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Ein Beitrag zur Ausstellung „Everything is Inside“, Subodh Gupta im MMK Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main von Lothar Frangenberg

Der indische Künstler Subodh Gupta überrascht uns nicht. Er muss es auch nicht. Schließlich ist er kein Exot. Dafür ist er zu sehr mit dem Repertoire westlicher, längst international gültiger Kunstkonzepte und strategien vertraut. Er spielt in der künstlerischen Auseinandersetzung mit Alltagsgegenständen seiner indischen Lebenswelt, häufig in Form von Küchenutensilien, bewusst mit kunstgeschichtlichen Bezügen. Sie sind nicht übersehbar: Ready-mades, Anklänge an Arte Povera, Verweise auf Minimal Art oder die „affirmativen“ Verwertungskalküle eines Jeff Koons. Gupta bietet uns solche Ebenen des Lesens und Interpretierens an. Er verschafft uns keine Déjà-Vus, aber den Eindruck, sich auf geläufigem Terrain zu bewegen. Auch ohne seine indischen und persönlichen Wurzeln zu kennen – unvermittelt erlebbar sind sie für uns ohnehin nicht – weisen die zu „Kunstwerken“ destillierten Installationen, Bilder und Objekte für den westlich geprägten Besucher im gängigen Museumsraum auf nicht allzu ferne Bedeutungshorizonte hin.

Das Thematisieren üblicher Gebräuche und Praktiken seines Heimatlandes zieht sich als roter Faden durch das Werk. Es kreist nicht nur um das Kochen, eine für Gupta essentielle Tätigkeit. Neben vielfältigem Kochgeschirr tauchen auch zugehörige Transportgeräte oder Mobiliar in verschiedenen Formen auf. Er setzt gefundene Objekte ein, manipuliert und veredelt sie, oder bildet sie in Trompe-l’œil-Manier nach: Vorgänge des Verteilens, Aufnehmens, Reinigens – Momente eines Prozesses immerwährender, kreislaufartiger Bewegungen stellen sich ein. So trifft man eingangs des Ausstellungsparcours auf einen Haufen diverser Alutöpfe, stumpf, abgenutzt, voller unterschiedlicher Gebrauchsspuren („This is not a Fountain“). Zwischen ihnen ragen unaufhörlich plätschernde Wasserhähne heraus. Natürlich verweist die Arbeit nicht nur auf das von Duchamp zum Kunstwerk deklarierte Urinal, sondern direkt auf die Ärmlichkeit des Alltags vieler Inder – gerade in Anspielung auf die vielen notdürftigen und oft illegalen Zapfstellen. Mit der Vorführung des langsam fließenden Wasserkreislaufs und des Aufgehens einzelner, individueller Lebenspuren in einem anonymisierenden Haufen von Blech macht sich ein Gefühl von Fatalismus breit. Die geplante, rechteckige, mit Bedacht ausgeführte Anhäufung schafft parallel eine fast kontemplative Distanz, die diesen Eindruck verstärkt. Die Radikalität des umcodierenden Transfers im Sinne Duchamps ist längst dahin. Gupta weiß, dass solch ein künstlerisches Manöver nur noch gebrochen als reflektierender Kommentar funktioniert. Die mit Küchenutensilien ausgerüsteten Regale aus seinem familiären Umfeld („My Family Portrait“) glänzen dagegen trotz aller Patina als Ready-mades reizvoll an der Museumswand. Gleichzeitig strahlen sie trotz üppiger Bestückung eine paradox anmutende Leere aus. Das künstlerische Umetikettieren schiebt unaufhörlich ein Konstrukt von Verweisen und Reflektionen zwischen den Betrachter und die Arbeit. Für Gupta mag dadurch im Übergang von der persönlichen Erfahrung zur Schaffung international gezeigter Ausstellungsobjekte, von Wechsel aus seinem Kulturkreis ins Globale, eine direktere, forcierendere Gegenüberstellung in Gang kommen.

Eine allmähliche und endlose Bewegung führt auch die Installation „Faith Matters“ in einem Nachbarraum vor. Hier kreist, hoch aufgestapelt, unbenutztes und hochpoliertes Geschirr auf Fließbändern: Lunchboxen, in denen im Alltag Essen an Arbeitsplätze geliefert wird. Die Töpfe finden bei allen Indern, unabhängig vom gesellschaftlichen Status, Verwendung. Hier – wie bei vielen der Installation Guptas – von allen individuellen Spuren befreit und hochästhetisch aufbereitet, spiegelt sich dieses scheinbar egalisierende Moment wieder und ebnet Unterschiede zu Bildern allgemeinerer Austauchzyklen ein. In der Erscheinungsweise abstrahiert, dem Alltag und seinen Spuren entzogen, kann die Arbeit vom Betrachter bildhaft und szenisch aufgeladen werden. Maßstäbe beginnen sich zu verschieben und Vorstellungen miniaturisierter, vorbei ziehender Stadtlandschaften stellen sich unwillkürlich mit ein. Tritt man an den Tisch der Installation heran und lässt sich auf das abstrahierte Moment des dauernden Kreisens ein, fühlt man sich gleichsam in den Kreislauf hinein gezogen.

