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Die polnische Künstlerin Goshka Macuga (*1967), die in London lebt und arbeitet, befragt und überschreitet in ihren Arbeiten die Grenzen von Skulptur, Installation, Ausstellungsdesign und Fotografie. Sie setzt sich mit einer Vielzahl von Disziplinen auseinander wie Kunstproduktion, Kuratieren, Ethnologie, Psychologie und Esoterik. Die verschiedenen Ausstellungsprojekte und Publikationen der Künstlerin kommen so in einem facettenreichen Werk zusammen, welches sich weder als „politisch engagiert“ noch als „formalistisch“ einordnen lässt. Vielmehr ist ihre künstlerische Arbeit gleichzeitig formal unnachgiebig und programmatisch anarchistisch.

Macugas Arbeitsweise war immer geprägt vom Interesse an der Zusammenarbeit mit Künstlern und anderen Kulturproduzenten sowie dem Gebrauch von existierenden kulturellen Materialien: Originalwerken der Kunst und des Handwerks; Dokumenten, die sich auf historische Figuren wie Künstler, ihre Förderer und Gegner beziehen; Formen von Ausstellungspräsentationen, die in verschiedenen politischen Kontexten entwickelt und eingesetzt werden; sowie Referenzen zur Volkskunst. Die momentan viel diskutierte Wiederaufnahme der oft ungenügend reflektierten Inspiration, die viele zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler aus der Geschichte des (meist westeuropäischen und amerikanischen) Modernismus beziehen, vorwegnehmend, hat Goshka Macuga ihr Werk als eine langfristige Studie entwickelt. In dieser adressiert und modifiziert die Künstlerin die vorherrschenden Wahrnehmungsweisen und Interpretationen kultureller Produktion, um den alltäglichen Formen und Artefakten eine neue Bedeutung zu verleihen. Für Macuga ist die Kunst ein Werkzeug des Verstehens und ein Entwurf für sozialen Wandel. Ihre diskursiven Szenarien dekonstruieren die kulturellen Konditionierungen unserer Gesellschaft: Sie widersetzen sich einer gegenwärtig dominanten künstlerischen Praxis, die als marktorientierte Aktivität von einer breiteren sozialen Arbeitsweise losgelöst ist und diese als „Spielball“ der Kunstwelt marginalisiert. Ihre Arbeit beschäftigt sich oft mit den tatsächlichen Phänomenen der Herstellung, der manuellen und intellektuellen Arbeit eines Künstlers. Dieser Rest an freier Handlung – oft eingebettet in Traditionen und Codes, welche die kulturellen Besonderheiten der Generationen und Nationen überschreiten – kann ein Versuchsfeld für neue Formulierungen sein. Gleichzeitig ist er auch der Ausgangspunkt einer Lektion der Subversion als ein direkter Akt des Widerstands oder durch Persiflage und Humor.

Goshka Macugas erste institutionelle Einzelausstellung in Kontinentaleuropa in der Kunsthalle Basel bringt ein Ensemble fotografischer Arbeiten zusammen, die Dokumente und Bilder beinhalten, welche die Künstlerin aus den Archiven der Tate Gallery in London, des Warburg Institute der Universität London, des Museum of Modern Art in New York und der Kunsthalle Basel ausgewählt hat. Der Titel der Ausstellung I Am Become Death (dt. Ich bin der Tod geworden) bezieht sich auf eine Szene aus der Bhagavad Gita (Der Gesang Gottes), dem heiligen Buch der Hindus. Diese Zeile aus dem Epos („Jetzt bin ich der Tod geworden, Zerstörer der Welten.“) wurde von J.Robert Oppenheimer, Direktor des Manhattan-Projekts während des 2. Weltkrieges, zitiert, als er am 16. Juli 1945 das Ausmass der Zerstörung sah, welches der Atombombentest Trinity auf dem Testgelände „White Sands Missile Range“ in der Nähe von Alamogordo, New Mexico, hinterlassen hatte.

In ihren neuen Arbeiten denkt Goshka Macuga auch über einige Aspekte der Geschichte der Ausstellungspräsentation nach. Die Ausstellung Road to Victory, die 1942 im MoMA in New York stattfand, als das Manhattan-Projekt bereits in Bearbeitung war, beabsichtigte, für Amerikas militärische Stärke zu werben und half damit, die in den Krieg eintretende Nation zu stärken. Die Ausstellung war als eine „Prozession von Fotografien der Nation im Krieg“ von Edward Steichen angelegt. Die Fotografien wurden in einem von Herbert Bayer entworfenen Setting gezeigt, zusammen mit Texten des amerikanischen Poeten und Autors Carl Sandburg. 1955 hat Edward Steichen ebenfalls die Ausstellung Family of Man im MoMA konzipiert, welche die vielfältigen Aspekte der Menschheit – wie Liebe, Arbeit und Freizeit – in ihrem universellen Streben nach Frieden und Glück illustrieren wollte. Die Ausstellung ignorierte und blendete dabei alle politischen Widersprüche aus, die ein solcher Ansatz mit sich bringen muss: Sie rückte eine idealisierte Vision einer abstrakten „Menschheit“ ins Zentrum, die am Besten in der amerikanischen Idee der Demokratie verkörpert werden konnte und zeigte eine Auswahl an Fotografien von Menschen, gesehen wie von einem Naturforscher. Diese grösste Fotografie-Ausstellung zur Zeit des Kalten Krieges tourte weltweit als ein amerikanischer Kulturexport. Einer der europäischen Ausstellungsorte war die Kunsthalle Basel (1958), wo in der Folge eine Vielzahl wichtiger Ausstellungen der amerikanischen Kunst stattfanden: Darunter ist vor allem die erste Präsentation des Abstrakten Expressionismus in Europa mit dem Titel New American Painting zu nennen, die 1958 zusammen mit der parallel laufenden Einzelausstellung von Jackson Pollock vom International Council des MoMA konzipiert wurde.

