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Seit Anfang der 1990er Jahre arbeitet die dänische Künstlerin Gitte Villesen, geb. 1965, mit der spontan und unmittelbar wirkenden Ästhetik des Homevideos. In einfachen und unprätentiösen Bildern erzählen ihre kurzen und einprägsamen Videos vom Alltag und von den persönlichen und sozialen Beziehungen einzelner Menschen. In ihrer Arbeit verletzt Gitte Villesen niemals die Integrität und Würde der Personen. Vielmehr dokumentiert sie die Ausstrahlung von Menschen, die mit ihren Ideen und durch ihr Handeln dem Alltag und seinen vermeintlichen Regeln einen Freiraum abzuringen vermögen.

Mit ihren Arbeiten leistet Gitte Villesen einen Beitrag zur Diskussion über das Medium Video als Mittel zur künstlerischen Produktion und Dokumentation von Wirklichkeit. Ihre Arbeiten wurden in Einzelausstellungen, u. a. in der Secession, Wien, der Kunsthalle Lophem, Brügge, und im Institute of Visual Art, Milwaukee sowie in internationalen Gruppenausstellungen gezeigt: Bei Manifesta 2 in Luxemburg, in "Organising Freedom" im Moderna Museet, Stockholm, in "Out of the North" im Württembergischen Kunstverein, Stuttgart, und auf der International Biennale, Melbourne. Gitte Villesen lebt und arbeitet in Berlin (D) und Kopenhagen (DK).

Gitte Villesen sucht ihre Personen sehr gewissenhaft aus. Wegen ihrer Interessen und Besonderheiten könnten diese Menschen auch als "Originale" bezeichnet werden. Mit ihren Träumen und Idealen haben sie sich eine eigene Welt geschaffen und gut darin eingerichtet. Obwohl sie sehr verschieden sind, ist ihnen eines gemeinsam: Mit großer Leidenschaft sind sie an Dingen unterschiedlicher Art interessiert: Willy, der sich für Autos und seine Plattensammlung interessiert, Kathrine, die Spitzen klöppelt, die Bent sammelt, Søren, der ein Dorfmuseum mit einer eigenen Währung aufgebaut hat, oder die Straßenkünstlerin Ingeborg, die eine Sammlung von Dingen hat, die mit Straßenkunst zu tun haben.

Es geht Gitte Villesen nicht darum, Dokumentationsfilme über diese Personen zu produzieren. Vielmehr sind es die Personen, die vor der Kamera die Situation schaffen und bestimmen und gleichzeitig ist Gitte Villesen aktiv und passiv am Geschehen beteiligt: Als Ansprechpartnerin und Reaktionspartnerin ist sie stets präsent. Mit kurzen Bemerkungen fördert sie den Redefluss und das Handeln der Personen, ohne ihnen jedoch eine ganz bestimmte Richtung vorzugeben.

"Wenn es irgendetwas gibt, worüber ich wirklich gerne sprechen möchte, dann sind das Autos, Motorräder und Flugzeuge ... obwohl Musik und Frauen auch ganz schön wären ..." sagt Willy Bøtker, der damals 75 Jahre alt war, im aller Ersten Video, das Gitte Villesen mit ihm gedreht hat. Willy lebt in der gleichen Region im Norden Dänemarks, in der die Künstlerin geboren und aufgewachsen ist. "Seither", sagt sie," hat er oft mit mir über Musik geredet". Für "Willy as DJ" (Willy als DJ) gab sie ihm eine Stunde Zeit, um ihr seine Lieblingsmusik vorzustellen. Aus dem Ausgangsmaterial entstand ein neunminütiges Video. Mit leuchtenden Augen zeigt er die Plattencover alter Klassiker von Julio Iglesias und anderen. Während er eine Platte nach der anderen auflegt, sich im Rhythmus der Musik bewegt und zum Schluss sogar ein kleines Tänzchen mit Gitte Villesen wagt, wird die Musik zum lebendigen Teil seines Lebens.

Für "Willy goes for a drive" (Willy macht eine Autofahrt), Video, 7 Min., erklärte Gitte Villesen Willy, dass sie ein Video über einen Mann machen möchte, der sein Haus verlässt, um mit seinem Auto eine Fahrt zu unternehmen. Willy gefiel diese Idee, er sagt dazu: "Genau eine solche Situation sagt eine ganze Menge über das Leben aus."

Meistens präsentiert Gitte Villesen ihre Filme als Projektion, damit sie auf die Betrachter unmittelbarer wirken. Oftmals produziert sie zu den Filmen Plakate und Schautafeln, auf denen Standbilder aus den Videos (Stills) und Texte aus den Videos zusammengestellt sind.

Für ihre Ausstellung "Two guides at the Creative Reuse Warehouse" (Zwei Führungen im Lager für kreative Wiederverwertung) produzierte Gitte Villesen eine neue Videoarbeit, die zusammen mit der Videostill-Serie "Tyner", 2001, gezeigt wird. Beide Arbeiten entstanden in einem Recyclinghof in Chicago. "At the Creative Reuse Warehouse", 2002, 9 Minuten, zeigt eine junge Frau, die dort arbeitet. Während eines Rundgangs zeigt sie Gitte Villesen Dinge und Sachen, die im "Creative Reuse Warehouse" gelagert sind. Ganz banale Dinge, wie Plastikklipps und Glasdeckel haben für die junge Frau eine große Bedeutung, und mit strahlenden Augen zählt sie auf, was man damit alles tun könnte. Sie kommt dabei auf erstaunliche Ideen.

"Tyner", 2001, besteht aus einer Serie von 35 Bildern und 13 Texttafeln. Eigentlich hatte Gitte Villesen einen Videofilm mit Tyner produziert. Dann entschloss sie sich, einzelne Bilder aus den Aufnahmen zu schneiden und eine Serie daraus zu machen. Die Bilder zeigen Tyner bei seiner Arbeit im "Creative Reuse Warehouse", und im Text beschreibt er sein "Lebenswerk": In konsequenter Weise verfolgt er seine Idee, stets nur das zu verwenden, was andere übrig lassen. So isst er immer nur die Reste von den Tellern beim Gratisessen, das jeden Freitag im Lagerhaus verteilt wird. Aus den Holzstücken, die andere weggeworfen haben, baut er Spielzeug. Mit Konstruktionszeichnungen und einem Brief an führende Gemeindemitglieder tritt Tyner dafür ein, dass mehr Menschen alten Holzstücken und Resten Bedeutung beimessen sollten. Seine Zeichnungen sollen helfen, dass jeder aus Altholz Dinge anfertigen kann. Im Text kommt auch Ken Dunn zu Wort, der Besitzer des Creative Reuse Warehouse. Er sagt: "Wir stellen hier fest, dass wir alles verkaufen könnten, was er macht ...sie sind eigentlich attraktive Arbeiten eines Outsider-Künstlers."

Die Ausstellung wird gefördert vom Land Niedersachsen. Der Kunstverein wird institutionell unterstützt durch die Stadt Langenhagen, dem Hannover Airport und der Reemtsma Cigarettenfabrik. Vielen Dank für die Unterstützung durch das Kino Utopia! Veronika Olbrich

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Gitte Villesen: Two guided tours at the Creative Reuse Warehouse
Zwei Führungen im Lagerhaus für Kreative Wiederverwertung
Video / Videostills und -texte

Kuratorin: Veronika Olbrich