Unzugänglicher erweist sich die Aufbereitung einer frühen Arbeit wie „Pure, (I)“, 1999/2014. Hier liegen Fehldeutungen ohne weitere Kenntnis der Zusammenhänge für den nicht aus Indien stammenden Betrachter nahe. Mit der festgestampften Schicht aus Lehm und den darin vertieft eingelagerten Gegenständen – eine Art invertiertes Podest, das der Besucher betreten darf – assoziiert man die Inszenierung von Bestattungsriten oder einer archäologischen Ausgrabungsstätte. Tatsächlich handelt es sich um die stark reduzierte Rekonstruktion des Ortes einer Performance des Künstlers in ländlich-ärmlicher Umgebung. Solche ausgewiesenen Bereiche aus einer Mischung aus Lehm -und Kuhdung, der in der hinduistischen Tradition reinigende Wirkung hat, dienen vor Ort der Abgrenzung gesäuberter, häuslicher Zonen. Gupta, der sich für die an eine Zeremonie erinnernde Aktion zur Selbstreinigung auch mit dieser Mischung einschmierte, grub für die Dorfbewohner vor Ort wichtige Gegenstände, die sie ihm überlassen hatten, in den Boden ein: eine Hacke, ein Joch, eine Kanne oder eine Brille. Solche Dinge des Alltags sind seitdem prägend für seine weitere Arbeit. Er lädt sie durch diese Vorführung in einem rituellen Akt des Reinigens und exklusiven Einlagerns auf. Im Ritual scheint er über individuelle Erfahrungen hinaus sein Herkommen, seinen Traditionen und Wurzeln in einem Akt der Metamorphose erspüren zu wollen. Auch wenn die Reinszenierung von „Pure“ im Museumsraum die ursprüngliche Direktheit und das Performative der Aktion anklingen lässt und weniger im Sinne moderner Kunst codiert erscheint wie viele andere Arbeiten Guptas, so ist sie doch stillgestellt und für uns von begrenzter Wirkung. Die tatsächliche Geografie des Ortes ist ausgeblendet, die sinnlichen Eindrücke auf weniges reduziert. Menschen, Tiere, die Laute und Gerüche fehlen. Nur eine Fotoreihe an der Wand dokumentiert die Bewohner, die Gupta die in das Lehmfeld eingelagerten Objekte überließen. Die Dimension des Schamanischen z.B. lässt sich nicht hervorrufen.

Insgesamt ist die Bandbreite der gezeigten Werke erfreulich groß. Es sind nicht nur die Arbeiten zu sehen, in denen Gegenstände den von Gupta bekannten Prozessen des Veredelns unterzogen werden, (z.B. „Two Cows“). Mit „Pure (I)“, „Season“, einer alten Nähmaschine, auf der perfekt imitierte, bronzene Mangos als Sinnbilder für den indischen Alltagsmenschen präsentiert werden, oder „Date by Date“, dem kärglichen Amtszimmer, kommen Momente eines indischen Alltags unmittelbarer und weniger vermittelt zum Tragen: Momente eines Alltags, die nicht nur für uns auch als Erinnerung an die Kolonialzeiten, sondern auch für einen sich als modern verstehenden Inder als Blick in eine vergangene Zeit empfunden werden können. Es liegt auf der Hand, seine Arbeiten dafür in Anspruch zu nehmen, nicht nur sozialer Kommentar zu den Zuständen in seinem Heimatland zu sein, sondern auch zu den beschleunigten Entwicklungen einer globalisierten Welt. Er geht dabei nicht subversiv oder konfrontativ vor, er arrangiert und kalkuliert geschmeidig, aber auch erwartbar. Dafür dass er aus einem sich unglaublich dynamisch entwickelnden Schwellenland stammt, einem Land von größter Vielfalt und ebensolchen Gegensätzen und Problemen, einer Kulminationszone aktueller menschlicher Entwicklungen und Fragestellungen, kommt er in seiner ersten institutionellen Ausstellung in Deutschland sehr wohlgeordnet und museal daher. Die Grenzen der Arbeiten, räumlich und sinnbildlich, sind klar umrissen. Es bordet nichts über. Die überwiegend hoch ästhetischen Kunstobjekte bilden mit den Museumsräumen und ihren dramatisierenden, architektonischen Details eine harmonische Einheit.

Natürlich ist Guptas Kunst tief in seinem indischen Kontext verwurzelt. Er verwendet aber künstlerische Sprachen und Ausdrucksmittel, die offen sind für unser Verständnis. Sie erzeugen vielfältige, allgemein verständliche, bildhafte und metaphorische Assoziationen. Parallel baut sich oft eine Ebene des „verführerischen Scheins“ der Objekte als Ausstellungsgegenstände auf. Die Objekte werden dadurch heimatlos und gehen, professionell autarker und attraktiver gemacht, erfolgreich auf Wanderschaft durch die internationalen (Kunst)Kontexte. Seien auch existentielle Erfahrungen der Auslöser seines Schaffens, so werden sie durch die von Gupta adaptierten, vereinheitlichenden Filter des Kunstmachens zu poetisierenden Inszenierungen. Damit ist die Kluft zwischen Elitärem und Massenhaftem nicht überwunden, deren Aufhebung manche Arbeit zu suggerieren scheint. Sie verflüchtigt sich nur. Man kann an Gupta den Vorwurf richten, paradigmatisch gelungene Galerie- und Museumskunst globalisierter Art für die weltweiten Präsentationen zu entwickeln.

Möglicherweise liegt dieser Kritik die Erwartungshaltung des „aufgeklärten“ Europäers zugrunde, in der ungerechterweise immer noch der ungewöhnliche Fremde, nicht der Kosmopolit, als Projektionsfigur erscheint. Darüber lässt sich angesichts der Ausstellung ausgiebig streiten.

ausstellung
Subodh Gupta - Everthing is Inside
MMK Frankfurt
27.09.2014 - 04.01.2015