Für ihre Ausstellung in der Kunsthalle Basel bezieht sich Goshka Macuga auf das Präsentationskonzept von Herbert Bayer für die Ausstellung Road to Victory, um eine Serie von Collagen zu präsentieren, die sich aus Bildern unterschiedlicher Herkunft zusammensetzen: Sie umfassen Fotografien von Aby Warburg, die er während seiner Erforschung der Hopi-Indianer-Kultur 1896 aufgenommen hat; Fotografien der Künstlerin von ihrer Reise in die USA sowie Installationsansichten der Ausstellung des amerikanischen Künstlers Robert Morris, die 1971 in der Tate Gallery in London stattfand. Weiter nehmen die Collagen auch persönliche Fotografien aus der Sammlung eines Vietnamveteranen auf, welche – im Gegensatz zu dem in Road to Victory klar definierten ideologischen Inhalt – alltägliche, unheroische, lustige oder einfach langweilige Aspekte des Soldatenlebens auf einer Militärbasis in Vietnam fokussieren.

Die Ausstellung beinhaltet auch Kopien einiger Skulpturen, die Robert Morris für seine Ausstellung in der Tate Gallery entworfen hat. Die Skulpturen – einfache Konstruktionen aus Holz, Stahl und Seilen – regten die physische Interaktion der Besucher mit den ausgestellten Werken an und gingen weit über das hinaus, was das Museum akzeptieren konnte: Da sich einige Besucher während der Benutzung verletzt hatten, wurde die Ausstellung nach nur einem Wochenende geschlossen, da die Institution nicht für die Sicherheit der Besucher garantieren konnte. Im Kontext mit dem Vietnamkrieg kann die Ausstellung von Morris, die den Betrachtern auf ihre eigene Verantwortung hin eine Reihe von Möglichkeiten der individuellen Teilnahme eröffnete, als ein politisches Statement zur der von Staat und (Kunst-)Institution definierten Form von Freiheit und Limitierung gelesen werden.

Macuga zeigt auch einen neuen Dokumentarfilm, der in Zusammenarbeit mit dem visuellen Anthropologen Julian Gastelo entstanden ist und der auf einer Videodokumentation ihrer jüngsten Reise durch die Vereinigten Staaten, von New York bis in die Wüste Arizonas, basiert. Die beiden folgten der gleichen Route, welche der deutsche Kunsthistoriker Aby Warburg von New York City nach Arizona genommen hat, um 1896 die Rituale der Hopi-Indianer und die Ikongrafie ihrer Kunst zu untersuchen. Warburg bezog sich auf seine Reisen in einer Vorlesung über das Schlangenritual der Hopi, die er 27 Jahre später in der psychiatrischen Klinik in Kreuzlingen hielt. Sein Vortrag über die Hopi-Mythologien und die allgemeine Herkunft von Symbolen bewies seinen Ärzten, dass er bereit war, die Klinik zu verlassen. Macugas Film – der auch eine Begegnung mit einem Vietnamveteranen beinhaltet - zeigt die Erkundung des (kunst-)historischen Amerikas durch den Filter zeitgenössischer Eindrücke und reflektiert dabei den gegenwärtigen Zustand des Landes. Auf diese Weise verweigert die Künstlerin die neutrale Haltung einer unbeteiligten Betrachterin, um sich selbst als teilnehmende Akteurin innerhalb der Gesellschaft zu positionieren: In einer Zeit, in der Nationen wieder in Kriege involviert sind, die Leiden und Zerstörung über ganze Gemeinschaften bringen und in der Menschen sich wieder Entscheidungen gegenübersehen, die vor nicht langer Zeit bereits obsolet schienen.

I Am Become Death beabsichtigt, die ästhetische Form als eine Waffe zu untersuchen, die bei Auseinandersetzungen zwischen politischen Mächten eingesetzt wird und zu erforschen, welche ideologische Auswirkung der Staat auf die Kunstproduktion haben kann, die noch immer nach Autonomie strebt. Gleichzeitig macht die Ausstellung einen Vorschlag, wie das ästhetische Potenzial für gegenteilige Ziele verwendet werden kann – als Mittel, einen kritischen Blick auf die heutige Lage zu werfen.

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Goshka Macuga - I Am Become Death