press release only in german

Das Wetter ist ruhig, kühl und mild gibt Einblicke in die verschiedenen Werkphasen des belgischen Künstlers Guy Mees (1935–2003) und beleuchtet seine intuitive und konzeptuelle Herangehensweise. Die Auswahl umfasst frühe, übergreifend als Lost Space betitelte Werke aus Spitze, Filme und Fotografien der Serie Portraits (Level differences), nie zuvor gezeigte strukturalistische Werke der 1970er Jahre, Pastellkreidezeichnungen auf Papier, die Mitte der 1970er entstanden sind, die Lost Space Papierarbeiten der 1980er Jahre und ein Aquarell auf Durchschlagpapier – eine von Mees‘ letzten Arbeiten der 2000er. Diese Zusammenschau ermöglicht die Auseinandersetzung mit Mees‘ künstlerischer Praxis und seiner Auffassung von Wandelbarkeit, Fragilität und der Ausweitung des Bildraumes in den sozialen Raum. Der aus einer Notiz des Künstlers hervorgegangene Ausstellungstitel nimmt Bezug auf die atmosphärische Vergänglichkeit in seinen Werken und auf seine relativistisch-lyrische Herangehensweise.

Als Mitglied der Neuen Flämischen Schule hatte er Kontakte zu einem Künstler/innennetzwerk der Neo-Avantgarde in Europa, Japan, Nord- und Südamerika und erntete so bereits in den frühen 1960er Jahren internationale Anerkennung. Mit Spazialismo, Zero, Nul, G.R.A.V, Azimuth und Gutai – um nur einige zu nennen – verband ihn das gemeinsame Interesse an Licht, serieller Struktur, Bewegung und Monochromie

Seine antiautoritäre Einstellung und seine konzeptuelle Herangehensweise, die auf die Dekonstruktion jeglicher Form der Klassifizierung zielte, führten Mees jedoch bald auf einen alternativen Weg, auf dem die Befreiung von Systemen, Strukturen und Medien zu einer gleichsam eigenwilligen wie unverkennbaren Methode zur Schaffung von Freiheit und Offenheit wurde.

Die Portraits (Level differences), Filme und Fotoserien, in denen jeweils drei Menschen in zufälliger Anordnung auf beweglichen, unterschiedlich hohen Betonblöcken zu sehen sind, erinnern an Amateurarbeiten. Abgesehen von sechs möglichen Positionen (1.2.3, 1.3.2, 2.1.3, 2.3.1, 3.1.2, 3.2.1) ist die Serie unendlich variierbar und veranschaulicht die Wandelbarkeit der Dinge und die Beliebigkeit der Norm. Bei den Papierarbeiten 1,2,3 werden Fotos von Kontaktabzügen wie sorgfältige mathematische Notizen mit Hilfe eines Rasters platziert. Neben der Absurdität dieser mechanistischen Bemühungen bieten diese Filme und Fotos von Freunden und Familienmitgliedern auch ein faszinierendes Porträt der belgischen Avantgarde mit besonderem Fokus auf die Galerien MTL (Ferdinand Spillemaeckers) und X-One (Marc Poirier dit Caulier) sowie auf internationale Präsentationen wie die 1974 als Porträt von Nicholas Serota entstandene Serie im Museum of Modern Art in Oxford.

Das Prinzip der sechs Positionen entwickelte Mees weiter, indem er unterschiedliche Kombinationen schuf anhand eines chromatischen Diagramms mit sechs verschiedenen, mit der Hand auf dünnes Papier (z. B. Zeitungspapier) aufgetragenen Farben, die er dann als Säulen anordnete und zu Dreiergruppen zusammenfügte. Wenngleich die mechanisch wirkende Gesamtkomposition mit ihren repetitiven Mustern und Gesten Teil eines maschinellen, der Druckpresse nicht unähnlichen Vorgangs ist, führt die willkürliche Lesart der Blätter zu einer Distanzierung von solchen anfänglichen Assoziationen. Nach und nach offenbaren die Striche ein karges Universum aus farbigen Markierungen auf dünnem Papier, die bisweilen die Wand zu spiegeln, zu durchbohren scheinen und den Weg für die Papierschnitte Lost Space und später für Imaginary Ballet bahnen.

