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Man betreibt mit Kunst auch Politik. Alles was ändernd in die Vorgänge des Lebens eingreift, ist Politik. - Hans Richter

Hans Richters (1888-1976) Lebenswerk umspannt fast 70 Jahre. In Berlin geboren, ist er einer der bedeutendsten Protagonisten der Moderne. Berlin, Paris, München, Zürich, Moskau und New York sind Stationen seines Lebens. Er ist Maler und Zeichner, Dadaist und Konstruktivist, Filmemacher und Theoretiker und auch ein großer Lehrer. Seine großen Rollbild-Collagen sind heute Ikonen der Kunstgeschichte. Wie bei kaum einem anderen Künstler des 20. Jahrhunderts findet sich in seinem Werk eine große Durchlässigkeit zwischen künstlerischen Disziplinen. Die Verbindung von Film und Kunst ist sein großes Thema. Viele der berühmtesten Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren seine Freunde.

„Hans Richter: Begegnungen von Dada bis heute“, so lautet der Titel eines seiner Bücher, erschienen in den 1970er Jahren. Vorausgegangen ist damals im Westen von Nachkriegsdeutschland eine Wiederentdeckung dieses bedeutenden, von den Nazis verfemten Künstlers, dessen Werk 1937 in der berüchtigten Ausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen war. Erstmals seit den 1980er Jahren nun ist diesem großen Berliner Künstler wieder eine Ausstellung in seiner Heimatstadt gewidmet, mit über 140 Werken, darunter seine wichtigen Filme und etwa 50 Arbeiten jener Künstler, die sich von Hans Richter beeinflussen ließen. Multimedial arbeitete Hans Richter schon zu einer Zeit, als dieses Wort noch nicht erfunden war. Den Film sah er als Teil der Modernen Kunst: „Der absolute Film öffnet Euch die Augen, was die Kamera ist, kann und will.“

Das Los Angeles County Museum of Art hat die Ausstellung mit dem Martin-Gropius-Bau und dem Centre Pompidou Metz entwickelt. Timothy Benson hat sie kuratiert. Gezeigt wird, wie Richter seine die Disziplinen übergreifende Arbeitsweise verstanden hat und welchen Effekt sein Werk auf die Kunst des 20. Jahrhunderts hatte.

In zehn Kapiteln beschreibt die Ausstellung das umfangreiche Werk des Künstlers: Frühe Porträts / Krieg und Revolution / Dada / Richter und Eggeling / Zeitschrift „G“ / Malewitsch und Richter / Film und Foto (FiFo) / Malerei / Serien / Auseinandersetzung mit dem Gegenstand. Bedeutende Werke der Avantgarde sowie Filme, Fotografien und umfangreiches dokumentarisches Material machen diese Ausstellung zu einem wichtigen Kunstereignis.

Seit den 1910er Jahren bewegt Hans Richter sich im weiten Feld der europäischen Avantgarden. Nicht nur die Kunst, sondern auch das neue Medium Film interessierte Hans Richter von Beginn seiner künstlerischen Karriere. 1908 studiert Hans Richter an der Hochschule der Künste in Berlin. Im Folgejahr wechselt er nach Weimar. 1910 lernt er an der Pariser „Académie Julian“. Seit 1913 ist er mit Herwarth Waldens Galerie „Der Sturm“ verbunden, lernt die Künstler der „Brücke“ und des „Blauen Reiter“ kennen. Er verteilt Marinettis „Futuristisches Manifest“ an Berliner Droschkenkutscher. 1914 zeichnet er auch für Franz Pfemferts Zeitschrift „Die Aktion" und wird im Sommer des gleichen Jahres zum Kriegsdienst eingezogen. 1916, im Krieg schwer verwundet, geht er nach Zürich („Insel inmitten von Feuer, Stahl, und Blut“) , wo er mit Tristan Tzara, Hugo Ball und anderen die Dada-Bewegung gründet, über die er dereinst schreiben wird: „... es war ein Gewitter, das über die Kunst jener Zeit hereinbrach wie der Krieg über die Völker.“

1918 lernt er Viking Eggeling kennen mit dem er erste Filmexperimente als Vorstufen zum „abstrakten Film“ durchführt. Beide träumen davon, im Film eine universale Sprache zu finden, die den Frieden unter den Menschen fördern könne. 1919 ist Richter Vorsitzender des „Aktionsausschusses revolutionärer Künstler“ in der Münchener Räterepublik, wird nach dem Einmarsch der Reichswehrtruppen verhaftet. Seine Mutter Ida bekommt ihn frei.

