der sie als emotional-kontemplativ wahrnimmt, um in ihr Wohlgefälliges, Erfreuendes, Stimmungsvolles, Beschauliches und Besinnliches zu erfahren. Die Ausstellung «Outside» beantwortet die Frage, welche Sehweise Ingold an- und umsetzt.

Ingold arbeitet mit Landschaftsfotografien, die sie selbst gemacht hat. Mit jeder einzelnen Perspektive verbindet sie etwas ¬ persönlich, familiär, ästhetisch. Sie ist keine Fotografin, sondern benutzt die Fotos nur als Erinnerungsstütze und Andenken. Eine Landschaft ist für sie nicht von Interesse als Schauplatz historischer Begebenheiten oder als Touristenattraktion. Im Gegenteil: die Künstlerin hat es sichzur Aufgabe gemacht, nur diejenigen Landschaften zu malen, mit denen sie eine persönliche Erinnerung verbindet. Es sind dort ihre eigenen Geschichten verborgen, die sie mit archivarischem Interesse mit ihrer Kamera festhält. Primär steht also die Erinnerung an die Landschaft im Vordergrund, sekundär geht es um den Charakter des Motivs. Dabei sind die dramatischen farblichen Experimente, die durch die sinnlichen Reize initiiert werden, die Reflektion des individuellen, ganz persönlichen Bezugs.

Sind dann Ingolds Landschaften symbolistisch? Das kann man nicht unbedingt sagen – Bedeutung und Abbildung stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Sie unternimmt von den ersten Übungen an den Versuch, abzubilden, die Landschaft auf der einen Seite, Erfahrung auf der anderen. Dabei sucht man fast vergeblich nach erzählerischen Momenten. Die Malerin lehnt sich an die Grossen der Landschaftsmalerei an, Hodler, Pissarro, Cézanne, und setzt Striche, bildet ab, die Erzählung ist zwar vorhanden, aber subtil.

Ingolds Malweise ist akkurat, systematisch, perfektionistisch: ihrem perspektivischen Grundverständnis entsprechend müssen die Arbeiten von nächster Nähe und grosser Distanz her wirken, jedoch völlig unterschiedlich. Um diesen Effekt zu erreichen, bedient sie sich einer eher unkonventionellen Malmethode. Ihre relativ kleinen, selbstbespannten Leinwände (ca. 30x40cm), die sie mit Ölfarbe in der Nass- auf-Nass-Methode bespielt, hängen recht exponiert an ihrer grossen Atelierwand. Vor ihrem lichtdurchfluteten Arbeitsplatz erstreckt sich ein leerer Raum. Der ist essentiell für ihre Arbeit, denn nach jedem Pinselstrich bewegt sie sich räumlich von der Leinwand weg und betrachtet das Bild als Ganzes. So bearbeitet sie jedes Werk, das je nach Distanz zum Bild auf den Betrachter völlig unterschiedlich wirkt.

Daraus spricht ja nicht nur eine erstaunlich entemotionalisierte Einstellung, sondern erklärt sich auch in Teilen, warum es bei Ingold verblüffende Parallelen zwischen Porträts und Bergansichten gibt, warum die «Rote Lena» mit den Arbeiten des «Outside»- Zyklus so gut harmonieren: Wie isolierte Landschaften stehen die konturierten Pinselstriche nebeneinander und ergeben Flächen reiner Malerei, die sich aus nüchtern-distanziertem Maßhalten und fast mathematisch-reduktionistischer Ausführung herleiten lassen.

Isabel Balzer, balzerARTprojects Basel, April 2012