Die Werke der Lost Space Serie verdeutlichen die Idee des dekonstruierten Rahmens, da hier der eigentliche Bildraum durchbrochen wird und das Dazwischen der Lücken und Rudimente zum Vorschein kommt. Ganz gleich, ob man die weißen, aus Industriespitze gefertigten Pseudo-Monochrome der frühen 1960er Jahre betrachtet, in denen die Vereinigung aus minimalistischen Formen und sinnlichen, nahezu erotischen Strukturen ein vielfältiges Inneres offenbart, oder die flüchtigeren, an die Wand gehefteten Papierschnitte der 1980er Jahre, deren fragmentarische Farben die Formen und Lücken der Architektur gestalten und den Raum in ein Bild verwandeln – die Arbeiten Lost Space repräsentieren den Anfang und die Kulmination des konzeptuellen und poetischen Gedanken im Werk von Guy Mees. Sie sind „erfüllt von etwas, aus dem er selbst hervorgeht, erfüllt von dessen Verlust.“ (Dirk Pültau)

Zum ersten Mal in Österreich widmet sich eine Ausstellung dem international selten gezeigten Werk von Guy Mees und präsentiert darüber hinaus bislang unveröffentlichtes Archivmaterial aus seinem Nachlass. Dieses bietet weitere Einblicke in die Gedankenwelt eines Künstlers, der sein Leben lang jegliche analytische Diskussion über sein Werk zugunsten der Erfahrung der persönlichen Wahrnehmung abgelehnt hat.

Die begleitende Publikation skizziert Mees‘ künstlerischen Weg und folgt seinem Blick in der archivarischen Auseinandersetzung mit seinem Werk. Neben unbekanntem Archivmaterial aus seinem Nachlass, darunter Fotografien, Dias, Texte, Notizen und andere Dokumente, umfasst der Katalog einen Einleitungstext der Kuratorin, die Übersetzung eines archivarischen Texts aus den 1970er Jahren von Fernand Spillemaeckers, einen Aufsatz des Kunstkritikers und Kurators François Piron und ein Interview von Lilou Vidal mit Wim Meuwissen, Dirk Snauwaert und Micheline Szwajcer – allesamt enge Vertraute des Künstlers. Die Publikation wird von Lilou Vidal bei Sternberg Press, Berlin herausgegeben.

Die Ausstellung und die Publikation entstehen als Koproduktion zwischen der Kunsthalle Wien und dem Mu.ZEE, Ostende und wurden durch die großzügige Unterstützung von Micheline Szwajcer, Antwerpen und dem Estate of Guy Mees ermöglicht.

Kuratorin: Lilou Vidal

Guy Mees wurde 1935 in Mechelen, Belgien geboren und starb 2003 in Antwerpen. Er hatte internationale Einzelausstellungen in bedeutenden Museen und Galerien, u. a.: Ad Libitum, Antwerpen (1960–1966); Galerie Orez, Den Haag, Niederlande, (1968–1977); Galerie X-One, Antwerpen, (1969–1971); MTL, Brüssel, (1970–1976); Galerie Micheline Szwajcer, Antwerpen (seit 1982); Academie Waasmunster, Waasmunster (1990); Palais des Beaux-Arts, Brüssel (1990 und 1993); M HKA Museum van Hedendaagse Kunst, Antwerpen (2002); Galerie Bernard Bouche, Paris (2007–2010); Museum M Leuven (2012); Bureau des Réalités, Brüssel (2016); Galerie Micheline Szwajcer, Brüssel (2016; Galerie David Zwirner, London – New York (2017); gb agency, Paris (2017); Galerie Nagel / Draxler, Berlin/Köln (2017).