press release only in german

Vom 27. Februar bis 24. Mai 2009 zeigt das Kunsthaus Zürich Meisterwerke aus dem Ägyptischen Museum Berlin – Büsten von Echnaton und Nofretete, den Würfelhocker des Senemut, den «Grünen Kopf» u.a.m. – zusammen mit Plastiken, Gemälden und Zeichnungen Alberto Giacomettis, dessen Schaffen zutiefst von der altägyptischen Kunst geprägt war.

Die Analogien zwischen dem Werk des bedeutendsten Schweizer Künstlers des 20. Jahrhunderts, Alberto Giacometti (1901-1966), und der altägyptischen Kunst werden zum ersten Mal in einer Ausstellung zur Anschauung gebracht. Dafür wechseln wertvolle Leihgaben aus dem Ägyptischen Museum von Berlin ins Kunsthaus Zürich. Für den Besucher wird überraschend nachvollziehbar, wie Giacometti sich am ägyptischen «Stil» orientiert: in der Konzentration auf das Menschenbild, im Verhältnis von Figur und Raum und der künstlerischen Intention, dem Individuum ewige Gegenwart zu verleihen.

EINFÜHLEN DURCH KOPIEREN Giacometti war noch Schüler, als Berliner Archäologen Anfang des 20. Jahrhunderts die Kunst des Echnaton in Amarna ausgruben. Von der Überlegenheit der ägyptischen Kultur über alle späteren war der angehende Künstler schon damals überzeugt. Die erste Begegnung mit den ägyptischen Originalen ereignete sich 1920 in Florenz. Dort fand Giacometti verwirklicht, was ihm als Ziel seiner Kunst vorschwebte: die Erfassung der Wirklichkeit, die lebendige Präsenz des Menschen in einer Stilform. Eine lebenslange Auseinandersetzung setzte ein. Zurück aus Italien vollendete Alberto seine Ausbildung beim Vater Giovanni mit einem anspruchsvollen, ganzfigurigen Selbstbildnis, in welchem er seine Züge nach dem hager überlängten Gesicht des Echnaton stilisiert. Eine Büste des Pharaos und dieses Gemälde werden in der Ausstellung nebeneinander stehen. In Paris versuchte Giacometti als Schüler Bourdelles lebende Modelle zu erfassen. Er studierte im Louvre ägyptische Originale und kopierte Abbildungen aus Büchern. In den Überlegungen des Surrealisten-Kreises, in dem sich Giacometti damals bewegt, spielten ägyptische Ideen eine Rolle; und als der Vater 1933 stirbt, traten Vorstellungen über Tod und Jenseits in den Vordergrund. Der «Cube», auf den er ein Selbstbildnis eingravierte, kann als Giacomettis Antwort auf die ägyptischen Würfelfiguren gesehen werden, die ihn schon in Florenz faszinierten und die in der Ausstellung mit dem bedeutendsten Exemplar, der Figur des Architekten Senenmut, vertreten sein werden. Die intensivste Phase der Auseinandersetzung mit altägyptischer Kunst beginnt 1934, als sich Alberto Giacometti als «Schreiber» zeichnet. In einem Dialog von Selbstbildnis-Zeichnungen und kristallinen Kopien ägyptischer Meisterwerke, wie dem «Grünen Kopf», der in Zürich zu sehen sein wird, entwickelt sich sein sogenannter «phänomenologischer Realismus», der Versuch die erscheinende Wirklichkeit im Vorgang des Sehens zu erfassen.

GRUNDLAGEN DES REIFEN STILS Um 1942 zeichnete er zahlreiche Kopien nach dem Fresko des Gartens des Ipy, mehr als von irgendeinem anderen Kunstwerk. Blickt man auf seine davon offensichtlich inspirierten Gemälde in der Ausstellung, begreift man, dass ihn die rhythmischen Schwingungen der Bäume und Büsche faszinierten, das vibrierende Netz gespannter Linienstrukturen, in dem sich das bewegte Leben, die Wirkkräfte der Natur erfassen liessen. Giacometti wurde bewusst: der Inbegriff des Lebens ist die Bewegung. Diese Möglichkeit der Bewegung gestaltet die ägyptische Kunst geradezu paradigmatisch in der Stand-Schreit-Figur: sie wird zum Ausgangspunkt für die schreitenden Männer Giacomettis. Die uralte Typologie bietet das Essentielle, das der modernen subjektiven Nervosität der Wahrnehmung Halt gibt. Die Latenz der Bewegung manifestiert sich in den Sockeln und der durch die übergrossen Füsse evozierten Spannung der Figur zu dem hier vorgegebenen Raum. Beruht die Belebtheit der ägyptischen Skulptur auf dem ihr innewohnenden Ka der Seele, so baut sie sich bei Giacometti in dem rastlosen Blick des Wahrnehmenden, zunächst des Künstlers selbst, dann des Betrachters auf. Die Orientierung an der Typologie der ägyptischen Werke wird wegweisend für die Arbeiten der Nachkriegszeit. In den Büsten der 1950er und 60er Jahre erhöht Giacometti den Kontrast zwischen dem Chaos der unteren Partien und dem sich im Blick manifestierenden Leben dramatisch. Der Rückgriff auf ägyptische Kniefiguren ermöglicht die letzte Steigerung im «Diego assis» und im «Lotar III». Darin bleibt erlebbar, was viele Zeugen der Arbeitsweise Albertos belegen: das immer wieder neue Ansetzen des schöpferischen Prozesses, in dem er sich der Lebendigkeit versicherte und das der Betrachter in der parallelen Bewegung der Wahrnehmung nachvollzieht. Man erinnert sich der ägyptischen Vorstellung, dass der Sonnengott jeden Morgen die Kosmogenie im Aufstieg aus dem Urwasser neu vollzieht und so den Fortgang des Lebens sichert.

DIE PRÄSENTATION IN BERLIN UND ZÜRICH Noch bis zum 15. Februar 2009 sind im Ägyptischen Museum in Berlin die altägyptischen Werke zusammen mit 12 Plastiken Giacomettis zu sehen. Im Kunsthaus werden umgekehrt 18 ägyptische Skulpturen in präziser Gegenüberstellung mit den zu vergleichenden Werken Albertos und bis zu 80 weiteren Arbeiten des Schweizer Künstlers präsentiert: eine beträchtliche Anzahl meisterhafter Zeichnungen nach ägyptischen Vorlagen, Gemälde und die beiden Bücher, in denen Giacometti die meisten Randzeichnungen anbrachte, Fechheimers «Die Plastik der Ägypter» und Ludwig Curtius’ Band über Ägypten im Handbuch der Kunstwissenschaft. Christian Klemm, Konservator der Alberto Giacometti-Stiftung und der Sammlung am Kunsthaus Zürich, hat die Ausstellung kuratiert. Vertieft wird das Thema in einer Publikation mit Beiträgen von Christian Klemm und dem Kurator in Berlin, Dietrich Wildung. Sie ist im Museumsshop und im Buchhandel erhältlich.

only in german

Giacometti, der Ägypter
Alberto Giacometti