Sein erster Film „Rhythmus 21“ (1921) ist ein Skandal, das Publikum will den Pianisten verprügeln. Moholy-Nagy sieht ihn als „Ansatz zur visuellen Realisierung einer Licht-Raum-Zeit-Kontinuität in der Bewegungsthese“. Der Film, heute ein Klassiker, findet auch die Aufmerksamkeit von Theo van Doesburg, der ihn zur Mitwirkung an seiner Zeitschrift „De Stijl“ einlädt. 1922 nimmt Richter an jenen beiden berühmten Kongressen teil, auf denen sich viele der bedeutendsten Avantgardisten jener Zeit versammeln: In Düsseldorf am „Kongress Internationaler fortschrittlicher Künstler“ und in Weimar am „Internationalen Kongress der Konstruktivisten und Dadaisten“ – die Dada-Bewegung wird ebendort verabschiedet. 1923 gründet Richter mit anderen die kurzlebige, aber berühmte Zeitschrift „G“ (wie Gestaltung), die eine Brücke zwischen Dadaismus und Konstruktivismus schlagen will. Prominente Mitwirkende: Arp, Malewitsch, El Lissitzky, Mies van der Rohe, Schwitters, van Doesburg.

1927 arbeitet Richter mit Malewitsch, der damals Berlin für seine erste große Ausstellung besucht, an einem – selbstverständlich ‚suprematistischen’ – Film, der ob der politischen Verhältnisse jedoch nie fertig wird. 1929 kuratiert Richter die Filmsektion der berühmten Ausstellung FiFo (Film und Foto), ein Meilenstein in der Geschichte der Film- und Fotokunst. Über 1000 Fotos werden gezeigt – kuratiert u.a. von Edward Weston und Edward Steichen für die USA und El Lissitzky für die UdSSR. Mehr als 60 Stummfilme kommen zur Vorführung – Duchamp, Eggeling, Léger, Man Ray, Chaplin. Auch im Martin-Gropius-Bau, der damals „Ehem. Kunstgewerbemuseum“ hieß, wurde diese wichtige, vom 1907 gegründeten Deutschen Werkbund initiierte Ausstellung gezeigt – was in aktuellen Fotogeschichten oft nicht erwähnt ist. Aus diesem Anlass veröffentlicht Richter sein erstes Film-Buch: „Filmgegner von heute, Filmfreunde von morgen“.

Noch im gleichen Jahr findet auf dem entlegenen Schweizer Schloss „La Sarraz“ der erste „Kongress des unabhängigen Films“ statt: Hans Richter ist eingeladen, wie auch Sergej Eisenstein, Bela Balazs, Walter Ruttmann und andere. Er dreht einen Film mit Eisenstein, der als verschollen gilt. Der Kongress gilt heute als das erste allein dem Film gewidmete Festival. Denn die noch junge Kunst Film muss damals um Anerkennung noch ringen. 1929 erklärt ihn die SA erstmals zum „Kulturbolschewisten“.

1931 geht er nach Moskau, um den Film „Metall“ zu drehen. Doch Einsprüche der sowjetischen Regierung verhindern die Fertigstellung. 1933, die Nazis haben die Macht ergriffen und Richter ist noch in Moskau, verwüsten SA-Leute seine Wohnung in Berlin und rauben seine Kunstsammlung. Schon bald flüchtet er mittellos aus Moskau, weil er um sein Leben fürchtet. In den Niederlanden kann er für Philips Werbefilme drehen. Auch arbeitet er für einige Chemieunternehmen, die in den Film als Werbemittel investieren können. Er bemüht sich um Daueraufenthalt in Frankreich und der Schweiz. Mit Anna Seghers schreibt er in der Schweiz ein Drehbuch, Jean Renoir vermittelt ihm 1939 ein großes Filmprojekt in Paris. Doch der Ausbruch des Krieges verhindert auch diesen Film.

Als die Schweizer Fremdenpolizei ihn auffordert, das Land zu verlassen, gelingt ihm 1941 die Emigration in die USA. Hilla von Rebay, Künstlerin und einst wie Richter Mitglied der berühmten Berliner „Novembergruppe“ ist in dieser Zeit Beraterin des New Yorker Kunstmäzens Solomon Guggenheim. Mit dessen Hilfe kann sie ihre Idee eines „Temple of Non-Objectivity“ umsetzen – das „Museum of Non-Objective Painting“ (1939), das spätere Guggenheim. Das Museum verschafft Richter die ersehnte Einladung, ein jüdischer Hilfsfonds für Flüchtlinge unterstützt die lange Reise. 1942 wird Richter Lehrer für Film – später Direktor – am „Institute of Film Techniques“ im „College of the City of New York". Bis 1956 bildet er dort Studenten aus, die später zu den Großen der „New American Cinema Group“ zählen – Stan Brackhage, Shirley Clarke, Maya Deren, Jonas Mekas.

In den USA der 1940er Jahren beginnt Richter – nach einer Pause von 15 Jahren – wieder zu malen. 1943/44 entstehen die großen Rollbilder, Collagen zum Kriegsgeschehen: „Stalingrad“, „Invasion“ und „Befreiung von Paris“. Nach dem Krieg dreht er den Episodenfilm „Dreams that Money can buy“ – neben ihm wirken gleich fünf der berühmtesten Künstler des 20. Jahrhunderts mit: Léger, Ernst, Calder, Ray, Duchamp. 1946 kann er in Peggy Guggenheims Galerie „Art of this Century“ seine erste große Ausstellung in den USA zeigen.

In den 1950er Jahren reist Richter erstmals seit seiner Emigration wieder nach Europa, um Vorträge zu halten. Er erhält Teile seiner Kunstsammlung zurück, die er 1931 in Deutschland zurückgelassen hatte, als er nach Moskau fuhr. Mit zahlreichen Ausstellungen wird damals das Werk Hans Richters nun auch in West-Europa wieder entdeckt. Er arbeitet im Sommer in Connecticut und im Winter in Ascona, in der Nähe von Künstlerfreunden. Richter erlebt eine außerordentlich produktive Schaffensphase, in der, nachdem er Ende der 1960er Jahre seine Malutensilien beiseite gelegt hatte, viele Werke in speziellen Collagetechniken entstehen. 1971 wird er Mitglied der Berliner Akademie der Künste. Bis zu seinem Tod im Jahre 1976 in der Schweiz wird sein Werk in Westeuropa in vielen Ausstellungen gezeigt und rezipiert. Doch jetzt kann Hans Richter erstmals seit über dreißig Jahren mit einer Ausstellung, die aus Los Angeles kommt, neu entdeckt werden.

Folgende Filme von Hans Richter werden in der Ausstellung zu sehen sein: Rhythmus 21 (1921); Rhythmus 23 (1923); Die Malerei und die Probleme der Architektur (1927/1970); Animation Film mit Teilen Storyboard I-II und VII-IX (1927/1970); Making of Malevich's Die Malerei und die Probleme der Architektur (1927/70); Inflation (1928); Filmstudie / Filmstudy / Etude filmique (1928); Vormittagsspuk / Ghosts before Breakfast (1928); Rennsymphonie / Race Symphony (1928); Alles Dreht Sich, Alles Bewegt Sich / Everything Turns, Everything Revolves (1929); Zweigroschenzauber (1929); Every Day (1929/69); Die neue Wohnung / The new Dwelling / New Living Place (1930); Hello Everybody (1933); Van Bliksemschicht tot Televisis / Vom Blitz zum Fernsehbild / From Lightning tot Television (1935/36); Hans im Glück / Hans in Luck (1937/38); Wir leben in einer neuen Zeit / We live in a New World (1938); Die Eroberung des Himmels / Conquest of the Sky (1938); Die Geburt der Farbe / The Birth of Color (1939); Die Börse / The Stock Exchange (1939); Dreams That Money Can Buy (1944-1947); 6 Modern Artists Make a Film (1948); 8 X 8. A Chess Sonata in 8 Movements (1952-1957); Dadascope (1956-61); Chesscetera (Chess: Passionate Pastime: The Story of Chess over 5,000 years, 1956/57).

Gezeigt werden auch Ausschnitte der Filme von Vertov, Ivens, Moholy-Nagy, Man Ray, Duchamp, Strand, Sheeler, Clair, Eisenstein, Eggeling und Ruttmann. Ein in diesen Jahren fertiggestellter Dokumentarfilm von David Davidson über Hans Richter ergänzt die Ausstellung: „Hans Richter. Everything turns, Everything revolves“. Der umfangreiche Katalog enthält neben zahlreichen Abbildungen Beiträge von Timothy Benson, Philipe-Alain Michaud, Edward Dimendberg, Yvonne Zimmermann, Doris Berger und Michael White.

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Hans Richter
Begegnungen – Von Dada bis heute

künstler:
Hans Richter